Süddeutsche Zeitung

Schimpansen:Im Kampf vereint

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An Schimpansen lassen sich die evolutionären Wurzeln des Krieges und der selbstaufopfernden Liebe erforschen. Doch die Zahl der Tiere geht in Afrika dramatisch zurück.

Hanno Charisius

Gleich zu Anfang gibt es eine Lehrstunde in Sachen Demut: "Wir wissen praktisch nichts über Schimpansen", sagt Christophe Boesch. Dabei weiß kaum ein Mensch mehr über diese Tiere als Boesch.

Seit 1976 beobachtet er die nächsten Verwandten der Menschheit im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste. So entdeckte Boesch bereits eine prähistorische Nussknacker-Werkstatt der Affen und wie sie heute einander beibringen, Nüsse mit Hilfe von Steinen aufzubrechen - Anzeichen für Kultur.

Und Boesch vermutet, die evolutionären Wurzeln des Krieges gefunden zu haben sowie den Ursprung selbstaufopfernder Liebe. Bei seinem Vortrag am Montagabend in der Münchner Carl Friedrich von Siemens-Stiftung gewährte er Einblicke in diese Welt.

So verschieden Krieg und Liebe auch sind, beide Verhaltensweisen haben etwas gemeinsam, stellt Boesch fest: Kooperation ist in beiden Fällen Voraussetzung. "Zusammenarbeit dominiert das menschliche soziale Leben", sagt Boesch, "bei Primaten kommt das sehr selten vor."

Der Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie hat während seiner Jahrzehnte im afrikanischen Busch einige dieser raren Koalitionen zwischen Schimpansen dokumentiert.

Offenbar rotten sich die größeren Männchen einer Gruppe regelmäßig zusammen, um die Grenzen ihres Territoriums abzulaufen. Treffen sie bei ihrer Patrouille auf Nachbarn, wird es brenzlig. Mit Geschrei und Getrommel versuchen sie die andere Seite zu beeindrucken.

Ist der Gegner klar in der Unterzahl, dann kann es auch Kämpfe und Tote geben. "Zwischengruppen-Aggression bei Schimpansen und primitive Kriegsführung beim Menschen weisen verblüffende Ähnlichkeiten auf", sagt Boesch. Die siegreiche Truppe zieht dann ins Lager der anderen und raubt mitunter eines der zurückgelassenen Weibchen.

Ein Affe gegen vier

Genauso häufig kommt es aber auch dazu, dass Mütter der einen Gruppe mit ihren Jungen friedliche, konfliktfreie Besuche bei ihren Nachbarn abhalten. Die größten Unterschiede zwischen Schimpansen im Taï-Nationalpark und in anderen Regionen Afrikas liegen im Umgang mit den Gefangenen und der Bereitschaft, Gruppenmitgliedern zu helfen.

Taï-Schimpansen verhalten sich gegenüber ihren Gefangenen selten aggressiv, auch Junge werden geschont. Dafür kommt es häufig zur Paarung mit den Gefangenen. Zehn Prozent der Kinder einer Gruppe haben einen Vater aus einer benachbarten Sippe. In anderen Regionen Afrikas werden die gefangenen Schimpansen oft misshandelt, manchmal auch getötet; den Jungen ergeht es nicht besser. Auch werden die Gen-Pools beider Lager kaum vermischt.

Die Taï-Schimpansen sind zudem bereit, große Risiken einzugehen, um Gruppenmitgliedern in schwierigen Situationen zu helfen. Boesch hat beobachtet, wie ein mächtiges Männchen ein Weibchen seiner Gruppe aus der Gefangenschaft befreite. Er legte sich dabei mit vier gegnerischen Tieren an und riskierte sein Leben.

Boesch führt dieses Verhalten im Taï-Reservat auf die hohe Zahl der dort lebenden Leoparden zurück. Obwohl diese kleiner sind als eine ausgewachsene Schimpansin, können die Raubkatzen die Affen mit einem einzigen Biss töten. Diese Bedrohung habe bei den Taï-Schimpansen zu dem einzigartigen Sozialverhalten geführt, vermutet Boesch.

Altruismus zahlt sich aus. Wer anderen das Leben rettet, dem können diese später auch einmal helfen. Deshalb werden auch die Wunden von verletzten Artgenossen mit Hingabe gepflegt. Und die Hilfsbereitschaft als Handlungsoption kann auch auf andere Bereiche ausgeweitet werden.

Sie sterben an Menschen-Viren

Wie verletzbar die Schimpansengesellschaft an der Elfenbeinküste ist, zeigen allerdings neue Zahlen, die Boesch mit deutschen und afrikanischen Kollegen am Dienstag im Journal Current Biology veröffentlichte. Im Vergleich zur letzten Zählung vor 18 Jahren fanden Forscher nur noch ein Zehntel der Affen vor. In den 1960er Jahren lebten dort noch geschätzte 100.000 Schimpansen - vermutlich die Hälfte der weltweiten Population. Ende der 1980er Jahre waren es noch 8000 bis 12.000. Die heutige Population liegt bei gut 1000 Schimpansen. In anderen Reservaten sieht es vermutlich nicht besser aus.

Das Sterben der Schimpansen erklären die Forscher mit der Zerstörung des Lebensraums und Wilderei. Aber auch sie selbst tragen Schuld daran, das verhehlt Boesch nicht. Erst im Februar berichteten er und Kollegen, dass im Taï-Nationalpark Schimpansen an Atemwegserkrankungen sterben, die von Menschen eingeschleppt wurden.

Seit Menschen so dicht an die Affen herankommen, dass sie Erreger übertragen, wird dies vermutet, doch erst im Februar dieses Jahres gab es den genetischen Beweis. Zwar halten Forscher mindestens sieben Meter Abstand zu den Tieren ein. Trotzdem ist das nah genug für Viren, um den Wirt zu wechseln.

Seit 2004 ist deshalb für jeden ein Atemschutz Pflicht, der sich den Tieren nähern will; erkrankte Forscher dürfen gar nicht mehr ins Reservat. Die letzten wildlebenden Schimpansen gelte es unbedingt zu retten, sagt Boesch, der für diesen Zweck die Wild Chimpanzee Foundation gegründet hat. "Sie sind die letzte lebende Verbindung zu unserer eigenen Vorgeschichte."

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SZ vom 15.10.2008/mcs
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