Süddeutsche Zeitung

Schülerexperimente:Kopfkissen mit Programmierung

An der Universität Stanford bauen Schüler mit 3-D-Druckern und Lasercuttern eigene Erfindungen. Dabei entstehen erstaunliche Geräte - und Wissenschaftler verstehen, wie Jugendliche lernen

Von Christoph Behrens

Die Produktentwicklung des "Plüsch-Alarms" war von Rückschlägen, schnellen Entscheidungen und letztlich Erfolg geprägt. Zuerst dachte das Team an eine Bettdecke, die die Körpertemperatur überwacht. Doch die Größe der Decke und die Sensoren machten den Entwicklern zu schaffen, das Projekt drohte zu scheitern. Eineinhalb Wochen vor Ende der Frist dann die radikale Wende: Ein Vibrationswecker im Kopfkissen, das war es! Der Plüsch-Alarm war geboren.

"Man legt seinen Kopf aufs Kopfkissen", sagt die 14-jährige Naijah, die den Plüsch-Alarm miterfunden hat. "Das löst den Timer aus. Nach acht Stunden vibrieren die eingenähten Drähte und man wird sanft geweckt." Sie sei mehr für die "Design-Aspekte" zuständig gewesen, ihr 16-jähriger Mitschüler Erik habe sich hingegen um die Programmierung des Kopfkissens gekümmert.

Das Team sieht sehr stolz aus, wie es im "Fablab" (kurz für Fabrikationslabor) der kalifornischen Universität Stanford vor dem verkabelten, blauen Kissen steht. Ein paar Meter weiter surrt ein 3-D-Drucker und formt pinkfarbenes Plastik zu einer kleinen Skulptur, daneben malt ein "Laser-Cutter" Porträts auf Holz und Metall. Viele Spielarten modernster Produktionstechnik sind hier auf kleinem Raum versammelt, 3-D-Scanner, Vinyl-Cutter, Laptops, Sensoren, Thermoforming-Geräte. Und überall dazwischen: Teenager.

Noch vor Kurzem wäre ein solches Labor für Schüler undenkbar gewesen. Ein anständiger 3-D-Drucker kostete mehr als 50 000 Euro, nur Forschungseinrichtungen und Firmen konnten sich das leisten. Heute bekommt man die gesamte Laboreinrichtung zu diesem Preis, 3-D-Drucker gibt es für weniger als 1000 Euro, und die Kosten für diese Technologien fallen weiter. "Als wir 2009 angefangen haben, hielten mich meine Kollegen für verrückt", sagt Paulo Blikstein von der Stanford Graduate School of Education. Der junge Professor hatte die Idee, Schüler und High-Tech in einen Raum zu stecken, um zu sehen was dabei passiert. "Schüler an 3-D-Druckern, das erschien vielen absurd."

Doch der Erfolg kann sich sehen lassen. Nach Stanford schafften zwei Schulen in Kalifornien ein Fablab mit Spendengeldern an, dann exportierte Blikstein die Idee bis nach Russland und Thailand. Weitere Fablabs sind in Schulen in Australien, Dänemark und Indonesien geplant. Für Erwachsene existieren bereits zahlreiche solcher Werkstätten weltweit, in Deutschland etwa in Berlin oder München. Blikstein glaubt, dass sie auch den Physik- und Matheunterricht grundlegend verändern können. "Wenn man Sport unterrichtet, braucht man eine Turnhalle. Wenn man Musik unterrichtet, braucht man einen Musikraum", sagt er. "Genauso ist es mit Technik."

Was er damit meint, wird schnell klar, wenn man die Schüler bei der Arbeit beobachtet. Schüler einer Highschool verpassen ihren Erfindungen den letzten Schliff. Vier Wochen lang haben sie sechs Stunden täglich daran gefeilt - ihre Schule gab ihnen dafür kurz vor den Sommerferien frei. Ein Team hat etwa eine Spielkonsole und einen Fernseher in einen Koffer eingebaut. Die Konstruktion versahen sie mit einer Technik, um die Konsole nach einer gewissen Spielzeit automatisch abzuschalten. Drei weitere Schüler haben einen Entfernungsmelder entworfen, der seinen Träger warnt, falls jemand sich von hinten auf weniger als 80 Zentimeter nähert. "Wir haben eine Mitschülerin gefragt, was ihr im Alltag helfen würde", sagt der 17-jährige Ian. "Sie geht gerne nachts spazieren, deshalb haben wir für sie den Entfernungsmelder erfunden."

