Schlechte Aussichten für Skifahrer:Schnee von Morgen

Der Klimawandel wird das Gesicht der Alpen verändern. Ein Blick auf die Bergwelt in 30 Jahren.

Titus Arnu

Es ist Februar 2036. In München scheint die Sonne, es ist ungewöhnlich warm. An der Leopoldstraße sitzen die Menschen im Straßencafé.

Schlechte Aussichten für Skifahrer: Vor allem in tieferen Lagen könnte es bald vorbei sein mit dem Skivergnügen.

Vor allem in tieferen Lagen könnte es bald vorbei sein mit dem Skivergnügen.

(Foto: Foto: AP)

Die Wiesen im Englischen Garten sind grün, erste Krokusse sprießen. Wer ein wenig Wintergefühl erleben will, muss weit fahren, nach Hintertux oder nach Zell am See, wo noch Gletscherskigebiete existieren.

In zwei von drei Wintersportorten der Alpen stehen die Liftanlagen still. Unterhalb von 1500Metern gibt es seit Jahren zu wenig Schnee. Im Ötztal und im Pitztal, wo zwischen 2010 und 2020 das größte Gletscherskigebiet Europas entstanden ist, liegt dagegen zu viel Schnee.

Oberhalb von 2600 Metern Höhe ist in den vergangenen Wochen so viel Schnee gefallen, dass die Pisten sicherheitshalber gesperrt bleiben - wegen akuter Lawinengefahr.

Die Behörden überlegen sogar, die Orte zu evakuieren. Denn seit dem großen Waldbrand im extrem trockenen und heißen Sommer 2035 sind weite Flächen des Schutzwaldes oberhalb der Siedlungen nicht mehr vorhanden. Stattdessen gibt es dort jetzt nur noch eine Wüste aus verkohlten Baumstümpfen, Geröll und Schlamm.

Ein Horrorszenario - oder eine realistische Einschätzung? Nach Ansicht von Ökologen und Meteorologen könnte die Zukunft vieler Orte in den Alpen tatsächlich so ähnlich aussehen wie eben skizziert.

Wissenschaftler sind schon jetzt aufgrund von Klimadaten in der Lage, relativ genau abzuschätzen, wie sich das größte europäische Gebirge in den kommenden Jahrzehnten verändern wird.

Skifahrer müssen hoch hinaus

Fast alle Szenarien rechnen mit einer Erwärmung der Atmosphäre. Je höher diese geschätzte Temperaturzunahme ist, desto drastischer sind die Folgen. Die Forscher sind sich weitgehend einig, dass die Grenze für schneesichere Skigebiete in den kommenden 50 Jahren von derzeit 1200 auf 1500 Meter steigen wird.

"Schneesicherheit" ist genau definiert: An 100 Tagen zwischen dem 1. Dezember und dem 15. April muss in sieben von zehn Wintern mehr als 40 Zentimeter Schnee liegen.

Das hieße, dass etwa zwei Drittel aller europäischen Wintersportorte massive wirtschaftliche Probleme bekämen. Der Bayerische Wald und der Schwarzwald wären nicht mehr schneesicher - der höchste Berg des Schwarzwalds, der Feldberg, ist 1493 Meter hoch, der Große Arber im Bayerischen Wald 1456 Meter.

Auch viele der niedrig gelegenen Skigebiete in Österreich und in der Schweiz wären betroffen. Schnee von morgen? Zum Teil sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits jetzt messbar.

"Gemäß historischer Aufzeichnungen hat es in den letzten fünf Jahrhunderten in tieferen Lagen nicht so eine Häufung von schneearmen Wintern gegeben wie in den vergangenen 15 Jahren", sagt Christoph Marty, Klimatologe am Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos, "unter 1300 Metern nimmt die Schneemenge seit Anfang der Achtzigerjahre ganz rapide ab."

Dazu kommen heiße Sommer wie im Rekordjahr 2003 und lange Trockenperioden wie im Herbst 2005. Ende des vergangenen Jahres gaben britische Klimaforscher einen neuen Rekordwert bekannt: Die mittlere Temperatur lag bis November 2005 um 0,65 Grad Celsius über dem Mittel der vergangenen vier Jahrzehnte.

