Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Von Panikmache bis Verharmlosung

Geht Sars-CoV-2 allmählich die Puste aus? Es soll Hinweise darauf geben, doch die Genetik liefert dafür keine Belege.

Von Kathrin Zinkant

Man erinnert sich dunkel, wie das war, im Frühjahr. Da befürchteten die Menschen, das neue Coronavirus könne gefährlicher geworden sein. Eine chinesische Studie wollte Hinweise dafür liefern. Der Verdacht entpuppte sich als unbegründet. Doch jetzt geht es wieder los, nur anders herum: Seit einigen Tagen ist von einer Abschwächung des Erregers die Rede, die sich nicht nur in der glücklicherweise noch geringen Auslastung der Intensivstationen mit Corona-Patienten niederschlagen soll, sondern auch am Virus selbst, nämlich in seinem Erbgut.

So hieß es in einem großen deutschen Boulevardblatt jüngst, das Genom des Erregers habe sich so verändert, dass eine Erkrankung nun milder verlaufe. Im Web-TV erklärte ein Hygieniker, einige Stämme seien schon mutiert und deshalb "leichter". Und im österreichischen Fernsehen trat eine Krebsmedizinerin aus Aachen auf und sagte, das Virus habe zwar nachweisbare Mutationen, sei aber ohnehin nie gefährlich gewesen. Da kommt der Bürger ins Grübeln. Ist Sars-CoV-2 inzwischen oder schon längst ein harmloses Erregerchen, nicht mehr als ein Schnupfenkeim?

Tatsächlich verändert sich das neue Coronavirus seit seiner Entdeckung und globalen Verbreitung stetig. Mehr als 100 Mutationen im Erbgut von Sars-CoV-2 sind inzwischen bekannt, und ein Blick auf den Stammbaum von nextstrain.org, der in den vergangenen Monaten mehr als 5000 sequenzierte Genome des neuen Erregers zusammengeführt hat, vermittelt auch optisch den Eindruck, das Virus habe sich mittlerweile auf beeindruckende Weise diversifiziert. Es gibt vielfältige Unterstämme, die geografisch sehr verschieden verteilt sind.

Diskutiert wird, ob eine Mutation das Virus ansteckender macht

Eine Mutation sticht aus diesem bunten Bild allerdings hervor. Die seit Juni bekannte und viel diskutierte Veränderung betrifft das sogenannte Spike-Eiweiß des Erregers, also jenen typischen Stachel auf der Hülle, mit dem das Virus an menschlichen Körperzellen andockt. Die Mutation D614G, oder kurz G614, verändert möglicherweise die Zahl der Andockstellen auf dem Erreger und könnte damit eine Ansteckung begünstigen. Das ist zumindest, was ein Forscherteam um die Bioinformatikerin und Molekularbiologin Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory im Juli im Fachblatt Cell berichtete, nachdem es neben einer Analyse genetischer Daten auch Versuche zu den Folgen der Mutation G614 durchgeführt hatte.

Dazu bauten die Forscher das ursprüngliche oder das mutierte Eiweiß in zwei verschiedene andere Viren ein und untersuchten den Effekt an Zellkulturen im Labor. Das Ergebnis war, dass sich die Infektiosität der Modellviren durch die Mutation deutlich erhöhte - was allerdings noch kein Beweis dafür ist, dass es im neuen Coronavirus genau so wäre. Zugleich fanden die Wissenschaftler auch keine Hinweise darauf, dass sich die vom Virus verursachte Erkrankung durch die Mutation verändert hätte. Weder wurden die durchgemachten Infektionen schwerer, noch wurden sie leichter.

Experten wie der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sehen jedenfalls keinerlei Grund, von einer Veränderung zu sprechen. "Es gibt ein paar dezente Hinweise, die man aber mit einem großen Fragezeichen versehen muss, die dafür sprechen könnten, dass die Übertragbarkeit dieser Virusvariante größer ist", sagte Drosten am Dienstag im NDR-Rundfunk. "Aber wenn, dann nur in geringem Maße, also nicht weltbewegend. Und es gibt keine Hinweise, dass die krankmachende Eigenschaft des Virus sich dadurch verändert hat."

Erreger verbreiten sich am besten, wenn sie ihre Wirte nicht umbringen

Drosten hatte im Juni selbst die Hoffnung geäußert, dass sich das Virus abschwächen werde, sieht dafür aber zum jetzigen Zeitpunkt eben noch keine Anzeichen. Aus der evolutionsbiologischen Perspektive ist die Hoffnung auf Abschwächung jedoch gut begründet, denn Viren vermehren und verbreiten sich am besten, wenn sie ihre menschlichen oder tierischen Opfer nicht umbringen - nur lebende Wirte können schließlich herumlaufen und viele weitere anstecken. Ein solcher Effekt wurde auch schon bei zahlreichen, obgleich nicht bei allen Erregern beobachtet.

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Ein Erreger schwächt sich allerdings umso schneller ab, je erfolgreicher er sich schon zu Beginn ausbreiten kann. Und im Fall von Sars-CoV-2 haben Regierungen und Seuchenschützer viel getan, um diese ungehinderte Verbreitung zu stoppen - gerade in Deutschland mit einigem Erfolg, zummindest bis jetzt. Es ist wohl auch deshalb zu früh für einen Abgesang auf die aktuelle Pandemie. Ein Impfstoff wird nach wie vor dringend benötigt.

Allerdings ist nicht gesagt, dass es für eine mögliche Abschwächung Jahrzehnte oder gar ein ganzes Jahrhundert dauern wird, wie kürzlich ein belgischer Forscher suggerierte, als er eine 15 Jahre alte Hypothese vortrug. Marc Van Ranst von der Universität Leuven hatte 2005 eine Mutationsanalyse des menschlichen Coronavirus HCoV-OC43 publiziert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem Keim um den Erreger der sogenannten russischen Grippe von 1889 gehandelt haben könnte, einer verheerenden Seuche, die eine Million Menschenleben forderte. Es ist zwar in keiner Weise belegt, dass diese Grippe in Wahrheit die erste Corona-Pandemie war. Fest steht aber, dass HCoV-OC43 heutzutage lediglich einen Schnupfen auslöst. Das wäre für Sars-CoV-2 sicherlich auch wünschenswert.

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