Schweinegrippe:Experte befürchtet Mutation

Mit der Ausbreitung der Schweinegrippe steigt das Risiko, dass der Erreger gefährlicher wird. Ein Experte fürchtet vor allem ein Übergreifen des Virus nach Asien. Im Westen beobachtet man die Entwicklung der Seuche mit Sorge.

B. Galaktionow

Warnung vom Experten: Mit der Ausbreitung der Schweinegrippe steigt das Risiko, dass das H1N1-Virus weiter mutiert - und an Gefährlichkeit zunimmt. Das befürchtet der Virologe Kennedy Shortridge. Kritisch sieht er vor allem eine mögliche Ausbreitung des Erregers nach Asien.

Schweinegrippe: Der Schweinegrippen-Erreger N1N1 breitet sich auf der Welt aus - und sorgt für Beunruhigung.

Der Schweinegrippen-Erreger N1N1 breitet sich auf der Welt aus - und sorgt für Beunruhigung.

(Foto: Foto: Reuters)

Je weiter sich das Virus verbreite, desto größer seien die Chancen, dass es sich neu zusammensetze, mit anderen zirkulierenden Viren mische und sich so zu einem noch gefährlicheren Erreger wandle, sagte der Forscher dem Wissenschaftsmagazin Science (online). "Die Aussichten eines Wandels sind beträchtlich und beunruhigend", stellte er fest.

Shortridge ist emeritierter Professor an der University of Hongkong. Beim ersten Ausbruch der Vogelgrippe mit dem H5N1-Virus im Jahr 1997 leitete er dort die Untersuchungen. Shortridge war zudem einer der ersten, die davor warnten, dass sich in Schweinen neuartige Viruskombinationen bilden könnten. Die Schweinegrippe, die sich jetzt von Mexiko aus ausbreite, passe ganz in diese Hypothese, sagte er.

Der aktuelle Erreger aus Mexiko ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine neuer Subtyp des H1N1-Virus. Der Erreger enthält Gene von menschlichen Grippeviren, aber auch von Geflügel- und Schweineviren.

Diese Mischung weise einen "Grad an Komplexität auf, den wir bislang nicht wirklich verstehen", sagte Shortridge dem Wissenschaftsmagazin. Er sei besorgt, dass dieses zusammengesetzte Virus instabil sein und sich wiederum leicht mit anderen Viren verbinden könnte, auf die es in menschlichen oder tierischen Wirten treffe.

Asien trifft Vorsorgemaßnahmen

Als problematisch bewertet der Virologe vor allem eine mögliche Ausbreitung des Erregers in den asiatischen Raum. Denn dort zirkuliert zum einen der H5N1-Virus, zum anderen gibt es Shortridge zufolge verschiedene Stränge des menschlichen H1N1-Erregers, die gegen Tamiflu resisent sind, das bislang wichtigste Medikament.

Shortridge vermutet, dass der Austausch mehrerer Gene unter diesen Viren zu einem Erreger führen könnte, der pathogener sein und zudem sehr viel leichter übertragen werden könnte als das bisherige Schweinegrippe-Virus.

Als Vorsorgemaßnahme empfiehlt Shortridge, möglichst schnell so viele Abstriche des Virus wie möglich zu sequenzieren und nach einem auffälligen Wandel des Virus zu suchen - eine enorme Aufgabe, die weltweite Kooperation erfordert.

Bislang sind in Asien noch keine Fälle von Schweinegrippe nachgewiesen, doch die Länder des Kontinents rüsten sich mit scharfen Maßnahmen für ein mögliches Übergreifen des Erregers.

Singapur will alle Reisenden aus Mexiko vorsorglich eine Woche lang unter Quarantäne stellen. Die Philippinen reaktivierten wie andere Länder ihren Notfallplan, mit dem sie sich 2003 in der Sars-Krise und vor der Ausbreitung der Vogelgrippe schützten. An dem akuten Atemwegssyndrom Sars, ausgelöst durch ein Lungenvirus, waren mehrere hundert Menschen überwiegend in Asien gestorben.

In Thailand forderten die Behörden Taxifahrer auf, Gesichtsmasken zu tragen und verteilten zudem 100.000 Stück - auch an besorgte Ausländer. China startete ein Informationsprogramm in allen Schulen, um die Kinder auf mögliche Symptome aufmerksam zu machen.

Japan richtete eigens Grippekliniken ein. An zahlreichen Flughäfen und Häfen im asiatischen Raum werden Infrarot-Scanner eingesetzt, um einreisende Grippekranke zu erkennen.