Global betrachtet sei 2005 das wärmste Jahr auf der Nordhalbkugel gewesen, das seit Beginn der verlässlichen Aufzeichnung von Wetterdaten Mitte des 19. Jahrhunderts gemessen wurde - das teilte die University of East Anglia in Norwich mit.

Unten zu wenig Schnee, oben zu viel davon

Auf die Alarmzeichen der Natur reagiert die Wissenschaft mit intensiver Klimafolgenforschung in den Alpenländern.

Das Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat sieben Szenarien entwickelt, die den Anstieg der Durchschnittstemperatur in Europa auf 2,1 bis 4,4 Grad in den kommenden 50 bis 80 Jahren beziffern. Klimaforscher der ETH Zürich kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Auf solchen allgemeinen Berechnungen baut das interdisziplinäre Forschungsprojekt "Alpscape" auf: Forscher des Davoser Instituts SLF haben aus Klimadaten ein Szenario entwickelt, wie sich ein typischer Wintersportort in den kommenden 30 bis 50 Jahren verändern könnte, falls die Prognosen zutreffen.

Die Studie stützt sich auch auf Schätzungen des Weltklimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change).

Die Forscher haben wirtschaftliche Faktoren, Veränderungen bei der Landnutzung und politische Überlegungen einbezogen. Wichtigstes Ergebnis: Die ökonomischen Folgen werden am schnellsten zu spüren sein, weil die Wintertouristen ausbleiben. "Die Veränderungen in der Natur dagegen sind komplex und lassen sich nicht so leicht vorhersagen", sagt Peter Bebi, einer der Forscher.

Manchen Baumarten etwa würden höhere Temperaturen gut bekommen, andere würden verdrängt. Relativ klar scheint sich die Entwicklung bei der Eisschmelze und den Niederschlägen abzuzeichnen. Wer Daten der 200 Schneestationen in der Schweiz vergleicht, stellt bereits heute Veränderungen fest.

Unterhalb von 1300 Metern liegt heute weniger Schnee als noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Wenn die IPCC-Szenarien eintreffen, dann wird es in Zukunft zwei gegenläufige Entwicklungen geben.

Während es in tieferen Lagen unter 1300 Metern wohl immer weniger Schnee geben wird, ist in Hochlagen über 2500 Metern sogar mehr Schnee zu erwarten als heute, da insgesamt mehr Niederschlag fällt.

Auf 3200 Metern laufen Schneekanonen

Dafür schmilzt der Schnee auch früher wieder weg als bisher, weil die Frühjahre immer wärmer ausfallen. Marty erkennt in den gemessenen Daten erste Anzeichen, dass diese Entwicklung eintreffen könnte.

Weniger Schnee in tiefen Lagen - was liegt somit näher, als die Skigebiete nach oben auszudehnen? Im ganzen Alpenraum sind neue Liftprojekte in Planung, oft in Höhen über 3000 Metern.

Die Liftgesellschaften des Ötztals und des Pitztals in Österreich wollen ihre Gebiete zusammenschließen und zu diesem Zweck eine Gondelbahn durch ein geschütztes Gletschergebiet bauen.

In Saas Fee im Wallis, wo man bereits bis auf 3600 Metern Ski fahren kann, soll bis 2008 der Chessjen-Gletscher neu mit Liften erschlossen werden.

Nach einer Bestandsaufnahme der Alpenschutzorganisation Cipra sind im gesamten Alpenraum derzeit 100 Liftprojekte geplant, davon befinden sich mehr als 30 in den Gletscherregionen.

Auf insgesamt 18 Gletschern, zum Beispiel in der Schweiz (Titlis-Gletscher), in Österreich (Schladminger Gletscher) oder in Italien (Indren-Gletscher), ist der Aus- oder Neubau von Gondelbahnen und Bergstationen geplant. Selbst am Rand des Unesco-Weltnaturerbes Aletsch- Gletscher wurde eine futuristisch anmutende Bergstation eingeweiht.

In Tirol sollen sogar auf bisher unberührten Gletschern wie dem Gepatschferner Seilbahnen errichtet werden. "25 Prozent der Landesfläche Tirols sind Schutzgebiete, die dürfen nicht weiter bebaut werden", fordert Stefan Witty, Umweltreferent des Deutschen Alpenvereins.

"Die Klimaveränderung wird von den Touristikmanagern heute gerne auch als Entschuldigung genommen, die Pisten immer mehr und immer höher hinauf zu beschneien", sagt Christoph Marty. Mehr als 90 Prozent der 1220 Pistenkilometer im Gebiet "Dolomiti Superski" in Südtirol werden künstlich beschneit.