Um ihn zu bauen, mussten sie die Daten von acht verschiedenen Ultraschall-Sensoren auslesen und einen Mittelwert berechnen. Falls einer keine korrekten Daten lieferte, musste das Verfahren entsprechend angepasst werden. Die Schüler schrieben ein Programm für einen Mikrocontroller, also einen kleinen Chip, der die Sensoren und den Alarm ansteuert. Das alles bewerkstelligten sie in rund zwei Wochen. Auf dem Weg zum fertigen Produkt, so das Kalkül von Bliksteins Forschungsgruppe, lernen die Schüler nebenbei die nötigen physikalischen Formeln und nutzen sie für ihre Zwecke. Im Fall des Entfernungsmelders, wie lange es dauert, bis Schallwellen ein Objekt in 80 Zentimeter Entfernung erreichen und zum Sender zurückkehren.

Blikstein kann viele solcher Erfolgsgeschichten erzählen: Von dem Mädchen aus einer Einwandererfamilie, das in zwei Wochen programmieren lernte. Von der Geschichtslehrerin, die ihre Schüler Erfindungen Leonardo da Vincis im 3-D-Drucker nachbauen ließ, um ihnen so die Renaissance zu vermitteln. Die Idee dazu geht auf den Erziehungswissenschaftler Seymour Papert zurück, der glaubte, man könne Schülern theoretische Konzepte besser nahebringen, wenn sie zugleich mit den Händen etwas herstellen würden. "Die Konstruktion 'im Kopf' gelingt besonders, wenn sie von einer Konstruktion 'in der Welt' unterstützt wird, einem Produkt, das hergezeigt, diskutiert und bewundert werden kann", schrieb Papert bereits 1980.

Dieses Konzept versucht Blikstein mit den Fablabs zu verwirklichen. Doch der Professor beeilt sich, die Erwartungen daran zu bremsen. Er habe schon zu viele "Aufgeregtheits-Zyklen" gesehen, mit Computerräumen oder Tablets in Klassenzimmern etwa. Am Anfang sei jeder dafür. Dann schlafe die Idee ein, und am Ende wolle keiner mehr etwas damit zu tun haben. "Ich habe schon zu viele Blasen platzen sehen", sagt Blikstein, deshalb wolle er seiner Idee zuerst eine "rigorose wissenschaftliche Härte" verpassen.

Denn das wichtigste Objekt im Fablab ist nicht ein 3-D-Drucker oder Laser, sondern eine unscheinbare, silberne Kugel, die zentral im Raum hängt: eine 360-Grad-Kamera. Sie beobachtet die Schüler bei ihrer Arbeit. Die Forscher lernen so, wie die Schüler lernen. "Klar macht es den Schülern Spaß. Aber wir wollen untersuchen, was sie wirklich voranbringt", sagt Diana Garcia, Direktorin der Graduate School of Education. Die Schüler wüssten, dass sie beobachtet werden, beruhigt sie.

Die Arbeitsgruppe analysiert etwa, wie Schüler mit der Technik umgehen, wie sie sich im Labor bewegen oder die Arbeit im Team aufteilen. Selbst wie sich die Sprache der Jugendlichen im Labor entwickelt, interessiert die Forscher, zum Beispiel, wie oft sie technische Vokabeln benutzen. "Neulinge finden oft eine schnellere, kreativere Lösung", sagt Garcia. Die technisch versierteren Schüler gingen dagegen häufig voreingenommen an ein Problem heran. Besonders auf die Schüler ohne große Technikaffinität haben es die Forscher abgesehen. Mit bunten Farben, einer offenen Architektur und großen Beschriftungen versuchen sie im Fablab eine einladende Atmosphäre zu schaffen. Den technophoben Schülern soll das zumindest die Angst vor Physik und Mathe nehmen.

"Wenn man in ein Team Schüler steckt, die zuvor kein großes Interesse an Wissenschaft und Mathematik hatten, kommen meist die kreativsten Ergebnisse heraus", sagt Blikstein. "So wie das Kissen mit dem Plüsch-Alarm." Dass die besten Ideen entstehen, wenn das Team möglichst bunt zusammengewürfelt ist, machen sich auch zwei Nachbarn von Stanford zunutze. Das Prinzip gilt als ein Erfolgsrezept von Apple und Google.

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SZ vom 26.06.2013/mcs
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