Samen aus dem Permafrostboden:Blüte nach 30.000 Jahren

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30.000 Jahre lang steckte der Samen im Permafrostboden Sibiriens. Nun haben Forscher daraus ein Kraut gezüchtet. Möglich wurde die botanische Sensation durch ein kleines Nagetier.

Katrin Blawat

Ein paar weiße Blüten, die entfernt an Nelken erinnern, sollen eine botanische Sensation sein? Ja, allerdings staunt die Fachwelt derzeit nicht wegen seines ästhetischen Werts über das Kraut mit dem wissenschaftlichen Namen Silene stenophylla. Spektakulär ist das Gewächs aufgrund seiner Geschichte. Die Pflanze, die im Labor der Russischen Akademie der Wissenschaften gedeiht, stammt aus etwa 30.000 Jahre altem Samen. Nie zuvor sind Pflanzen aus derart altem Saatgut erwachsen, berichten David Gilichinsky und seine Kollegen von der Russischen Akademie der Wissenschaften in der Fachzeitschrift Proceedings of The National Academy of Sciences. Bisher hielt ein etwa 2000 Jahre alter Samen einer Dattelpalme den Rekord.

Das sibirischen Leimkraut hält den neuen Rekord: Nie zuvor ist eine Pflanzen aus derart altem Saatgut erwachsen. (Foto: AP)

Dass der Samen des sibirischen Leimkrauts auch nach mehreren zehntausend Jahren noch keimen konnte, verdankt sich einer Kette glücklicher Zufälle. Vor allem sein Aufenthaltsort während der vergangenen 30.000 Jahre kam dem Samen zugute. Die Forscher entdeckten ihn 38 Meter tief im Permafrostboden im Nordosten Sibiriens.

Dort lagen die Körner in den Resten von Vorratskammern, die einst kleine Hörnchen angelegt haben, ähnlich wie es heute Eichhörnchen tun. In diesen Verstecken herrschten seither nicht nur permanent Minusgrade, wie die Forscher rekonstruierten. Zudem waren die Samen noch nicht ganz reif und sehr trocken, als die Hörnchen sie eingesammelt hatten. Innerhalb kürzester Zeit müssen sie tiefgefroren gewesen sein. Dass dies günstige Bedingungen für eine lange Haltbarkeit sind, weiß man auch von schockgefrosteten Lebensmitteln im eigenen Tiefkühlfach.

Das Alter der Körner aus Sibirien bestimmten die Forscher mit Hilfe der sogenannten Radiokarbonmethode. Dabei kann man aus Spuren radioaktiven Kohlenstoffs das Alter natürlicher Stoffe ableiten. "Bemerkenswert", nennt Andreas Graner die Entdeckung der russischen Forscher. Er kennt sich aus mit der Haltbarkeit von Pflanzensamen. Er leitet die Genbank des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt. Dort lagern die Samen verschiedenster Nutzpflanzen bei minus 18 Grad. "Kälte reduziert alle Lebensvorgänge, ohne die Samen zu töten", sagt Graner.

Doch nicht jedes Korn hält die Kälte-Konservierung derart lange aus wie die Samen aus Sibirien. Um die Schätze in Gatersleben zu erhalten, müssen Mitarbeiter die Körner daher regelmäßig aus der Kühlkammer aufs Feld bringen. In welchen Abständen dies geschehen muss, hängt auch von der jeweiligen Art ab. Weizen etwa zählt nach Gaterslebener Maßstäben schon zu den langlebigen Pflanzen. "Seine Samen halten sich etwa 30 Jahre", sagt Graner, "Roggen oder Hafer nur etwa halb so lange." Außerdem schickt Graner regelmäßig Saatgut nach Spitzbergen. Im dortigen Permafrost eröffnete tief im Innern eines Berges vor fünf Jahren die weltweit größte Samenbank für Nutzpflanzen. Mehrere Millionen Körner sollen dort einmal lagern. Die Samen in Spitzbergen stellen eine Art Sicherungskopie dar, um zu verhindern, dass Nutzpflanzen für immer von der Erde verschwinden.

Dennoch solle man sich nicht auf Banken wie in Gatersleben und Spitzbergen oder den sibirischen Permafrost verlassen, um den Verlust der Artenvielfalt aufzuhalten, warnt Graner. Die Samen in Spitzbergen zum Beispiel müssen regelmäßig ersetzt werden. Körner, die nach 30.000 Jahren noch keimen, sind eine große Ausnahme.

© SZ vom 21.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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