Rückkehr von Astronaut Alexander Gerst:"Das ist seine neue Heimatbasis"

Ground personnel carry International Space Station crew member Gerst of Germany shortly after landing near the town of Arkalyk in northern Kazakhstan

Gersts Ankunft in Kasachstan: Wäre er aufgestanden, hätte er leicht ohnmächtig werden können.

(Foto: REUTERS)

Nach sechs Monaten im All ist Alexander Gerst zurück auf der Erde. Hat er jetzt endlich Freizeit? Erstmal nicht, sagt der Esa-Weltraummediziner Volker Damann. Die Erde ist noch zu gefährlich für den Astronauten.

Von Christoph Behrens

Volker Damann ist als Leiter des Space Medicine Office des European Astronaut Centre (EAC) verantwortlich für die medizinische Betreuung von Alexander Gerst auf der Erde. Der deutsche Astronaut ist wohlbehalten in Kasachstan mit einer Sojus-Kapsel gelandet, nachdem er etwa sechs Monate im All verbracht hat. Er ist der erste Astronaut, der nach seinem Flug komplett in Deutschland betreut wird.

SZ.de: Herr Damann, was hat Astronaut Alexander Gerst im All verlernt?

Volker Damann: Im All bewegt man sich ganz anders als auf der Erde. Auf der Erde ist das Laufen eine hochkomplexe Sache, die Gelenke müssen koordiniert werden, das Gleichgewicht, die Reflexe. Der Kopf weiß automatisch, wie er den Arm bewegen muss, um den Lichtschalter zu treffen und nicht daneben. Alles ist auf die Schwerkraft justiert. Diese Konstante fällt in der Schwerelosigkeit weg. Ich würde daher nicht von verlernen sprechen, sondern eher von anpassen. Im All läuft man nicht mehr aufrecht. Der Körper passt sich an, indem er andere Bewegungsmuster erlernt, Muskeln und Knochen abbaut. Selbst das Herz muss weniger pumpen. Alles was man nicht braucht, wird reduziert.

Das muss Gerst jetzt alles wieder aufbauen?

Nicht alles, die Astronauten treiben ja bereits an Bord der ISS jeden Tag zwei Stunden Sport. Das dient auch dazu, dass sie sich im Notfall selbst aus der Sojus-Kapsel retten können, falls die ihr Ziel verfehlt und irgendwo in der kasachischen Steppe landet. Nach der Landung wurde Alex in Decken eingehüllt und weggetragen. Wäre er direkt nach dem Ausstieg aufgestanden, wäre ihm das Blut in die Beine gesackt und er wäre eventuell ohnmächtig geworden.

Welche Gefahren drohen einem Astronauten, wenn er zurück auf der Erde ist?

Die Auswirkungen auf das Immunsystem sind aktuell ein großes Thema unter Experten. Auf der Erde werden wir gerade in dieser Jahreszeit immer mit Keimen bombardiert, dort oben deutlich weniger. Da gibt es kein Kindergartenkind, das abends heim kommt und den Papa umarmt. Das Immunsystem muss nicht mehr diesen Abwehrkampf führen und ist deshalb nicht mehr so trainiert. Sicherheitshalber wird Alex nun ein bisschen abgeschirmt.

Rückkehr von Astronaut Alexander Gerst: Volker Damann, Leiter des Space Medicine Office der Esa

Volker Damann, Leiter des Space Medicine Office der Esa

(Foto: Esa / DLR)

Wie muss man sich die Reha von Gerst im "European Astronaut Centre" die nächsten Tage vorstellen?

Die nächsten sechs Tage wird er in unserem neuen Forschungszentrum "Envihab" nahe Köln relativ abgeschottet verbringen. Aus psychologischen Gründen bringen wir ihn dort aber schnell mit seiner Familie und seiner Lebensgefährtin zusammen. Das ist seine neue Heimatbasis. Das Reha-Programm beinhaltet Gymnastik, Massagen, Physiotherapie. In den nächsten Tagen gehen wir mit ihm ins Wasser, um zu üben. Im Becken ist es ungefährlicher. Dann kommen Laufübungen, Ballspiele, Fahrradfahren. In sieben Tagen ist sein Immunsystem wieder voll auf der Höhe.

Gerst wird der erste deutsche Astronaut sein, der nach der Rückkehr komplett in Deutschland betreut wird. Was machen Sie anders als die Amerikaner oder Russen?

Früher kamen Astronauten, die in Russland landeten, zuerst ins russische Sternenstädtchen und wurden dann nach Houston geflogen. In den USA werden die Astronauten darauf getrimmt, schnell bestimmte Fitnesswerte zu erreichen. Wir wollen eher eine Rundumversorgung für Körper und Seele. Wenn jemand nicht joggen will oder keine Liegestütze macht, dann ändern wir eben das Sportprogramm. Bei der Nasa gilt eher: "One shoe fits all". Das ist aber auch das Schöne bei der Raumfahrt, dass man mit so vielen kulturell unterschiedlichen Herangehensweisen zu tun hat.

Das "Envihab" ist nicht nur ein Reha-, sondern auch ein Forschungszentrum. Was erhoffen sich denn deutsche Wissenschaftler davon?

Wir wollen wissen, wie der Körper sich dem Weltraum anpasst und den Bedingungen auf der Erde. Sofort nach Gersts Ankunft in Köln wird die erste wissenschaftliche Untersuchung stattfinden, um den veränderten Knochenstoffwechsel zu untersuchen. Zudem fließen die medizinischen Daten von mehr als 600 Astronauten seit den 1960ern in eine große Datenbank ein. Da interessieren uns auch die Langzeitfolgen von Weltraumaufenthalten: Treten etwa bestimmte Tumorarten häufiger auf wegen der höheren Strahlenbelastung?

Und, ist das so?

Bis jetzt können wir das in den Daten zum Glück nicht erkennen.

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