Süddeutsche Zeitung

Schlammvulkan Lusi:Die größte Dreckschleuder der Welt

  • Seit 2006 bricht der Lusi auf Indonesien ununterbrochen aus, Zehntausende Kubikmeter Schlamm ergießen sich jeden Tag in die Umgebung.
  • Als Antrieb des Naturspektakels fungiert der benachbarte Vulkankomplex Arjuno-Welirang.
  • Über einen unterirdischen Korridor strömen Magma und heißes Wasser in das Sediment-Reservoir des Lusi.

Von Jonathan Ponstingl

An der Oberfläche ist Lusi schwer zu übersehen. Er brodelt und blubbert, in seinen Spitzenzeiten hätte der Schlammvulkan auf der indonesischen Insel Java täglich 72 olympische Schwimmbecken mit gräulichem Matsch füllen können. Seit elf Jahren ist Lusi kontinuierlich aktiv, seine Umgebung hat er längst mit einer dicken Schicht aus Sedimenten bedeckt.

Mit Temperaturen von mehr als 100 Grad Celsius quillt die Masse an die Erdoberfläche und verschlingt ganze Dörfer. Wo früher die Bauern der Stadt Sidoarjo ihre Reisfelder bestellten, köchelt nun ein gigantischer Schlammsee. Er raubt den Einheimischen ihre Existenzgrundlage. Lusi ist der größte Schlammvulkan der Erde, und derjenige, der den größten Schaden anrichtet.

Lange Zeit blieb jedoch unklar, was das zerstörerische Werk von Lusi antreibt. Ein Forscherteam um Adriano Mazzini von der Universität Oslo hat dieses Rätsel nun gelöst. Unter der Oberfläche ist Lusi offenbar bestens vernetzt, wie die Forscher im Fachblatt Journal of Geophysical Research: Solid Earth berichten. In der unmittelbaren Nachbarschaft liegt der Vulkankomplex Arjuno-Welirang. Eine geologische Anomalie, die sogenannte Watukosek-Verwerfung, verbindet Lusi mit diesem Vulkansystem. Bei dieser Verwerfung handelt es sich um ein Netz von Bruchstellen im Gestein, die in einer Tiefe von bis zu sechs Kilometern liegen.

Ein Korridor im Untergrund verbindet Lusi mit einem benachbarten Vulkankomplex

Dieses Netz bildet dabei eine Art Korridor, welcher von den Magmakammern des Arjuno-Welirang zum Sediment-Reservoir des Lusi führt. "Wir haben klare Beweise, dass beide Systeme in der Tiefe miteinander verbunden sind", sagt Mazzini. Durch den Tiefenkorridor wird Lusi mit Antriebsstoff versorgt - er stammt direkt aus der Magmakammer des Vulkankomplexes.

Magma und extrem heißes Wasser, das wegen des hohen Drucks selbst bei Temperaturen von weit mehr als 100 Grad noch flüssig sein kann, dringen in das Sediment-Reservoir von Lusi ein. Das organische Material liegt dort seit Millionen Jahren - es wurde abgelagert, als die Region einst vom Meer bedeckt war. Der heiße Zustrom aus der Magmakammer lässt in den Sedimenten Gase entstehen, der Druck im Reservoir steigt an.

Durch die gestiegene Spannung kommt das Reservoir in Bewegung. Das heiße Wasser vermischt sich mit den Sedimenten, es entsteht eine schmutzige Substanz, die dem Schlammvulkan seinen Namen gibt. Das Gemisch sucht sich einen Weg nach oben. Den findet es an Stellen, wo das Gestein geschwächt ist, dort kann sich der Schlamm einen Weg an die Oberfläche bahnen.

Und das wird wohl noch lange so weitergehen. Die Forscher vermuten sogar, dass das vulkanische Netz des Arjuno-Welirang weiter nach Norden wandert, und damit in Richtung von Lusi. Ein Indiz für diese These ist, dass die jüngste vulkanische Erhebung des Komplexes, der Penanggungan, Lusi am nächsten liegt.