Die WHO warnte indes vor einer weiteren Ausbreitung der Schweinegrippe vom Typ H1N1 auf der Südhalbkugel angesichts des bevorstehenden Winters, der die Verbreitung der Infektionskrankheit auch saisonal bedingt begünstigt.

Spanien meldet weitere Infektionen

In den westlichen Ländern beobachtet man die Entwicklung der Schweinegrippe weiterhin sehr aufmerksam. In Deutschland besteht der Verdacht, dass ein bayerischer Schweinegrippe-Patient möglicherweise zwei Menschen mit dem Virus angesteckt hat. Eine Krankenschwester und der ehemalige Zimmernachbar eines 37-Jährigen, der das Virus aus Mexiko eingeschleppt hat, könnten infiziert worden sein, wie die Behörden mitteilten. Es wäre die erste Übertragung der Infektionskrankheit innerhalb Deutschlands. Bislang sind hier drei Grippe-Fälle bestätigt.

Den beiden unter Umständen an Schweinegrippe Erkrankten, einer 43-Jährigen aus dem Landkreis Landshut und einem Mann aus dem Landkreis Straubing-Bogen, geht es den Behörden zufolge gut. Das Untersuchungsergebnis, ob sie sich wirklich infiziert haben, wurde noch erwartet.

Die Zahl der mit Schweinegrippe infizierten Menschen in Spanien ist weiter angestiegen. Inzwischen seien 13 Infektionen bestätigt, sagte die stellvertretende Ministerpräsident Maria Teresa Fernandez de la Vega.

Unter den Erkrankten war laut Gesundheitsministerin Trinidad Jimenez auch ein junger Mann, der selbst nicht in Mexiko war, sondern sich bei seiner aus dem Urlaub zurückgekehrten Freundin angesteckt hat. Darüber hinaus gab es inzwischen 84 Verdachtsfälle.

Zuvor waren in Spanien nur zehn Infektionen bestätigt gewesen. Weltweit sind laut WHO inzwischen mindestens 236 Erkrankungen eindeutig auf den Erreger der Schweinegrippe zurückzuführen.

Die EU-Gesundheitsminister haben sich im Kampf gegen die Schweinegrippe jedoch nicht auf eine gemeinsame Reisebeschränkung nach Mexiko verständigen können. Die Minister der 27 EU-Länder wiesen bei dem Krisentreffen in Luxemburg eine Forderung Frankreichs nach einem Verbot für Flüge nach Mexiko zurück, berichteten Diplomaten.

Für ihre gemeinsamen Schlussfolgerungen hätten sich die Ressortleiter auf die Formulierung geeinigt, dass es jedem EU-Staat offen stehe, Reisebeschränkungen zu verhängen. Dies ist allerdings schon jetzt geltende Rechtslage. Auch Italien hatte sich dem Vernehmen nach für derartige Maßnahmen eingesetzt. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte das Anliegen entschieden zurückgewiesen.

In den USA rechnen die Behörden nach einem ersten Todesfall durch die grassierende Schweinegrippe mit noch weiteren Erkrankungen mit tödlichem Ausgang. Man erwarte "ein breites Spektrum" von milden bis hin zu lebensgefährlichen Infektionen, sagte der amtierende Chef der US-Seuchenbehörde CDC, Richard Besser. Die Zahl der bestätigten Fälle stieg derweil auf mindestens 109 in elf Bundesstaaten.

Die Erkrankung erreichte offenbar auch die US-Hauptstadt. Wie die Weltbank mitteilte, war einer der Mitarbeiter ihres Hauptquartiers in Washington nach einer vorläufigen Diagnose daran erkrankt. Er sei inzwischen aber wieder genesen. Der Weltbank-Mitarbeiter sei zuvor auf Dienstreise in Mexiko gewesen und habe sich unmittelbar vor der Erkrankung in der Weltbank aufgehalten. Alle Beschäftigten, die dem Mitarbeiter nahe gekommen waren, seien aufgefordert worden, daheim zu bleiben.

Die WHO sieht nach eigenen Angaben derzeit keine Veranlassung für die Ausrufung der höchsten Warnstufe (Stufe 6) wegen der Schweinegrippe. "Wir haben keinen Beleg, der uns dazu veranlassen würde zur Phase sechs überzugehen", sagte der stellvertretende WTO-Generaldirektor Keiji Fukuda in Genf. Am Mittwochabend hatte die Behörde ihre Pandemie-Warnung auf die zweithöchste Stufe fünf angehoben, was eine drohende Pandemie bedeutet. Eine eine weitere Anhebung der Warnstufe würde der Feststellung einer Pandemie bedeuten.

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