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Forschungspolitik:Sanktionen behindern deutsch-russische Projekte

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Die Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs gelten auch in der Wissenschaft. Viele Projekte mit russischer Beteiligung sind gestoppt. Komplett abgebrochen ist der Austausch aber nicht.

Mit den Sanktionen gegen Russland infolge des Krieges in der Ukraine ist auch in der Klimawissenschaft nichts mehr so, wie es vorher war. Deutsche Forschungseinrichtungen legten ihre Kooperationen mit russischen Universitäten und Institutionen auf Eis, darunter auch das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI).

Der Boykott trifft die vom AWI betriebenen Forschungen hart, vor allem bei den Langzeitprojekten. "Wir müssen leider die Beobachtungsreihen aussetzen", sagt AWI-Direktorin Antje Boetius. Klima- und Umweltdaten seien kritisch für die gesamte Menschheit, für sie sei eine internationale Zusammenarbeit wichtig. "Gerade die sibirische Arktis mit ihren Hitzewellen im Sommer ist die Region, wo wir hinschauen müssen." Im Permafrost in Sibirien wollen Forschende herausfinden, wie schnell der Boden auftaut. "Dort müssten jetzt eigentlich Geräte ausgetauscht werden. Das ist gestoppt", sagt Boetius. Sie selbst wollte in einigen Wochen nach Nowosibirsk reisen, auch das ist abgesagt.

"Seit dem 3. März bekommen wir keine Daten mehr aus Moskau."

Doch nicht alle Kooperationen wurden ausgesetzt: Im Austausch mit dem Bundesforschungsministerium und dem Auswärtigen Amt seien Regeln zur weiteren Zusammenarbeit mit der russischen Seite getroffen worden, sagt Boetius. Entlang dieser Regelungen dürften einzelne Projekte fortgesetzt werden. Auch Publikationen unter russischer Beteiligung können veröffentlicht werden. "Ein Verbot des gemeinsamen Denkens auf Basis einer nationalen Zugehörigkeit kennt die Wissenschaft nicht", betont Boetius und stellt klar: "Der Boykott richtet sich gegen das Regime und seine Institutionen, nicht gegen die Zivilgesellschaft und damit auch nicht gegen russische Forschende." Zu einigen russischen Kolleginnen und Kollegen bestehe zudem der Kontakt seit Jahrzehnten, auf gemeinsamen Expeditionen seien auch Freundschaften entstanden.

Nicht nur in der Polar- und Klimaforschung, auch in den Bereichen Physik, Raumfahrt und Astronomie war Russland bisher ein wichtiger Partner. So treffen auch das Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell die Sanktionen hart. Für das Projekt "Icarus" wurde 2018 an der Außenhülle des russischen Moduls der Internationalen Raumstation (ISS) eine Antenne installiert, die Daten von der Erde empfängt, genauer: von Tieren, die mit Mini-Sendern ausgestattet wurden. Das gibt Aufschluss etwa über Migrationsrouten von Zugvögeln und anderen Tieren.

"Seit dem 3. März bekommen wir keine Daten mehr aus Moskau", sagt Projektleiter Martin Wikelski. "Und wir gehen davon aus, dass wir nie wieder Daten bekommen." Die Kooperation mit Russland sei Geschichte. Allerdings stehe das Mammutprojekt deshalb nicht vor dem Aus. "Wir haben schon Ideen für andere Mitfluggelegenheiten." Möglicherweise könne noch in diesem Jahr ein deutscher Kleinsatellit genutzt werden. Allerdings sei auch der persönliche Austausch zu Russland komplett gekappt: "Wir machen uns große Sorgen, aber wir wollen keine Gefährdungen provozieren", sagt Wikelski. Einige am Projekt beteiligte Ingenieure seien nicht mehr erreichbar. "Es ist unklar, was da passiert ist."

Der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bad Honnef, Lutz Schröter, ermuntert dagegen die Mitglieder explizit, weiterhin persönliche Kontakte zu pflegen - und sie bestenfalls sogar zu intensivieren. "Wir dürfen die Brücken zu den Personen nicht kappen", sagt Schröter. Der Kontakt zu russischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, die für den Staat stünden, sei dagegen strikt einzustellen.

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