Natürlich könnten sie gemäß ihrer Art auch im Uferschlamm nach Krebsen oder Weichtieren wühlen, vielleicht könnten sie sogar mit einem tollkühnen Sturzflug einen lebendigen Fisch aus den Wellen holen. Aber warum so mühsam, wenn es doch Menschen und ihre Chipstüten gibt? Das denken sich anscheinend die Silbermöwen zumindest an der Uferpromenade des britischen Seebades Brighton.
Ein Team um die an der University of Sussex forschende Österreicherin Franziska Feist berichtet jetzt im Fachmagazin Biology Letters über fortgeschrittenen sogenannten Kleptoparasitismus bei den grimmig ausschauenden Großmöwen. So nennen Biologen die Neigung mancher Tiere, bei anderen Lebewesen Nahrung zu stehlen. So jagen zum Beispiel Seeadler anderen Vögeln deren gefangene Fische ab.
Menschen dienen den Möwen als Vorkoster
Die Seemöwen in Brighton gingen nun einen Schritt weiter, wie die Forscher und Forscherinnen in einem Experiment zeigten. Darin befestigten sie mit Klebeband zwei verschiedene Sorten von Kartoffelchips an eine Ziegelmauer an der Strandpromenade in Brighton. Grüne Tüten enthielten Chips der Geschmacksrichtung "Salz und Essig", in blauen Tüten befand sich die Sorte "Käse und Zwiebeln". Dann setzten die Biologen sich mit ein paar Meter Abstand auf die Mauer und warteten ab - Kamera zur Hand - was passiert.
Solange die Wissenschaftler nur warteten, interessierten sich weniger als zwanzig Prozent der Vögel überhaupt für die Tüten. Sobald die menschlichen Studienleiter aber anfingen, selber die Chips zu knabbern, waren es schon knapp 50 Prozent. Von diesen wiederum, und das ist das Neue an dieser Studie, folgten 98 Prozent der klugen Tiere der Tütenfarbenwahl der Menschen. Sie dienen den Möwen sozusagen als Vorkoster bei der schwierigen Frage, welche Chips wohl lohnender wären.
Eine bemerkenswerte Fähigkeit, sagte Hauptautorin Feist dem Guardian, "schließlich kommen in der Evolutionsgeschichte der Seemöwen keine Menschen vor". Offenbar haben die Vögel schnell selber gelernt, dass auch ihnen bekömmlich ist, was Menschen mundet. So wundert es nicht, dass die Bestände der Seemöwen in menschlichen Umgebungen florieren, während sie in den natürlichen Habitaten eher abnehmen.