Schlangen:Todbringende Gene

Schlangen: Die südasiatische Kobra, auch Brillenschlange genannt.

Die südasiatische Kobra, auch Brillenschlange genannt.

(Foto: H. Krisp / CC3.0)

Forscher haben erstmals das Gift der Kobra anhand ihres Erbguts analysiert. Das könnte die Herstellung synthetischer Gegenmittel ermöglichen.

Von Walter Willems

Millionen Menschen werden jedes Jahr von Giftschlangen gebissen. Die Folgen reichen von Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel und Lähmungen bis hin zum Tod: Rund 100 000 Bissopfer sterben laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich an dem Gift. Bis zu 500 000 weitere bleiben dauerhaft geschädigt, sie verlieren etwa ihr Augenlicht oder müssen Gliedmaßen amputieren lassen. Das liegt vor allem daran, dass Gegenmittel oft nicht verfügbar sind, aber auch daran, dass die Zusammensetzung der Schlangengifte nicht genau bekannt ist.

Nun hat ein internationales Forscherteam die Toxine der Südasiatischen Kobra anhand ihres Erbguts bis ins Detail analysiert. Die Resultate könnten nicht nur die Entwicklung synthetischer Antikörper gegen Schlangengifte ermöglichen, sondern auch neue Medikamente gegen diverse Erkrankungen.

Von den mehr als 3000 Schlangenarten seien rund 600 giftig, schreibt das Team um Somasekar Seshagiri vom kalifornischen Biotechnologie-Unternehmen Genentech im Fachblatt Nature Genetics. Die weitaus meisten Todesfälle durch Schlangenbisse gibt es in Asien. Allein in Indien sterben demnach mehr als 46 000 Menschen pro Jahr an Schlangenbissen, vor allem durch vier hochgiftige Arten: die Kettenviper (Daboia russelii), die Gemeine Sandrasselotter (Echis carinatus), den Gewöhnlichen Krait (Bungarus caeruleus) und die auch Brillenschlange genannte Südasiatische Kobra (Naja naja).

Derzeit werden Antivenome unter anderem aus dem Blutserum von Pferden hergestellt

Ein Problem ist, dass Gegengifte sehr teuer und oft nicht verfügbar sind, vor allem in ländlichen Regionen, wo die meisten Menschen gebissen werden. Solche Antivenome werden derzeit hergestellt, indem man etwa Pferden Schlangengift verabreicht und dann aus dem Blutserum der Tiere Antikörper isoliert. Ein zweites Problem ist, dass die genaue Zusammensetzung der Gifte, die selbst innerhalb einer Art variieren kann, bislang nur wenig bekannt ist. Um dies zu ändern, entschlüsselten die Forscher nun das Erbgut der Südasiatischen Kobra, wobei sie sich auf jene Gene konzentrierten, die mit den Giftdrüsen in Zusammenhang stehen. Der dort gebildete Giftcocktail schädigt unter anderem Nerven, Zellen und Gewebe, Herz und Blutkörperchen. Bislang werden Schlangengifte vor allem per Massenspektrometrie auf Proteine analysiert.

Mit ihrer Studie streben die Forscher um Seshagiri nun ein neues Konzept an: Sie wollen die einzelnen Giftstoffe der Arten anhand des Erbguts präzise charakterisieren und in Datenbanken zusammenfassen. Damit könnte man in der Zukunft Gegengifte synthetisch herstellen und möglicherweise sogar ein Breitband-Antivenom produzieren, hoffen die Wissenschaftler. Zudem könnten die Erkenntnisse zu neuen Medikamenten wie etwa Schmerzmitteln oder Blutdrucksenkern führen. "Qualitativ hochwertige Genome von Giftschlangen werden die Schaffung eines umfassenden Katalogs von Giftdrüsen-spezifischen Toxingenen ermöglichen, die zur Entwicklung synthetischer Gegengifte oder bestimmter Kombinationen genutzt werden können", schreiben sie.

In Verbindung mit den Giftdrüsen stießen die Forscher im Kobra-Genom auf 139 Gene, die den Bauplan für Substanzen aus 33 Giftstofffamilien liefern. 96 davon haben Entsprechungen bei der Königskobra (Ophiophagus hannah), die übrigen 43 nicht.

19 Toxine, die von den Giftdrüsen produziert werden, stehen demnach im Zentrum des Giftcocktails. Auffällig sind darunter die insgesamt neun nach ihrer dreigliedrigen Form benannten 3-Finger-Toxine (3FTxs), die unter anderem teils auf Nerven, teils auf Herz und teils auf Zellen und Gewebe wirken. Diese 3FTxs sind vor allem in der Familie der Giftnattern (Elapidae) verbreitet, zu denen neben Kobras auch Mambas, Seeschlangen und die extrem giftigen Taipane zählen. Wahrscheinlich verursachten die gefundenen 139 Toxingene "ein breites Spektrum von Symptomen, darunter Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, Muskellähmung, Übelkeit, Sehstörungen und systemische Wirkungen wie etwa Blutungen", schreiben die Wissenschaftler. Ein Katalog, der die Toxin-Variationen sowohl innerhalb einer Art als auch artenübergreifend enthalte, sei wichtig für die Herstellung eines breit wirksamen Gegengiftes.

"Den ganzen Giftcocktail, der aus vielen Toxinen besteht, umfassend aufzuführen, ist bahnbrechend", sagt Guido Westhoff, Vorsitzender des Vereins Serum-Depot Deutschland. Der Verein ist ein Zusammenschluss von privaten und öffentlichen Giftschlangenhaltern und bemüht sich, für Bissunfälle Gegengifte bereitzustellen. Der Zoologe Westhoff ist überzeugt, dass synthetisch hergestellte Gegengifte weitaus wirksamer und gleichzeitig verträglicher wären als die derzeitigen, von anderen Säugetieren entnommenen Antikörper. Diese wirkten mitunter nicht sehr zielgerichtet und könnten Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen hervorrufen.

Ein Katalog der Arten und ihrer Toxine könnte zu einer breit wirksamen Substanz führen

Martin Metz von der Berliner Charité spricht von einer umfassenden Analyse, die viele Möglichkeiten bieten könne. "Es ist wichtig, dass sich jemand mit dem Thema beschäftigt", sagt der Dermatologe. "Schlangenbisse sind ein riesiges weltweites Gesundheitsproblem, das unbeachtet ist." Zwar seien humanisierte synthetische Antikörper tatsächlich besser und verträglicher als die derzeit üblichen Antivenome. Ob deren Herstellung aber - wie von den Autoren behauptet - auch günstiger sei, müsse sich erst zeigen. Interessant sei zudem die von den Forschern anvisierte Giftstoffdatenbank. "Wenn man einen Katalog der Schlangengifte hat und viele Toxine bei mehreren Arten vorkommen, dann wäre das eine Möglichkeit für ein Breitband-Antivenom."

Das medizinische Potenzial von Schlangengiften sei schon lange bekannt, ergänzt Westhoff. So habe man in Deutschland aus dem Gift der Malayischen Grubenotter (Calloselasma rhodostoma) ein Präparat gegen Gefäßverschlüsse hergestellt. Auch das Gift der Brillenschlange werde schon seit Längerem auf sein therapeutisches Potenzial hin untersucht.

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