Süddeutsche Zeitung

Klimageschichte:Die schlimmste Zeit, um lebendig zu sein

  • Im Jahr 536 verdunkelte sich plötzlich der Himmel, die Temperaturen fielen und auf der Nordhalbkugel gingen die Ernten ein.
  • Klimaforscher haben nun die wahrscheinliche Ursache für die Wetterkapriolen gefunden: Die Asche eines Vulkanausbruchs auf Island soll sich wie ein Schleier um die Erde gelegt haben.

Von Christoph von Eichhorn

Schreckliche Zeiten hat die Menschheit einige erlebt - etwa Mitte des 14. Jahrhunderts, als die Pest Europa entvölkerte. Auch die Religionskriege der frühen Neuzeit gehen kaum als goldenes Zeitalter in die kollektive Erinnerung ein. Doch welches war der absolut ungünstigste Zeitpunkt, um auf der Welt zu sein? Nach Ansicht von Historikern und Klimaforschern ist das Jahr 536 ein heißer Kandidat dafür.

"Es war der Anfang von einem der schlimmsten Zeitalter, um lebendig zu sein, wenn nicht das schlimmste Jahr", zitiert das Magazin Science den Mediävisten Michael McCormick von der Universität Harvard. Im Fachblatt Antiquity berichtet McCormick zusammen mit dem Gletscherforscher Paul Mayewski, dass Vulkanausbrüche auf Island die Wetterkapriolen des sechsten Jahrhunderts auslösten, und so die Welt ins Unglück stürzten.

Schon zeitgenössische Quellen beklagen Missernten quer über den Globus in den Jahren ab 536 nach Christus. Von Irland über den Nahen Osten bis Asien ging das Getreide ein, in China fiel im Sommer Schnee. "Die Sonne, ohne Strahlkraft, leuchtete das ganze Jahr hindurch nur wie der Mond und machte den Eindruck, als ob sie fast ganz verfinstert sei", berichtet der byzantinische Geschichtsschreiber Prokopius. Eineinhalb Jahre lang soll es auch am Tag kaum hell geworden sein. Die Temperaturen fielen durchschnittlich um 1,5 bis zwei Grad Celsius.

Die Spur führt nach Island

Um herauszufinden, was die Wetteranomalien auslöste, analysierten die Wissenschaftler einen Eisbohrkern aus einem Schweizer Gletscher. An diesem 72 Meter langen Block lässt sich die klimatische Geschichte bis zu 2000 Jahre zurückverfolgen. Je tiefer man bohrt, umso weiter in die Vergangenheit blickt man zurück. Für das Jahr 536 stießen die Wissenschaftler auf verräterische Spuren aus vulkanischem Glas. Die chemische Zusammensetzung des Vulkangesteins deutet daraufhin, dass es einst von einem Vulkan auf Island ausgespien wurde. Für die Jahre 540 und 547 fanden die Forscher zwei weitere Ausbrüche. Die Asche dieser Ausbrüche soll also den Himmel verfinstert haben.

Schon 2015 schlugen Klimaforscher in Nature eine Eruption als Auslöser für den Temperatursturz vor, ohne diese aber näher einzugrenzen. Dass Vulkanausbrüche das Wetter durcheinanderbringen können, ist recht gut belegt. Als im Jahr 1815 in Südostasien der Tambora ausbrach, legte sich seine Asche wie ein Schleier um die Erde, es folgten Missernten und Hungersnöte.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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