Artenschutz:Tief „Anett“ hat unzählige Zugvögel getötet

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Eine erschöpfte Mehlschwalbe liegt im Landkreis Regensburg auf einer Straße. (Foto: Ferdinand Baer/dpa)

Der Dauerregen hat vor allem Schwalben zugesetzt, viele sind verhungert, erfroren oder erschöpft zu Boden gefallen. Und den überlebenden Tieren droht neue Gefahr.

Von Tina Baier

120 völlig erschöpfte, teils halb tote Schwalben sind diese Woche bei Ferdinand Baer abgegeben worden, dem Leiter der Auffangstation für Wildvögel in Regenstauf. Er und sein Team vom Naturschutzverband LBV versuchen gerade, die Tiere mühevoll wieder aufzupäppeln. Die kleinen Vögel werden gewärmt, wenn nötig getrocknet und mit Futter und Flüssigkeit versorgt. „Viele sind trotzdem gestorben“, sagt Baer. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“

Was ist passiert? Der Starkregen am Wochenende und Anfang der Woche hat den kleinen Zugvögeln extrem zugesetzt. „Wir haben viele Bilder von Schwalben zugeschickt bekommen, die tot am Boden liegen“, sagt Angelika Nelson, Ornithologin beim LBV. Andere Aufnahmen zeigten Schwalben, die sich hungrig und frierend auf Fensterbrettern drängen oder unter Dachvorsprüngen hängen. „Die Lage ist dramatisch“, sagt LBV-Vorsitzender Norbert Schäffer. „Die betroffenen Vögel, von denen wir wissen, sind nur die Spitze des Eisbergs.“ Wie viele Schwalben wegen des Extremwetters tatsächlich verendet sind, sei nicht abzusehen. „Und in Österreich ist es noch viel schlimmer.“ Dort seien Tausende tote Schwalben gefunden worden.

„Das Extremwetter hat die Tiere mitten im Vogelzug erwischt“, erklärt Baer. Der Ornithologe geht davon aus, dass viele der verendeten Tiere aus Ländern in Nordosteuropa stammen, Polen zum Beispiel oder Finnland. „Viele hatten wahrscheinlich schon mehrere Hundert Kilometer auf dem Buckel und waren deshalb ohnehin geschwächt.“ Dann flogen sie in die Wetterfalle.

Normalerweise können Zugvögel mit schlechtem Wetter einigermaßen umgehen. „Oft gelingt es ihnen, das Schlechtwettergebiet zu umfliegen“, sagt Nelson. Oder sie legen eine Pause ein und warten, bis die Bedingungen besser sind. Beides war diesmal unmöglich. Das Unwetter zog so schnell auf und war so ausgedehnt, dass die Vögel keine Chance hatten, sich zu retten.

Schwalben können nur im Flug fressen

Dazu kommt, dass Schwalben sich erstens ausschließlich von Insekten ernähren und diese zweitens ausschließlich im Flug fangen. Während des starken Regens konnten aber weder die Insekten noch die Schwalben fliegen. „Andere Vogelarten wie zum Beispiel Gartengrasmücken können sich bei Regen im Gebüsch verkriechen und Insekten am Boden oder auf den Blättern suchen“, sagt Schäffer. Wieder andere weichen auf Beeren aus, was Arten wie Schnäpper und Gartenrotschwanz im Herbst ohnehin tun, weil Beeren kalorienreicher als Insekten sind und die Tiere sich einen Wintervorrat anfressen müssen. Die Schwalben können das alles nicht, manche sind schlicht verhungert. Anderen hat die Kälte den Rest gegeben. „Vögel sind gleichwarme Tiere“, sagt Nelson. „Sie müssen auch bei Wind und Regen eine konstante Körpertemperatur aufrechterhalten, und das kostet Energie.“

In Deutschland gibt es zwei Schwalbenarten: Mehlschwalben und Rauchschwalben. Fast alle toten Tiere waren Mehlschwalben. „Von den 120 Vögeln, die nach Regenstauf gebracht wurden, waren nur fünf Rauchschwalben“, sagt Baer. Den Grund dafür vermutet Baer in den unterschiedlichen Flugzeiten der beiden Arten: Die Mehlschwalben hat das Unwetter mitten im Zug erwischt. Rauchschwalben beginnen in der Regel später zu ziehen und sind deshalb wohl nicht in den Starkregen geraten. Auch die Mauersegler hatten Glück: Sie sind ebenfalls Zugvögel, und wie Schwalben fressen auch sie ausschließlich Insekten, die sie im Flug fangen. Doch die Mauersegler fliegen früher los. Sie waren schon durch, als das Unwetter begann.

Ob und wie sich das Sterben der Mehlschwalben auf die Population insgesamt auswirkt, ist offen. „Normalerweise können Vögel mit solchen Ereignissen umgehen und die Verluste wieder ausgleichen“, sagt Baer. Doch das aktuelle Ereignis sei extrem gewesen. Und Mehlschwalben sind zwar nicht vom Aussterben bedroht, „doch die Population schrumpft“, sagt Schäffer. Der Grund dafür seien viele andere Belastungsfaktoren, mit denen die Vögel schon länger zu kämpfen haben: das Insektensterben, aber auch fehlende Nistmöglichkeiten, weil es an Gebäuden immer weniger Nischen gibt, in denen die Tiere ihre Nester bauen können.

Nun ist es durch das Unwetter zu einem sogenannten Zugstau gekommen. Tiere, die auf ihrem Weg nach Afrika jetzt normalerweise vielleicht schon in Südfrankreich oder Spanien wären, sitzen noch in Deutschland fest. „Manche sind immer noch so erschöpft, dass sie nicht weiterfliegen können“, sagt Schäffer. Soll man die Tiere ihrem Schicksal überlassen und hoffen, dass sie sich – da es wieder wärmer wird – erholen, weiterfliegen und etwas verspätet im Winterquartier ankommen? Soll man sie in Volieren überwintern? Diskutiert wird sogar, die erschöpften Schwalben ihren Artgenossen mit dem Flugzeug hinterherzufliegen. Dafür gibt es ein Vorbild: Im Herbst 1974 konnten Vögel wegen wochenlangen Regens an den Alpen ihre Reise in den Süden nicht fortsetzen. Hunderttausende Tiere starben. Die Überlebenden flogen schließlich per Flugzeug in den Süden.

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