In Saas Fee wurde in diesem Winter eine Beschneiungsanlage auf 3200 Metern Höhe in Betrieb genommen. Das Gletscherskigebiet dort wird mit Schneekanonen fit für den Frühling gemacht, damit die Schneedecke noch länger hält.

Schnee von Morgen

Keine Gletscher mehr im Jahr 2100

Schlechte Aussichten für Skifahrer: Der Gorner Gletscher vor dem Matterhorn. Das Bild der Alpen verändert sich.

Der Gorner Gletscher vor dem Matterhorn. Das Bild der Alpen verändert sich.

(Foto: Foto: AP)

Im Frühjahr 2005 wurden Teile des Gurschen-Gletschers bei Andermatt zu Testzwecken mit Folien abgedeckt, um sie vor der Sonneneinstrahlung zu schützen. Das Experiment gelang, der Gletscher war im Herbst an den geschützten Stellen 1,5 Meter dicker als sonst. Das wird die Gletscher allerdings wohl auch nicht retten.

Denn Glaziologen sind sicher, dass die meisten Alpengletscher bis zum Jahr 2100 nahezu völlig abgetaut sind. Nach der Studie "Die Alpen im Treibhaus" von Greenpeace Österreich wird sich der Rückgang weiter beschleunigen. Das bestätigen auch neue Untersuchungsergebnisse des Alfred-Wegener- Instituts (AWI) in Bremerhaven.

Das Abschmelzen der Berggletscher sei ein bedeutend höheres Risiko als bisher angenommen, sagt die Klimawissenschaftlerin Sarah Raper vom AWI: "Schon bald kann das zu katastrophalen Überschwemmungen durch Gletscherseen führen, vor allem in Hochgebirgsregionen wie Nepal.

"Weil in 20 bis 50 Jahren die Alpengletscher zu einem großen Teil abgeschmolzen sein werden, "wird die Schneedecke auch für die Umwelt eine noch größere Rolle spielen als heute", sagt Klimatologe Christoph Marty.

Gletscher und Schneeflächen funktionieren wie große Klima-Kühlschränke, erklärt er. Schnee und Eis isolieren den Boden, reflektieren das Licht und halten so die Temperatur niedrig.

Wenn diese kühlende Schicht nicht mehr da ist, heizt die Sonne den Boden stärker auf, sodass sich die Umgebung und letztendlich das Klima zusätzlich erwärmt.

Dieser Rückkopplungseffekt tritt weltweit auf: 30 Prozent der Erdoberfläche sind saisonal schneebedeckt. In 2500 Metern Höhe liegt in den Alpen normalerweise acht bis elf Monate lang Schnee.

Sechs Prozent der Landesfläche der Schweiz sind so fast dauerhaft gefroren. Doch auch der Permafrostboden taut immer mehr auf. Im extrem heißen Sommer 2003 begann sogar der Gipfel des 4478 Meter hohen Matterhorns zu bröseln.

Eine tiefgefrorene Wand taute in der warmen Sonne langsam an, Felsen begannen sich in der Höhe von 4300 Metern zu lösen und stürzten ins Tal.

Erstmals seit der Erstbesteigung musste der Schweizer Nationalberg für Bergsteiger gesperrt werden. Bergsteiger und Skifahrer fragen sich zu Recht, ob sie ihre Hobbys in ein paar Jahrzehnten noch ausüben können.

Gefahr von Naturkatastrophen

Aber es geht nicht nur um weniger Spaß im Schnee. "Wenn der Permafrostboden auftaut, hat das auch Folgen für den Menschen", sagt Marcia Phillips vom SLF in Davos.

"Die größten Probleme werden bei Gebäuden und Lawinen- verbauungen auftreten." Straßenschutzbauten, Brücken oder Seilbahnstützen, die im Fels verankert sind, können instabil werden, wenn der Untergrund auftaut.

Als weitere Folgen nennt Phillips Steinschlag und Murenabgänge, die verstärkt Siedlungen bedrohen werden. Wenn das Eis im Fels schmilzt, können außerdem so genannte Thermokarst- Senkungen entstehen, das sind Krater, die auch auf Skipisten und Wegen auftauchen.