Der Name Lusi stammt aus dem indonesischen Wort für Schlamm, "Lumpur", und "Sidoarjo", der nächstgelegenen Ortschaft im Osten Javas: Aus Lumpur Sidoarjo wurde kurz Lusi. Prinzipiell haben Schlammvulkane wenig mit herkömmlichen Vulkanen gemein, sie ähneln in ihrer Funktionsweise eher Geysiren. Aschefontänen oder austretendes Magma produzieren sie nicht. Sie haben auch nicht die charakteristische Kegelform: Schlammvulkane sind flach. Aus den Öffnungen im Boden treten Flüssigkeiten und Sedimente hervor, die sich ins Umland ergießen.

Auf Java brodeln zahlreiche Schlammvulkane, doch keiner von ihnen kann es mit Lusi aufnehmen, was Ausdauer und ausgestoßene Schlammmenge angeht. Gegenmaßnahmen, wie das Verstopfen der Öffnungen mit Betonkugeln, blieben bislang ohne Erfolg, und so bleibt Lusi ein einzigartiges Phänomen mit verheerenden Auswirkungen.

Die von Mazzini und seinem Team beschriebenen Strukturen existierten allerdings bereits, bevor die Eruption im Jahr 2006 begann. Wie Mazzini sagt, waren sie schon länger vorhanden, und mit Spannung aufgeladen. Es fehlte nur ein letzter Tropfen, der das Fass im wahrsten Sinne des Wortes zum Überlaufen brachte.

Was dieser Auslöser der Eruption war, darüber streiten Experten indes weiterhin. Der wirtschaftliche Schaden geht in die Milliarden, und so ist den Beteiligten daran gelegen, einen Verantwortlichen ausfindig zu machen, dem sie ihre Schadenersatzforderungen schicken können. Viele Menschen in der Region beschuldigen den Energiekonzern PT Lapindo Brantas: In unmittelbarer Nähe zu Lusi führte das Unternehmen eine Gasbohrung durch.

Die Bohrung war nur mangelhaft gesichert, in das Bohrloch drang Wasser ein und destabilisierte das Gestein. Der Bohrkopf blieb damals in einer Tiefe von 2800 Metern stecken. Womöglich hat er eine Art Schlammblase angestochen, oder zumindest den Druck im Untergrund gesteigert. In der Folge konnte sich das Schlamm-gemisch, so die Theorie eines Geologen-Teams von der australischen University of Adelaide, einen Weg nach draußen suchen. Fehlerhaft war die Bohrung in jedem Fall. Ob sie jedoch ausreichte, um die Eruption von Lusi zu starten, ist ungewiss.

Ein Erdbeben könnte die fehlende Verbindung zur Oberfläche geöffnet haben

Zumal sich zwei Tage vor Beginn des Ausbruchs auch ein Erdbeben der Stärke von 6.3 ereignete, nur 200 Kilometer vom heutigen Schlammvulkan entfernt. Ein solcher Erdstoß könnte die Treibstoffleitung von der Magmakammer zum Sediment-Reservoir erst geöffnet haben. Oder er machte einen Weg an die Oberfläche frei und beförderte so das Schlammgemisch ans Tageslicht. Die neuen Erkenntnisse von Mazzini und seinen Kollegen jedenfalls sprechen für einen natürlichen Ursprung der Katastrophe und entlasten somit den Konzern teilweise. Einen endgültigen Beweis wird es aber wohl nie geben.

Für die Leute in der Region ist das letztlich egal. 60 000 Menschen waren bislang gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Mit Dämmen versuchen die Behörden, die Flut in die Schranken zu weisen, dennoch bedeckt der Schlamm inzwischen eine Fläche von etwa sieben Quadratkilometern, der doppelten Größe des New Yorker Central Parks. Bis zu 80 000 Kubikmeter Schlamm kommen derzeit jeden Tag hinzu. Wann und ob die Bevölkerung zurückkehren kann, ist ungewiss. Denn solange der fatale Motor im Untergrund arbeitet, spuckt Lusi weiter Schlamm.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2017
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