Was im Zentrum der Milchstraße vor sich geht, darüber konnten Forscherinnen und Forscher lange nur Vermutungen anstellen. Schon vor Jahrzehnten beobachteten Physiker, dass sich im Zentrum der Milchstraße Sterne um etwas sehr Kompaktes bewegen, und zwar rasant, und konnten dessen Masse berechnen. 2022 gelang es Forschern schließlich sogar, dieses Etwas zu fotografieren. Und spätestens seither ist klar: Im Mittelpunkt der Galaxie befindet sich ein riesiges, ein sogenanntes supermassives Schwarzes Loch. Ein Objekt mit so großer Anziehungskraft, dass nicht einmal das Licht seinem Sog entkommen kann.
Über diesen Dreh- und Angelpunkt der Milchstraße ist bereits vieles bekannt. Die wichtigsten Kenngrößen: Von der Erde ist das Schwarze Loch rund 27 000 Lichtjahre entfernt. Wenn man es sehen könnte, sähe man es im Sternbild Schütze (lateinisch Sagittarius), daher heißt es „Sagittarius A*“ (gesprochen A-Stern). Seine Masse beträgt etwas mehr als das Vier-Millionenfache der Sonne, die sich vermutlich auf einen einzigen Punkt konzentriert. Und sein Ereignishorizont – das ist der Bereich, in dem es sozusagen alles verschluckt, auch das Licht – hat einen Durchmesser von etwa 24,5 Millionen Kilometern. Das ist knapp das 18-Fache des Sonnendurchmessers.
Nun aber ist alldem noch etwas sehr Grundsätzliches hinzuzufügen. Denn Astrophysiker von der Universität Köln haben festgestellt: Das Loch ist womöglich nicht allein.
Es wurde schon länger vermutet, dass Sagittarius A* einen Nachbarn hat
0,1 Lichtjahre von Sagittarius A* entfernt – das ist ein kosmischer Katzensprung, wenn auch rund sechsmal so weit wie der Durchmesser unseres Sonnensystems – haben die Forscherinnen und Forscher um Florian Peißker von der Universität Köln Hinweise auf ein weiteres Schwarzes Loch ausgemacht. Das berichtet das Team jetzt in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal. Seine Masse schätzen sie auf das 30 000-Fache der Sonne. Demnach wäre es deutlich kleiner als Sagittarius A* – und machte diesem mithin keine Konkurrenz, sondern wäre eher ein Überbleibsel aus dessen Entstehungszeit oder auch eine Art Zubringer. Möglicherweise handle es sich bei ihm „um einen essenziellen Baustein für das Wachstum unseres zentralen Schwarzen Lochs“, sagte Peißker laut einer Pressemitteilung der Universität Köln.
Denn Loch ist nicht gleich Loch; Astrophysiker unterscheiden verschiedene Klassen, je nach Größe. Die kleinsten sind „stellare“ Schwarze Löcher; sie haben die mehrfache Masse der Sonne und entstehen vermutlich, wenn sehr massereiche Sterne ausbrennen und daraufhin unter ihrem eigenen Gewicht unendlich vor sich hin kollabieren. Die größten Schwarzen Löcher dagegen werden „supermassiv“ genannt und bringen es auf das Millionen- oder gar Milliardenfache der Masse der Sonne. In diese Kategorie fällt das große Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße; Sagittarius A* gehört hier aber noch zu den kleineren. Im Zentrum der meisten Galaxien gibt es vermutlich ein großes Schwarzes Loch. Wie diese Objekte einst entstanden sind, ist ungeklärt.
Dazwischen liegen sogenannte „mittelschwere“ Schwarze Löcher wie das nun neu entdeckte, die womöglich durch die Verschmelzung kleinerer Löcher entstehen. Von dieser Größenordnung mit einer Masse von zwischen 100 und einer Million Sonnenmassen wurden im gesamten Universum bislang nur ein knappes Dutzend aufgespürt.
Das Team um Peißker hat einen Sternenhaufen namens IRS 13 in der Nähe von Sagittarius A* analysiert. Weil sich die dortigen Sterne auf verdächtig geordnete Weise bewegen, hatten Forscher bereits in der Vergangenheit gemutmaßt, dort könne sich ein mittelschweres Schwarzes Loch verbergen – ohne dafür jedoch die Fachkollegen überzeugenden Belege präsentieren zu können.
Die Forscherinnen und Forscher um Peißker argumentieren jetzt zunächst mit der Bewegung und der kompakten Form des Sternhaufens: Dieser werde nicht nur von Sagittarius A* beeinflusst, sondern es müsse auch in seinem Inneren etwas geben, das ihn zusammenhält, etwa ein Schwarzes Loch. Denn IRS 13 sei größer als gedacht und dichter als jeder andere bekannte Sternenhaufen in der Milchstraße. Zudem konnte das Team charakteristische Röntgenstrahlung messen. Und sie fanden, was auch andere Forscher bereits beobachtet hatten: einen Ring aus ionisiertem Gas, der um einen Ort innerhalb des Sternenhaufens rotiert. Schwarze Löcher werden häufig von Scheiben aus Gas oder Staub umkreist, die Strahlung aussenden. Im Mittelpunkt des Gasrings in IRS 13 befände sich demnach mutmaßlich das Schwarze Loch.
Oder doch nicht? Man könne nicht zweifelsfrei ausschließen, dass IRS 13 eine zufällige Anordnung ist oder auch eine Täuschung, weil sich die Spuren von hintereinanderliegenden Sternen überlagern, schreibt das Team um Peißker. Das sei angesichts der Indizien aber sehr unwahrscheinlich. Künftig wollen die Forscher mit dem James-Webb-Weltraumteleskop und dem Extremely Large Telescope, das noch im Bau ist, genauer in den Sternenhaufen hineinblicken.