Rückbau von Fukushima-1:Wohin mit dem verseuchten Wasser?

Tokyo Electric Power Co.'s Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant

In großen Tanks auf dem Kraftwerksgelände von Fukushima-Daiichi (1) lagern insgesamt 560 000 Kubikmeter radioaktiv verseuchtes Wasser.

(Foto: Kimimasa Mayama/dpa)

80 Milliarden soll der Fukushima-Abriss kosten. Das größte Problem ist aber der Umgang mit dem radioaktiv verseuchtem Wasser. Manche Experten raten, es einfach in den Ozean zu leiten. Eine Firma aus Kalifornien hat einen anderen Vorschlag.

Von Dennis Normile

Wie graue Pilze schießen im havarierten Kernkraftwerk Fukushima-1 die Wassertanks aus dem Boden. Fast 1000 der zehn Meter hohen Stahlzylinder stehen bereits auf dem Gelände. Sie speichern mehr als 560 000 Kubikmeter radioaktiv verseuchtes Wasser, das aus dem Boden in die zerstörten Reaktorgebäude geflossen ist und von dort abgepumpt wurde. Der Betreiber des zerstörten Kraftwerks, der Konzern Tepco, glaubt inzwischen, er könne alle Radionuklide aus dem Wasser entfernen - bis auf die strahlende Wasserstoff-Variante Tritium. "Dieses verseuchte Wasser ist die wichtigste Angelegenheit, um die wir uns kümmern müssen", sagt Akira Ono, der Leiter der Anlage.

Eine Lösung könnte aber in Sicht sein. Eine amerikanische Firma behauptet, sie habe einen katalytischen Prozess so verbessert, dass sie im Prinzip das ganze Tritium in Fukushima in nur noch fünf Kubikmetern Wasser konzentrieren könnte, also dem 110 000-stel des jetzigen Volumens. Der Prozess würde eine Milliarde US-Dollar (808 Millionen Euro) kosten. Das Unternehmen ist eines von dreien, die Zuschüsse der japanischen Regierung bekommen hat, ein solches Verfahren zu entwickeln. Sie alle haben bis März 2016 Zeit zu belegen, dass ihre jeweilige Methode den Anforderungen in Fukushima gewachsen ist.

80 Milliarden soll der Abriss des Kraftwerks kosten

Fast vier Jahre ist es nun her, dass der Unfall nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März 2011 die Welt in Atem hielt. Drei der sechs Reaktoren des Kraftwerks erlebten in den folgenden Tagen mangels Kühlung eine Kernschmelze, im vierten konnten die Helfer nur mit Mühe eine katastrophale Zerstörung des Abklingbeckens für Brennelemente verhindern. Tepco hat erst die frühen Stadien eines auf 40 Jahre angelegten Prozesses erreicht, die Anlage sicher abzureißen. 80 Milliarden Dollar soll das kosten. Im vergangenen Monat hat die Firma die letzten der 1331 radioaktiven Brennelemente aus dem Abklingbecken von Reaktor 4 geborgen.

Die nächste Aufgabe ist, beschädigte Uran-Elemente zu finden und zu bergen. In einem der drei durchgeschmolzenen Reaktoren, hat Tepco erkannt, habe sich die glühende Masse der überhitzten Elemente durch das Reaktordruckgefäß und in den Betonsockel des Containment-Gebäudes gefressen. "Wir wissen aber nicht, wo genau diese Brennstäbe sind", sagt Ono. Intensive Strahlung verhindert, dass menschliche Inspektoren nahe genug an die geschmolzenen Kerne kommen, aber ferngesteuerte Roboter könnten irgendwann die Masse lokalisieren und beginnen, sie zu entfernen.

Währenddessen muss die Mannschaft in Fukushima permanent Wasser durch die Anlage schleusen und die 300 Kubikmeter Grundwasser auffangen, die täglich aus dem Boden hineinfließen. Mehr als ein Jahr hat Tepco mit einem störrischen Ensemble von Filtern gekämpft, aber inzwischen, sagt Ono, sei die Mannschaft bereit, 62 Radionuklide zuverlässig aus dem Wasser zu entfernen.

