Domestizierung:Der Ursprung des Hausschweins

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Sieht süß aus, wird bei Tönnies aber im Sekundentakt zu Frischfleisch und Wurst verarbeitet. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Genetiker zeichnen nach, wie das Wildtier zum Nutztier wurde. Vieles bleibt jedoch rätselhaft.

Von Katrin Blawat

Das Schwein ist ein ganz besonderes Haustier. Die essbaren Teile von Sus scrofa domesticus sind zwar in Supermärkten und Restaurants allgegenwärtig, die lebenden Tiere bleiben jedoch meist in fensterlosen Ställen versteckt. Auch der Werdegang des Schweins vom wild lebenden zum intensiv genutzten Tier ist rätselhaft, wie die Studie eines Autorenteams um Laurent Frantz und Greger Larson von der University of Oxford im Fachmagazin PNAS zeigt.

Den genetischen Analysen zufolge wurden Schweine erstmals vor etwa 10 500 Jahren im heutigen Anatolien gezähmt. In dieser Region, die zum sogenannten fruchtbaren Halbmond gehörte, begannen die Menschen vor 12 500 Jahren mit Ackerbau und Tierhaltung und verbreiteten diese Techniken von dort aus nach Europa. Dort tauchten domestizierte Schweine erstmals vor etwa 8500 Jahren auf - so viel war bisher schon bekannt. Doch rätselten Forscher bislang, ob die europäischen Hausschweine von ihren bereits domestizierten Artgenossen im Nahen Osten abstammten, oder ob sie unabhängig davon ein weiteres Mal in Europa zu Haustieren gemacht wurden.

Jede der beiden Varianten erscheint grundsätzlich plausibel, beschreibt die Domestizierung des Schweins aber nur unvollständig, wie die neuen Analysen zeigen. Demnach gingen die ersten europäischen Hausschweine durchaus auf ihre bereits zu Haustieren entwickelten Artgenossen in Anatolien zurück. In der neuen Heimat vermischten sie sich jedoch schon nach kurzer Zeit stark mit europäischen Wildschweinen - sie ent-domestizierten sich sozusagen wieder. Dies verlief vergleichsweise schnell, wie das Team um Frantz und Larson ermittelt hat. Für ihre Studie analysierten die Forscher insgesamt etwa 2100 DNA-Proben von Wild- und Hausschweinen aus früheren Jahrtausenden sowie moderner Tiere.

Heute stammen nur noch höchstens vier Prozent des Erbguts europäischer Hausschweine von den domestizierten Verwandten im Nahen Osten. Darunter befindet sich eine Genvariante, die mit über die Fellfarbe bestimmt: Schwarze Borsten sind eines der wenigen verbliebenen Zeugnisse der frühen züchterischen Selektion in Anatolien. Abgesehen von diesem Merkmal spielten die Selektions-Bemühungen der ersten Schweinezüchter in Europa offenbar schon bald keine Rolle mehr. Ihr Einfluss auf das Genom moderner Hausschweine verschwand nahezu vollständig. Stattdessen geht der weitaus größte Teil des heutigen Erbguts von Sus scrofa domesticus auf europäische Wildschweine zurück.

Sie lebten mitunter weit entfernt von Menschen, gezähmte und wilde Tiere paarten sich

Eine derartig grundlegende "genetische Umwälzung" im Zuge der Domestikation finde sich nur bei Schweinen, schreiben die Autoren. An ihnen zeigt sich besonders deutlich, wie Domestikation abläuft. Sie ist kein schlagartiges Ereignis, bei dem sich eine Grenze zwischen vorher und nachher ziehen ließe. Vielmehr handelt es sich um einen langwierigen Prozess, der oft Umwege nimmt und einschließt, dass sich immer wieder wild lebende und bereits domestizierte Tiere miteinander paaren.

Ob dies bei den Schweinen absichtlich oder zufällig erfolgte, ist ungewiss. In vielen Regionen wurden Hausschweine einst - wie heute noch in manchen Mittelmeer-Gebieten - überwiegend sich selbst überlassen. Sie lebten mitunter weit entfernt von menschlichen Behausungen, was die Vermischung von Haus- und Wildtieren förderte.

© SZ vom 16.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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