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Schweinegrippe: Vorläufige Bilanz:Wie schlimm war es?

Wie groß ist das Risiko, schwer oder gar tödlich an der Schweinegrippe zu erkranken wirklich? Erste Bilanzen lassen viele Befürchtungen der vergangenen Monate übertrieben wirken.

Berit Uhlmann

Eines der schlimmsten Szenarien war von oberster Stelle gekommen. Im Mai fürchtete die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass binnen weniger Monate bis zu ein Drittel der Weltbevölkerung an der Schweinegrippe erkranken könnte. Nun aber haben viele Länder Grippe-Wellen schon hinter sich und erste Bilanzen vorgelegt. Diese Zahlen - obgleich vorläufig und auf Schätzungen beruhend - zeichnen ein anderes Bild.

Wieviele Menschen erkrankten an der Schweinegrippe?

Die Angaben sind nicht wirklich verlässlich, denn längst werden die meisten Erkrankten nicht mehr getestet und erfasst, sondern ihre Zahl nur noch geschätzt. Auf solche Art kam das Robert-Koch-Institut (RKI) zu der Zahl von deutschlandweit 204.000 Schweinegrippe-Infizierten bis Mitte Dezember. Damit wäre deutlich weniger als ein Prozent der Bevölkerung an dieser Grippe erkrankt.

Britische Ärzte meldeten, dass während der ersten heftigen Schweingrippe-Welle bis November rund ein Prozent der Bevölkerung an der Infektion litt. Die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC geht dagegen davon aus, dass bis Ende November jeder sechste US-Amerikaner mit dem H1N1-Virus infiziert war. Doch auch diese Schätzung bleibt unter der Befürchtung der WHO.

Wer erkrankte?

Die Schweinegrippe traf bislang vor allem jüngere Menschen. Wer in Deutschland bis Ende November an der neuen Grippe erkrankte, war im Mittel 15 Jahre alt. Am geringsten war die Erkrankungsrate dem RKI zufolge bei den Über-60-Jährigen. Darin unterscheidet sich die Schweinegrippe von der saisonalen Influenza: An ihr leiden vor allem Senioren.

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung wurden laut RKI 0,93 von 100.000 Deutschen wegen der Schweingrippe in einem Krankenhaus behandelt. Mit anderen Worten: Für einen beliebigen Deutschen lag die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken bislang bei rund 1:100.000. Von Ländern der Südhalbkugel sowie Mexiko, die die Grippesaison bereits hinter sich haben, wurden Hospitalisierungsraten von 2 bis 32:100.000 gemeldet.

Wer litt unter schweren Verläufen?

3,3 Prozent aller deutschen Schweinegrippe-Erkrankten mussten in einem Krankenhaus behandelt werden. Rund 70 Prozent von ihnen waren jünger als 24 Jahre. Zugleich waren 70 Prozent Risikopatienten, das heißt Schwangere oder chronisch Kranke. Für Schwangere liegt das Risiko, schwer an der neuen Grippe zu erkranken laut WHO bislang vier bis fünfmal höher als für nicht schwangere Frauen.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass bislang mehr als 10.000 Menschen weltweit an der Schweinegrippe gestorben sind. Das RKI registrierte bis Mitte Dezember 119 Todesfälle in Deutschland. Dies macht eine Sterberate von rund 1:700.000 (bezogen auf die Gesamtbevölkerung) aus. Von der Südhalbkugel wurden Raten von ungefähr 1:100.000 gemeldet.

Bezieht man die Todesfälle auf die Erkrankten, starben in Deutschland weniger als einer von 1000 H1N1-Infizierten. Ähnliche Werte wurden auch in Großbritannien registriert, dem in Europa am stärksten betroffenen Land.

Zum Vergleich: Jedes Jahr sterben an der saisonalen Influenza allein in Deutschland 5000 bis 12.000 Menschen. Allerdings beruhen auch diese Angaben auf Schätzungen.

Wer starb?

In Deutschland hatten 75 Prozent der an der Schweinegrippe Gestorbenen eine chronische Grundkrankheit. Das heißt allerdings auch, dass ein Viertel der infizierten, ansonsten aber gesunden Menschen dem H1N1-Virus erlag. Großbritanniens Behörden meldeten, dass mehr als ein Drittel der 138 Menschen, die im Königreich während der esten Welle starben, keine oder nur eine milde Vorerkrankung hatte. Im Mittel waren die Verstorbenen 39 Jahren alt, also deutlich jünger als die Todesopfer der saisonalen Grippe, die im Mittel 80 Jahre alt sind. Das bedeutet laut RKI auch: Werden die "verlorenen Lebenstage" zur Grundlage der Bewertung gemacht, erscheint die Schweinegrippe nicht mehr so mild.

Laut Bundesgesundheitsministerium müssen 30 Prozent der Bevölkerung geimpft sein, um einer Ausbreitung des Virus Einhalt zu gebieten. Dieser Schutz dürfte in Deutschland nicht erreicht sein. Nach Schätzungen des Paul-Ehrlich-Institus wurden bis Anfang Dezember 4,6 bis 6,7 Millionen Dosen Pandemrix verimpft. Das heißt, nicht einmal jeder Zehnte hat sich die Spritze geben lassen. Unter Ärzten sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums 15 Prozent geimpft. Insgesamt hat Deutschland 50 Millionen Impfdosen bestellt.

Wieviele Geimpfte erlitten Komplikationen?

Dem Paul-Ehrlich-Institut zufolge litt einer von mehreren Tausend Geimpften an unerwünschten Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen und Ausschlag. Das Institut bewertete diese Folgen als vergleichbar mit denen der Imfpung gegen die saisonale Grippe. Eine Ausnahme bildeten Beschwerden an der Einstichstelle, die häufiger gemeldet wurden. Im Zusammenhang mit der Impfung erfasste das Institut 37 Todesfälle. "In keinem Fall gibt es bislang Hinweise, dass Pandemrix die Todesursache war", sagte eine Sprecherin.

In Deutschland gehen die Erkrankungszahlen seit einigen Wochen zurück. Ob die Grippe damit ausgestanden ist, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Es sei durchaus möglich, dass im späten Winter oder Frühjahr noch eine weitere Erkrankungswelle auf Deutschland zukommt, sagte RKI-Chef Jörg Hacker. Ähnlich äußerte sich die WHO. Ein Stimmungsbild des amerikanischen CDC zeigte sich zweigeteilt. Die Hälfte der befragten Experten glaubte, das Schlimmste sei bereits überstanden. Die zweite Hälfte rechnete damit, dass es noch eine große Zahl Erkrankter geben werde.

Eine Unbekannte in den Schätzungen ist in dieser Saison auch die herkömmliche Wintergrippe. In den verganenen Wochen spielte sie fast gar keine Rolle: Wer an Influenza litt, hatte die Schweinegrippe. Ob dies so bleibt, ist offen. Denn normalerweise hat sie im Januar und Februar Konjunktur.

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