Schweine-Kastration:Leiden für den Wohlgeruch

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20 Millionen männliche Ferkel werden jedes Jahr in Deutschland kastriert - ohne Betäubung. Ein Impfstoff könnte irgendwann Abhilfe schaffen. Doch letztlich fällt die Entscheidung auch an der Fleischtheke.

Tina Baier

Für den Bauern ist es Routine: Er hält das Ferkel fest, macht zwei Schnitte in den Hodensack, drückt die Hoden heraus und schneidet sie ab. Für die 20 Millionen männlichen Ferkel, die in Deutschland jedes Jahr auf diese Weise ohne Betäubung kastriert werden, ist es die reinste Qual.

Mit der Geschlechtsreife kommt der Geruch: 20 Millionen männliche Ferkel werden deshalb jedes Jahr in Deutschland kastriert. (Foto: Foto: dpa)

"Die Prozedur ist sehr schmerzhaft, darüber braucht man nicht zu diskutieren", sagt Susanne Zöls, Veterinärmedizinerin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Grund für die Tortur ist, dass das Fleisch unkastrierter Eber oft stinkt und sich dann nicht verkaufen lässt.

Sobald die Tiere geschlechtsreif werden, produzieren sie das Sexualhormon Androstenon sowie den Stoff Skatol, die den urin-ähnlichen Ebergeruch verursachen. Die Firma Pfizer hat gerade die europaweite Zulassung für einen Impfstoff bekommen, der die Bildung von Androstenon unterdrückt und die Kastration überflüssig machen könnte.

"Die Markteinführung in Deutschland ist für Ende Juli 2009 geplant", sagt Martin Fensch, Sprecher des Unternehmens. Ob das den Ferkeln die blutige Kastration erspart, ist aber mehr als fraglich.

"Trotz der Impfung besteht die Möglichkeit, dass Tiere mit Ebergeruch vorkommen", sagt Kirsten Sanders, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde. Deshalb sei die Impfung nur in Zusammenhang mit einem Detektionssystem praktikabel, das die "Stinker" auf dem Schlachtband erkennt.

Risiko für den Bauern

Die Technik für eine solche elektronische Nase existiert aber noch nicht. Als mindestens ebenso hinderlich könnten sich die Verbraucher erweisen. In der Schweiz ist der Pfizer-Impfstoff seit einigen Monaten zugelassen, wird aber kaum eingesetzt.

Viele Lebensmittelhändler lehnen die Impfung ab. Sie befürchten, dass die Verbraucher kein Schweinefleisch von Tieren kaufen, die mit einer Substanz behandelt wurden, die unfruchtbar macht. "Für den Verbraucher besteht nicht das geringste Risiko", sagt Susanne Zöls. "Der Impfstoff hat keine Wirkung, wenn man ihn oral mit dem Fleisch aufnimmt."

Doch die Händler wissen, dass solche Argumente an der Fleischtheke keine Rolle spielen. Das zeigt derzeit die Reaktion der Deutschen auf die Schweinegrippe. Der Preis für Schweinefleisch ist momentan extrem niedrig, obwohl die Krankheit nachweislich nicht beim Kotelettessen übertragen wird.

Größer ist das Risiko für den Bauern. Wenn er sich beim Impfen versehentlich zweimal sticht - was eine spezielle Sicherheitsimpfpistole verhindern soll -, wird er selbst unfruchtbar.

Seit April müssen Schweinebetriebe, die zum Gütesiegel QS (Qualität und Sicherheit) gehören wollen, den Ferkeln wenigstens ein Schmerzmittel geben. "Das Medikament hilft zwar nicht gegen die Schmerzen bei der Kastration, lindert aber zumindest den Wundschmerz danach", sagt Zöls.

"Stinker" aussortieren

In Deutschland sind etwa 80 Prozent der Schweine "QS-Sauen". In Norwegen werden die Hoden vor der Kastration durch eine Lokalanästhesie betäubt. Doch hat sich gezeigt, dass dies für die Tiere keine Verbesserung ist, da die Injektion des Betäubungsmittels in den Hoden äußerst schmerzhaft ist.

Ähnliches gilt für die holländische Methode, die Ferkel vor dem Kastrieren mit einem Gemisch aus Kohlendioxid und Sauerstoff zu betäuben. "Für die Tiere ist das sehr belastend", sagt Zöls. Das Kohlendioxid verursacht Krämpfe und Erstickungsanfälle.

Tierfreundlicher scheint eine Kombination aus dem Betäubungsmittel Isofluran und einem Schmerzmittel zu sein. Diese Methode praktizieren die Schweizer. In Deutschland wenden 34 Betriebe, die zum Label Neuland gehören, das Verfahren mit einer Ausnahmegenehmigung an.

Für die restlichen 65.000 deutschen Schweinefleischproduzenten ist es nach Auffassung des Zentralverbands der Deutschen Schweineproduktion aber zu teuer und nicht praktikabel. Sobald es eine Technik gibt, übel riechendes Fleisch zu erkennen, wäre die beste Methode die Tiere nicht mehr zu kastrieren, sondern "Stinker" auszusortieren.

© SZ vom 29.05.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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