Süddeutsche Zeitung

Ökologie:Das Schwammviertel

Wie sich Städte mit naturnahen Methoden gegen die Folgen des Klimawandels wappnen können, zeigt ein Bauprojekt in Leipzig.

Von Andrea Hoferichter

Wann immer das Wetter es zulässt, rollen Bagger und Radlager im Gelände eines ehemaligen Verladebahnhofs im Leipziger Stadtzentrum. Sie machen klar Schiff, damit ein Stadtquartier für 3700 Menschen entstehen kann, mit Schulen, Kitas, Läden und Büros - und mit einer "blau-grünen" Infrastruktur. "Gemeint ist eine dezentrale, naturnahe Form des Wassermanagements", sagt Roland Müller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), der ein begleitendes, staatlich gefördertes Forschungsprojekt leitet. Die Idee sei, das gesamte Regenwasser im Quartier zu halten und für trockene Zeiten zwischenzuspeichern. Das könne "entscheidend dazu beitragen", Folgen des Klimawandels durch häufigere Starkregenereignisse und Dürren lokal zu mildern.

Die Menschen in den Städten sind davon besonders betroffen. Wenn es heftig regnet drohen Überflutungen, weil das Wasser auf versiegelten Straßen und Plätzen nicht komplett versickern kann und das Kanalsystem an Grenzen kommt. An heißen Sommertagen wiederum heizen sich Asphalt und Beton kräftig auf. Die Temperaturen klettern oft um mehrere, schweißtreibende Grad höher als im Umland.

Die Gegenstrategie der Leipziger Forscher fußt vor allem auf Pflanzen. "Statt Gullys werden zum Beispiel Baumrigolen das Wasser von den Straßen aufnehmen", berichtet Müller. Die Baumreihen wurzeln in einen Untergrund aus Schotter, Kies und Bodensubstrat. Unter den Wurzelballen hält eine Wanne, zum Beispiel aus Lehm, Wasser für Trockenzeiten zurück. "Bäume steigern außerdem das Wohlbefinden, nicht nur aus ästhetischen Gründen", so der Biotechnologe. Schließlich filtern sie Schadstoffe und Staub aus der Luft, liefern Schatten, und sie kühlen ihre unmittelbare Umgebung, wenn sie Wasser über die Blätter verdunsten. Den Effekt der Verdunstungskälte kennt vermutlich jeder, der schon einmal durchnässt im Wind gestanden hat.

Unter einem Gründach ist es bis zu 20 Grad kühler als unter einem konventionellen Kiesdach

Weitere geplante Wasserspeicher sind Mulden, Tanks und Gründächer, die zudem wärmeisolierend wirken. "An der Unterseite der Gründächer auf einem unserer Institutsgebäude ist es im Sommer selten wärmer als 35 Grad Celsius", berichtet Müller. An der Unterseite eines konventionellen Kiesdachs hingegen könne es bis zu 20 Grad wärmer werden. Gerade ermittelt sein Team, welche Gründachtypen zum Einsatz kommen werden. Die einfachste, "extensive" Variante hat eine eher dünne Substratschicht, auf der etwa Moose, Sukkulenten und Gräser wachsen. Sogenannte intensive Gründächer, die als Gärten, für den Gemüseanbau oder gar parkähnlich gestaltet werden können, kühlen stärker, sind aber teurer und müssen bewässert werden. Den größten Kühleffekt haben Sumpfpflanzendächer. Sie kommen ganz ohne Substrat aus, weil die Pflanzen direkt ins Wasser wurzeln.

Auch das Grundwasser sei ein möglicher Speicherort, sagt Müller. Es fließe sehr langsam, selten mehr als einen Meter pro Jahr. Lasse man Regenwasser zum Beispiel an einem Gebäude versickern, könne es bei Bedarf im Sommer auf dem gleichen Grundstück wieder entnommen werden. Das etwa fünf Grad kalte Grundwasser könnte in Zukunft womöglich auch zur Gebäudekühlung genutzt werden. Andere Elemente des dezentralen Wassermanagements wie Fassadengrün und wasserdurchlässige Straßenbeläge werden im neuen Leipziger Quartier voraussichtlich nicht zum Einsatz kommen.

