Süddeutsche Zeitung

Wintereinbruch:Ab wann Schnee für Dächer gefährlich wird

  • In Deutschland ist akribisch geregelt, gegen welche Schneelast Bauten an welchem Ort gewappnet sein müssen. Der Alpenrand gehört zur höchsten Kategorie.
  • Besonders schneereiche Orte wie Jachenau und Berchtesgaden müssen die Statik von Gebäuden um weitere 15 bis 40 Prozent verstärken.
  • Nasser, klebriger Neuschnee ist besonders schwer, er wiegt bis zu 200 Kilogramm pro Kubikmeter. Die gleiche Menge Pulverschnee wiegt weniger als ein Viertel so viel.

Von Patrick Illinger

Auf mikroskopischen Aufnahmen ist Schnee zweifellos die interessanteste und schönste Daseinsform von Wasser. Die in Sechseck-Symmetrie geformten, oft filigranen, sternförmigen Eiskristalle sind kleine Kunstwerke der Natur. Von gewisser Ästhetik ist Schnee auch im makroskopischen Bereich, wenn er die Landschaft umhüllt, den Wegesrand säumt und weiße Häubchen auf Dächern formt. Doch wie so oft im Leben gilt: Zu viel ist zu viel. Wenn Hausdächer einbrechen, Orte vom Rest der Welt abgeschnitten sind und Menschen von Lawinen erdrückt werden, wird Schnee zur tödlichen Last.

"Schneelast" ist auch der offizielle Begriff für die zerstörerischen Kräfte, die Schnee ausüben kann. Die Schneelast wird gemessen in Newton pro Quadratmeter, also einer Kraft pro Fläche. In Deutschland ist akribisch geregelt, gegen welche Schneelast Bauten an welchem Ort gewappnet sein müssen. Das Bundesgebiet ist hierfür in Zonen eingeteilt: 1, 1a, 2, 2a und 3. Der jetzt heftig von Schneefällen betroffene Alpenrand gehört erwartbar zur höchsten Kategorie. Hinzu kommt für jeden Ort ein Faktor, der sich aus der geografische Höhe errechnet.

Zudem schreibt eine Liste des Deutschen Instituts für Bautechnik besonders schneereichen Orten vor, die Statik von Gebäuden um weitere 15 bis 40 Prozent zu verstärken. Die derzeit eingeschneiten Gemeinden in der Jachenau und bei Berchtesgaden gehören dazu. Dort muss unter Anwendung aller behördlichen Vorschriften mit gut 650 Kilogramm Schnee pro Quadratmeter kalkuliert werden. In München beträgt die zu erwartende Schneelast gut 115 Kilogramm.

Nasser Schnee wiegt deutlich mehr als Pulverschnee

Die Zone mit den schärfsten Schneelastwerten ist übrigens nicht auf den Alpenraum beschränkt. So müssen auch einige Orte im Harz mit mehr als einer halben Tonne Schnee pro Quadratmeter kalkulieren. Wie viel ein Dach aushält, ergibt sich dann noch aus der Geometrie, insbesondere der Schräge der Dachflächen.

Wie gefährlich Schnee wird, hängt indes nicht nur davon ab, wie viel Schnee fällt, sondern auch davon, wie viel liegen bleibt. Bei Plusgraden am Boden taut Schnee schneller, als er fällt. Bei deutlichen Minusgraden fällt indes kaum Schnee, denn je kälter die Luft ist, desto trockener ist sie. Das ist der Grund, warum in der Antarktis im ganzen Jahr nur wenige Zentimeter Schnee herabrieseln. Je nach Sichtweise ideal oder fatal sind leichte Minusgrade in höheren Luftschichten und eine Temperatur rund um den Gefrierpunkt am Boden. Dann schweben bauschige Flocken herab, mitunter mit Eis und Wassertropfen angereichert. Am Boden neigt der Schnee zum Verklumpen. Das Volumen nimmt ab, die Dichte zu. Während pulvriger Neuschnee um die 30 bis 50 Kilogramm pro Kubikmeter wiegt, bringt es nasser, klebriger Neuschnee auf bis zu 200 Kilogramm. Bei Temperaturen um null Grad füllen sich die Lücken und Poren der Eiskristalle zusätzlich mit Wasser und machen den Schnee noch schwerer. Im Extremfall kann Altschnee bis zu 800 Kilogramm pro Kubikmeter schwer werden.

Der derzeit fallende Neuschnee ist daher vor allem aufgrund des Volumens ein Problem. Er verstopft Straßen und Hauseingänge. Doch die Last auf den Dächern liegt noch im grünen Bereich. Gefährlich könnte es werden, wenn es in den kommenden Tagen und Wochen abwechselnd friert und taut. So war es 2006, als der Schnee fast drei Monate lang nicht mehr abschmolz und sich in kompakten, teils meterhohen Schichten absetzte. In diesem Fall sollten Dächer geräumt werden - wegen Einsturzgefahr.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2019
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