Saatgut-Bank:Körner für die Ewigkeit

Gesichert wie Fort Knox wird auf Spitzbergen eine Samenbank der besonderen Art errichtet. 4,5 Millionen Pflanzensamen sollen dort Klimawandel und Atomkriege überdauern.

Patrick Illinger

21 Metallkassetten aus Afrika sind vor wenigen Tagen in der Arktis eingetroffen. Sorgfältig verschlossen, hat die Fracht die norwegische Inselgruppe Svalbard erreicht. Dort wird sie nun in einen Bunker gesperrt, 120 Meter tief im Fels des polaren Eilands, hermetisch von der Außenwelt abgeschottet, von Videoanlagen und Bewegungsmeldern bewacht.

Saatgutbank in Spitzbergen

Im Fels von Spitzbergen sollen die Pflanzensamen künftig bei minus 18 Grad lagern.

(Foto: Foto: AP)

Gemessen an diesem Aufwand, könnte man meinen, es ginge um eine äußerst wertvolle Ware. Gold zum Beispiel, oder Diamanten. Doch das Material, das in diesem Fort Knox des Nordens gebunkert wird, hat keinen nennenswerten Geldwert. Nichts, das man an den Weltbörsen handeln könnte. Es sind schlichte Pflanzensamen, wie man sie an vielen Orten der Welt mit bloßen Händen aus Gewächsen pulen oder vom Boden auflesen kann.

Einem mit Terminmärkten und Quartalsbilanzen vertrauten Bankenmensch mag so ein Tresor voller Körner vorkommen wie reine Verschwendung. Eine Organisation wie der Global Crop Diversity Trust sieht das allerdings ganz anders: "Zusammen mit der Luft, die wir atmen, und dem Wasser, das wir trinken, sind Nutzpflanzen die wichtigste Ressource für das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten", sagt die Nichtregierungs-Organisation, die weltweit versucht, den Erhalt von Nutzpflanzen zu sichern.

Der Bunker von Spitzbergen ist der Höhepunkt dieses globalen Unterfangens. 4,5 Millionen Proben von Saatgut aus allen Teilen der Erde sollen dort die kommenden Jahrhunderte überdauern, und alles, was da kommen möge, ob Klimawandel, Meteoriten oder Atomkriege.

Irgendwann, so die Idee der Betreiber, könnten die Pflanzensamen, darunter 120.000 Reissorten, Bohnen, Kartoffeln, Erdbeeren und Hülsenfrüchte, einen Neustart des Planeten Erde ermöglichen. Die geschätzten Baukosten von gut sechs Millionen Euro hat der norwegische Staat übernommen.

Bereits heute gibt es an vielen Orten der Erde Saatgut-Banken. Meist sind es nationale Institute, die sich auf heimische Gewächse spezialisieren. Iran sammelt Pistazien, die Philippinen Reis. Alleine das in Nigeria ansässige Internationale Institut der Tropischen Landwirtschaft beherbergt 15.000 Bohnensorten aus 88 Ländern.

Naturgemäß jedoch sind viele der Körnerbanken in Entwicklungsländern angesiedelt, Regionen mithin, wo politische Unruhen und die oft mangelnde Aufmerksamkeit der Regierenden den Bestand der gehorteten Pflanzensamen gefährden. Seltene Sorten von Walnüssen, Kirschen und Aprikosen sollen beispielsweise verloren gegangen sein, als Taliban-Krieger die Saatgutbank von Afghanistan plünderten.

Körner für die Ewigkeit

Im Fels von Spitzbergen, 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt, lagern die Pflanzensamen bei minus 18 Grad. "In dieser Temperatur können die Samen wichtiger Nutzpflanzen wie Weizen, Gerste und Erbsen 10.000 Jahre überdauern", versichert Cary Fowler, Chef des Global Crop Diversity Trust und Professor in Norwegen.

Im Sommer muss ein Kühlsystem helfen, die Temperatur im Fels niedrig zu halten. Aber auch ohne dieses würden die Thermometer im Inneren des Bunkers nie über minus 3,5 Grad steigen. 130 Meter über dem Meeresspiegel liegt der Global Seed Vault, gewappnet nicht nur vor dem sich erwärmenden Weltklima, sondern auch vor dem möglichen Anschwellen der Ozeane.

Im Internet wird dokumentiert sein, welche Pflanzenkeime wo im Bunker lagern. Für den Fall der Fälle wird es aber auch in jeder der Kassetten mit den Saatkörnern eine handfeste Gebrauchsanweisung geben.

Fowler nennt das Projekt eine "Lebensversicherung für den Planeten". Dennoch wird auch der Saatgutspeicher auf Spitzbergen in Abständen aufgefrischt werden. Neue Sorten werden gelagert und älteres Saatgut muss gelegentlich erneuert werden, indem es gepflanzt wird und die frischen Samen wieder eingelagert werden. Zum Gebrauch freigegeben werden die Pflanzensamen aus dem arktischen Silo erst, wenn klar ist, dass alle anderen Ressourcen des Planeten erschöpft oder zerstört sind. Und auch dann werden die Samen nicht an einzelne Bauern verteilt, sondern nur an regionale Saatgut-Banken zurückgegeben.

Völlig von der Hand zu weisen ist die Besorgnis um die Zukunft der irdischen Biosphäre nicht. Klimaforscher prognostizieren, dass allein im südlichen Afrika in den kommenden Jahrzehnten 30 Prozent aller Pflanzenarten verloren gehen. Ähnliches wird in Asien erwartet. Am meisten jedoch leidet die Vielfalt der Nutzpflanzen unter der Industrialisierung der Landwirtschaft und dem Trend zur Monokultur.

Von der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft ist beispielsweise zu hören, dass die Zahl der Apfelsorten in den USA im Laufe des 19. Jahrhunderts von 7100 auf 300 zurückging. Womöglich wird sich die Menschheit eines Tages über ein Getreidelager wie das auf Spitzbergen freuen, wenn sie Einheitskartoffeln neben Standardgurken überdrüssig geworden sein wird.

Offiziell eröffnet wird die Samenbank von Spitzbergen am 26. Februar. Den ersten, in diesen Tagen aus Afrika eingetroffenen 7000 Samenarten werden in den kommenden Wochen Millionen weitere Körner folgen, aus insgesamt 170 Ländern der Erde. Später, wenn die Luftschleuse geschlossen ist und Satelliten die Temperatur steuern, wird ein von weitem sichtbares Kunstwerk über dem Eingang leuchten. Ein Wegweiser für eine hoffentlich nie kommende dunkle Zeit, in der sich die Menschheit auf die Suche nach den Ursprüngen ihrer Lebensgrundlage macht.

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