Soll radioaktives Tritium ins Meer geleitet werden?

Das Tritium zurückzuhalten ist allerdings noch eine größere Herausforderung. Der Stoff hat die chemischen Eigenschaften von Wasserstoff und kann deswegen auch in dem Wasser stecken, das unverändert durch alle Filter und Absorber fließt. Tritium stellt keine große radiologische Gefahr da, weil es nur Betastrahlung abgibt: leicht abzuschirmenden Elektronen geringer Energie. Es gäbe "sehr wenig Bedenken für die menschliche Gesundheit beim Einleiten in den Ozean", sagt James Seward von der University of California in San Francisco.

Das politische Risiko wäre vermutlich höher. Die japanischen Gesetze erlauben es Kernkraftwerken, Wasser mit Tritiummengen von 60 000 Becquerel pro Liter zu verklappen (das heißt, in einem Liter sind so viele Tritiumatome, dass jede Sekunde 60 000 davon radioaktiv zerfallen). Dennoch muss der Betreiber die Menge reduzieren, denn seine Tanks enthalten das zehn- bis dreißigfache des Limits. Nach Statusreports von Tepco überschreitet schon mindestens ein Grundwasserbrunnen in der Nähe des Kraftwerks den Grenzwert.

Außerdem würde das Freisetzen großer Mengen verseuchten Wassers auf einmal auch großes Aufsehen erregen. Selbst ein allmähliches Einleiten des Tritiumwassers würde vermutlich auf den Widerstand von Fischern treffen, die "sich sorgen, ihre Kunden nicht überzeugen zu können, dass ihr Fang gesundheitlich unbedenklich ist", sagt Jota Kanda von der Tokio-Universität für Meereswissenschaften und Technik.

Wasserstoff soll von Tritium-Atomen getrennt werden

Die existierenden Verfahren, Tritium aus Wasser zu entfernen, "sind sehr herausfordernd, kosten viel und brauchen Zeit", sagt Kanda. Ende 2013 hat darum ein Beratungskomitee des Wirtschaftsministeriums verkündet, es gäbe keine für Fukushima geeignete Technologie. Im August 2014 dann bot das Ministerium drei Firmen insgesamt gut acht Millionen Dollar (6,6 Millionen Euro) Hilfsgelder an. Ein Unternehmen lehnte ab; sein Ersatz wird gesucht. Eine zweites, eine Moskauer Firma, lehnte es auf Anfrage ab, über Details zu sprechen. Nur Kurion in Irvine/Kalifornien war bereit, Informationen über sein Projekt zu liefern.

Die Firma hat mit einem Verfahren namens Cece (das steht für: kombinierte Elektrolyse mit katalytischem Austausch) begonnen, das seit mindestens 35 Jahren bekannt ist. Der erste Schritt ist, das verseuchte Wasser mithilfe von Strom in Sauerstoff einerseits und Wasserstoff sowie Tritium andererseits aufzuspalten. Diese Mischung der Wasserstoff-Isotope strömt von unten in eine Säule mit Platin-Katalysatoren, während von oben Wasser hineintropft. An dem Edelmetall tauschen die Tritium-Atome im Gas den Platz mit den Wasserstoffatomen im Wasser. Das Gas wird so sauberer, das Wasser nimmt die strahlenden Isotope mit.

Laut Gaëtan Bonhomme, dem Technikchef von Kurion, hat seine Firma den Prozess so verbessert, dass bei jedem Durchlauf das Volumen von verseuchtem Wasser um drei Viertel abnehme. Der Prozess lasse sich dann bis zur gewünschten Konzentrationsstufe wiederholen. Ob es wirklich so kommt, wird sich erst 2016 zeigen. Was mit dem Tritium passiere, so Masao Matsuyama von der Universität Toyama, werde eine "Entscheidung für die Manager und Politiker" sein.

Dieser Artikel ist im Original in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Inf.: www. sciencemag.org, www.aaas.org.

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