Berlin emittiert ähnlich viele Pestizide pro Quadratmeter wie ein intensiv genutzter Acker

Das Konzept einer Stadt, die wie ein Schwamm Wasser aufnimmt und wieder hergibt, ist im Grunde nicht neu und wird unter anderem in den USA und in China seit vielen Jahren staatlich gefördert. "Auch deutsche Städte setzen heute zumindest in Teilen auf ein dezentrales Regenwassermanagement", sagt Andreas Matzinger vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin, der in zwei interdisziplinären, vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekten entsprechende Planungsinstrumente mitentwickelt hat. Schließlich helfe eine gut geplante Regenwasserbewirtschaftung nicht nur den Menschen in der Stadt, sondern auch der Natur. Die bisherige Praxis könne die ökologischen Gleichgewichte in Flüssen und Seen stören. Je nach Abwassersystem strömt Regenwasser entweder das ganze Jahr ungefiltert in die Gewässer oder zumindest bei Starkregen, wenn eine Überlastung der Kläranlagen droht, in diesem Fall sogar zusammen mit ungereinigtem Abwasser. "Allein das aus den Städten eingespülte Regenwasser ist oft eine stark verschmutzte Brühe, nicht nur durch Hundekot oder Zigarettenstummel, sondern auch durch Chemikalien aus Dachbahnen und Fassadenfarben, zum Beispiel Giftstoffe gegen das Algenwachstum", erklärt der Forscher. Berlin emittiere ähnlich viele Pestizide pro Quadratmeter wie ein intensiv genutzter Acker.

Der UFZ-Wissenschaftler Müller hat die Schadstoffe im urbanen Regenwasser ebenfalls auf dem Schirm. "Wenn das Wasser im Boden versickert, werden Reifenabrieb, Mineralöle und Chemikalien teilweise von Mikroorgansimen abgebaut", sagt er. Wie schwer oder gar nicht abbaubare Substanzen entfernt werden können, sei noch Gegenstand von Forschungsarbeiten.

Dass sich das Schwammkonzept trotz vieler Vorteile noch nicht flächendeckend durchgesetzt hat, liegt Müller zufolge unter anderem am Planungsaufwand. Die Stadt, der Investor, Wasserwirtschaft und Baubehörden, Ämter für Stadtgrün und Umweltschutz, sie alle müssten zusammenarbeiten, Szenarien durchspielen und viel diskutieren. Aber auch der Gesetzgeber ist gefragt. "Es fehlen zukunftsweisende Rahmensetzungen", moniert der UFZ-Rechtsexperte Moritz Reese. Das Ziel, lokale Wasserkreisläufe zu schließen und Regenwasser dezentral zu bewirtschaften, müsse gesetzlich stärker festgeschrieben werden. Es gelte, Gemeinden und Städte zu ermächtigen und zu verpflichten, entsprechend zu planen und dabei auch die Bürger zu beteiligen. "Erst dann haben sie genügende rechtliche Rückendeckung gegenüber Investoren oder Eigentümern", so der Jurist. Anordnungsmöglichkeiten, Entschädigungs- oder Förderinstrumente müssten zudem normiert sowie die Entwässerungs- und Bebauungsplanung enger miteinander verzahnt werden. Schließlich prägt die dezentrale Wasserwirtschaft auch das Stadtbild.

Für die Umsetzung sei ein Neubaugebiet wie in Leipzig natürlich ideal, räumt Projektleiter Müller ein. Wie eine naturnahes Wassermanagement in bestehenden Wohn- und Gewerbegebieten gelingen kann, ist Thema einer noch nicht veröffentlichten Studie, die das UFZ zurzeit im Auftrag des Umweltbundesamts erstellt. Eines sei schon jetzt klar, sagt der Wissenschaftler. "Mit vielen kleinen Maßnahmen lässt sich auch im Bestand eine Menge erreichen."

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