Schweinegrippe:"Die Gefahr einer weiteren Ausbreitung ist sehr groß"

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Seuchenexperte Stefan Kaufmann über die Risiken, die die Schweinegrippe birgt, und warum es an Impfstoffen mangelt.

Berit Uhlmann

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich bisher etwa 26.500 Menschen in 73 Ländern mit dem Schweinegrippe-Virus infiziert, 140 starben daran. Im Ursprungsland des Erregers, Mexiko, ist die Epidemie nach Angaben der Behörden jedoch weitgehend abgeklungen. Ist die Gefahr also vorüber? sueddeutsche.de sprach mit Professor Stefan Kaufmann. Er ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin und Autor des Buches "Wächst die Seuchengefahr? Globale Epidemien und Armut: Strategien zur Seucheneindämmung in einer vernetzten Welt" (Frankfurt am Main 2008).

Schweinegrippe
:Fragen und Antworten

Der neuartige Erreger der Schweinegrippe stellt Gesundheitsexperten noch vor Rätsel. Hier die bisherigen Erkenntnisse zu der Krankheit.

sueddeutsche.de: Rund sechs Wochen nach Ausbruch der Schweinegrippe glauben viele Menschen, das Schlimmste sei überstanden. Zu Recht?

Stefan Kaufmann: Bei mehr als 26.000 Erkrankten ist die Wahrscheinlichkeit, dass die neue Grippe sich weiter ausbreitet, sehr groß. Bei einer solchen Dimension glaube ich nicht, dass die Schweinegrippe so schnell wieder verschwindet. Die Gefahr einer Pandemie ist also nicht aus der Welt.

sueddeutsche.de: Müssen wir uns in Deutschland Sorgen machen?

Kaufmann: In Deutschland und anderen Industrieländern stellt die Schweinegrippe derzeit nur eine geringe Gefahr dar. Natürlich kann sich das ändern. Das gilt aber nicht nur für die Schweinegrippe, sondern auch für die Geflügelgrippe und die saisonale Grippe.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie die Situation in den ärmeren Ländern?

Kaufmann: Für die armen Länder schätze ich die Gefahr, dass sich die Schweinegrippe ausbreiten wird, als hoch ein. Hier gibt es keine ausreichenden Mittel zur Erfassung und Eindämmung von Infektionen. Außerdem bereiten ihnen bereits Krankheiten wie Aids, Tuberkulose und Malaria große Probleme.

sueddeutsche.de: Momentan verlangt die Welt nach Impfstoffen gegen die Schweinegrippe. Doch die Hersteller stoßen an ihre Grenzen. Woran liegt das?

Kaufmann: Die Kapazitäten der Impfstoffhersteller sind bereits ausgeschöpft. Sie werden für die Produktion von Impfungen für die saisonale Grippe benötigt. Die Impfstoffhersteller bieten jedes Jahr einen maßgeschneiderten, hochspezifischen Impfstoff für die erwartete Influenza an. Dies ist für sie ökonomisch attraktiver als breiter wirkende Stoffe zu verkaufen, die dann nur alle zehn Jahre verabreicht werden müssen.

sueddeutsche.de: Was bedeutet dies für die Zukunft?

Kaufmann: Die Industrieländer werden im Ernstfall sicher ausreichend mit Impfstoffen versorgt werden. Dennoch müssen wir die Kapazitäten ausweiten. Deutschland hat zum Beispiel keine größeren Impfstoffproduktionsstätten mehr und auch die industrielle Impfstoffforschung ruht hierzulande weitgehend.

sueddeutsche.de: Der Impfstoffmarkt ist nicht lukrativ.

Kaufmann: Das stimmt. Die Hürden für die Zulassung sind hoch, die Gewinnmargen eher klein. Im gesamten Impfstoffmarkt wird weniger umgesetzt als mit dem Verkauf eines Cholesterinsenkers. Deshalb brauchen wir mehr finanzielle Anreize für die Erforschung und die Produktion von Impfstoffen, aber auch von breit wirkenden Medikamente gegen übertragbare Krankheiten.

sueddeutsche.de: Lassen Sie uns noch einmal zurückblicken: Vor sechs Wochen wurde die Welt durch das neue Virus aufgeschreckt. Wie hat sich die internationale Gemeinschaft seither geschlagen?

Kaufmann: Im Großen und Ganzen passabel. In Mexiko allerdings wurde der Grippeausbruch wahrscheinlich zu spät erkannt. Die lokale Presse in Mexiko berichtete schon früher von einem mysteriösen Krankheitsausbruch: 60 Prozent der Einwohner der Kleinstadt La Gloria sollen krank gewesen sein. In der Nähe des Ortes befinden sich große Schweinefarmen. Die offiziellen Stellen wurden aber erst später hellhörig. Es ist zudem anzunehmen, dass in erster Linie die schwer verlaufenden Fälle registriert wurden und weniger die milden Fälle. Das täuscht über das Ausmaß der Erkrankung hinweg.

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