Süddeutsche Zeitung

Schweinegrippe:Zwischen Impf-Skepsis und Panik

Sechs Menschen sind bislang an den Folgen des H1N1-Virus gestorben. Experten befürchten vermehrt auch bei Patienten ohne Vorerkrankung einen schweren Krankheitsverlauf.

Die Auswirkungen der Schweinegrippe werden auch in Deutschland immer spürbarer: Bundesweit stieg die Zahl der Personen, die in Folge einer Infektion mit dem H1N1-Virus starben, auf sechs.

In mehreren Bundesländern musste in der vergangenen Woche der Unterricht aufgrund von Grippefällen unter den Schülern ausfallen. Im Süden der Republik wurden Sportveranstaltungen wegen erkrankter Spieler abgesagt. Experten rechnen damit, dass die noch vorherrschende Impf-Skepsis der Deutschen angesichts der neuen Todesfälle und zahlreichen Neu-Infektionen bald umschlagen könnte in eine Grippe-Panik.

Tödlicher Verlauf ohne Vorerkrankung

In Deutschland waren am Freitag drei weitere Menschen an den Folgen der Schweinegrippe gestorben. Dabei handelte es sich um eine 48-jährige Frau in Bonn, einen fünfeinhalbjährigen Jungen aus dem Saarland und einen 16-jährigen Patienten aus Augsburg. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem neuen Virus verdoppelte sich damit an nur einem Tag auf sechs. Das Robert Koch Institut (RKI) bestätigte zunächst nur zwei neue Todesfälle, womit die Gesamtzahl bei fünf liege.

An den Folgen der neuen Grippe waren in Deutschland bislang Patienten gestorben, die bereits andere Krankheiten hatten oder wegen gesundheitlicher Risiken besonders anfällig gewesen waren. Nach dem neuen Fall in Bonn rechnet das RKI nun damit, dass auch in Deutschland verstärkt Patienten ohne weitere Vorerkrankungen an der Schweinegrippe sterben könnten.

Der Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit an der Uni-Klinik Bonn, Martin Exner, warnte, dass "möglicherweise jetzt die zweite Welle der Influenza-Pandemie auch in Deutschland beginnt". Insbesondere mit der kalten Jahreszeit könne nun vermehrt mit schwereren Krankheitsverläufen zu rechnen sein.

Gleichzeitig wies er aber darauf hin, dass die Mehrzahl der Schweinegrippe-Fälle in Deutschland bislang milde verlaufen sei. Nach Angaben des RKI wurden bisher mehr als 25.000 Fälle in Deutschland bestätigt, vor allem im Süden breitet sich die Krankheit weiter aus.

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Am vergangenen Montag war die Massenimpfung gegen die Schweinegrippe gestartet. Umfragen zufolge wollte sich ein Großteil der Bevölkerung bisher nicht impfen lassen. Die Stimmung kann aber nach Einschätzung Michael Pfleiderers vom Paul-Ehrlich-Institut über Nacht umschlagen, sobald die Krankenhausbetten knapp werden, sagte er der Wirtschaftswoche.

Der Virologe Herbert Schmitz vom Bernhard-Nocht-Institut sagte dem NDR, wenn die Bevölkerung zu 30 oder 40 Prozent durchimmunisiert sei, könne das Virus nicht mehr richtig vorankommen. Der Virologe Alexander Kekulé warnte aber vor Panik: Man wisse längst, dass auch Menschen ohne Vorerkrankungen an Schweinegrippe sterben könnten. Er rät aber auch zu einer Impfung.

Schlimme Grippewelle in der Ukraine

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sieht in der normalen Grippe derzeit noch ein höheres Gesundheitsrisiko als in der Schweinegrippe. Der FDP-Politiker riet in der Bild am Sonntag, sich gegen beide impfen zu lassen.

Laut WHO gibt es weltweit bisher mehr als 440.000 bestätige Schweinegrippe-Fälle und mehr als 5700 Todesfälle.

In der Ukraine wütet derzeit eine besonders schlimme Grippewelle, bei der sich 150.000 Menschen angesteckt haben und bereits 48 gestorben sind. Elf der Todesopfer sollen dabei der Schweinegrippe erlegen sein. Schulen wurden geschlossen und Kino-Vorführungen und Konzerte abgesagt, um die Ausbreitung zu stoppen. Angesichts von Panik-Käufen für Mittel gegen die Schweinegrippe hat Ministerpräsidentin Julia Timoschenko die Bevölkerung am Samstag in einer Ansprache an die Nation aufgefordert, selbst Schutzmasken zu basteln.

Der rumänische Fußball-Verband hat wegen der Schweinegrippe seine Spieler angewiesen, nicht mehr auf das Spielfeld zu spucken. Desweiteren sollen die Trainer ihre Akteure bitten, getrunkenes Wasser künftig herunterzuschlucken. Auch Trainer sollen während der Spiele eine Schutzmaske tragen.

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