Da 20 bis 30 Prozent des Permafrostbodens aus Eis bestehen, bilden sich Hohlräume, wenn das gefrorene Wasser schmilzt und in den Untergrund sickert. Der Boden sinkt ein, die Oberfläche wird löchrig.

Betroffene Gebiete sehen dann aus wie Schweizer Käse. Noch ist die Permafrostforschung ziemlich am Anfang, denn groß angelegte Messreihen dazu gibt es erst seit etwa 30 Jahren.

Schneehöhen und Niederschlagsmengen dagegen werden seit rund 100 Jahren aufgezeichnet. So viel steht jedoch schon fest: Die steigenden Durchschnittstemperaturen werden dazu führen, dass die Permafrostgrenze in den Bergen immer weiter nach oben wandert.

Die Forscher rechnen mit etwa 150 Höhenmetern für die kommenden 100 Jahre. Der Anstieg der Permafrostgrenze wird Folgen für die Häufigkeit und die Heftigkeit von Naturkatastrophen haben.

Muren, Steinschlag, Erdrutsche und Hochwasser, so prognostizieren die Wissenschaftler, werden durch ein wärmeres Klima in den Alpen stark begünstigt und bedrohen zunehmend auch bisher verschonte Regionen.

An der Universität Innsbruck wurde nachgewiesen, dass im Einzugsbereich der Ötztaler Ache durch Auftauen der ehemals gefrorenen Böden bisher 180 Millionen Kubikmeter Geröll und Schutt locker geworden sind. Bei extremen Niederschlägen werden dort Muren niedergehenund große Schäden anrichten.

Peter Bebi, Gebirgsökologe am SLF und einer der Initiatoren des "Alpscape"-Projekts, hat die möglichen Folgen für Flora und Fauna untersucht. Ein Szenario beschreibt, dass sich der Wald weiter ausdehnen könnte.

Allerdings nicht wegen des Klimawandels, sondern wegen Veränderungen bei der Landnutzung. Da sich die Landwirtschaft in den Alpen immer weniger lohnt, könnten sich die Bäume freie Flächen zurückerobern - was einen positiven Effekt hätte, denn der Wald schützt das Tal vor Lawinen.

Durch die trockeneren und wärmeren Sommer könnte die Gefahr von Waldbränden steigen. Die Veränderungen in der Vegetation sind allerdings äußerst komplex und schwer zu berechnen.

Im Winter Regen, im Sommer Dürre

Wenn Gletscher verschwinden, die Schneegrenze steigt und der Permafrostboden nach und nach aufweicht, führt das nicht nur zu Veränderungen in den Alpentälern, sondern auch in weit entfernten Gegenden.

Das Szenario der "Alpscape"-Forscher sieht eine Zunahme der Niederschläge im Winter (plus fünf Prozent) und eine Abnahme der Sommerniederschläge (minus zehn Prozent) voraus.

Weltweit sind ein Drittel der Landwirtschaftsflächen vom Schmelzwasser aus den Gebirgen abhängig. Da im Winter mehr Niederschlag in den Bergen fällt, der früher schmilzt als bisher, erhöht sich die Gefahr von Überflutungen. Im Sommer dagegen werden die Wasserstände niedriger sein.

Durch diese Veränderungen könnte sich auch das Klima an der Donau, am Rhein und an der Rhone ändern, wie die Abteilung Earth Sciences der Universität Bristol herausfand.

Für manche Teile Europas erwarten die Wissenschaftler im Sommer bedrohlichen Wassermangel. Das Potsdam-Institut hält nicht nur weite Teile Spaniens, Italiens und Südfrankreichs für gefährdet, sondern sogar Regionen in Süddeutschland, der Schweiz und Nordfrankreich.

Vielleicht erscheinen die futuristischen Pläne des österreichischen Touristik-Managers Günther Aloys daher gar nicht mehr so weltfremd.

Aloys machte den Vorschlag, das Skigebiet Ischgl zu überdachen und ganzjährig künstlich zu beschneien. So wäre man unabhängig von Wind, Wetter und Klimawandel.

Dazu will er eine Downhill-Achterbahn bauen, die längste Steintreppe der Welt und die Snowboardanlage "Pamela" in Form eines weiblichen Körpers. Man muss sich eben etwas einfallen lassen, wenn der Schnee nicht mehr reicht.

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