Süddeutsche Zeitung

Biologie:Lärm macht Vögel aggressiv

Nicht nur Menschen, auch Rotkehlchen reagieren gereizt auf Straßenlärm. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Stadt- und Landtieren.

Von Hannah Wagner

Lärm erzeugt Stress, bei Menschen ist dieser Zusammenhang schon länger bekannt. Doch laute Geräusche machen offenbar nicht nur Menschen zu schaffen. Einem Team um die angehende Kognitionspsychologin Çağla Önsal von der Koç University in Istanbul zufolge reagieren auch Vögel auf Stadtlärm: Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in der Zeitschrift Behavioral Ecology and Sociobiology berichten, verhalten sich Rotkehlchen in der Stadt körperlich aggressiver als auf dem Land - und auch ländlich lebende Rotkehlchen werden reizbarer, wenn sie unter dem Einfluss von Stadtlärm stehen.

Rotkehlchen haben ein ausgeprägtes territoriales Sozialverhalten. Dringt ein Nebenbuhler in das eigene Revier ein, fangen sie sofort an zu singen, um diesen zu verscheuchen. Hilft das nichts, wird das Rotkehlchen körperlich: Es plustert sich auf, um seine rote Brust zu zeigen, oder nähert sich dem Gegner, um ihn zu verjagen. Reagiert der nicht, geht es auf ihn los.

Städtische Rotkehlchen sitzen Straßenlärm aus

Um das Verhalten der Vögel experimentell zu prüfen, bauten die Forscher der britischen Anglia-Ruskin-Universität (ARU) und der Koç-Universität ein Modell eines Rotkehlchens und konfrontierten mit diesem 21 echte Vögel, die in Istanbul sowie in ländlichen Gebieten um diese Metropole herum leben. Um die Attrappe möglichst echt wirken zu lassen, spielten sie zusätzlich über einen Lautsprecher den Gesang eines Rotkehlchens ein. Später ließen sie zusätzlich Aufnahmen von Stadtlärm erklingen. Und sie stellten fest: Rotkehlchen in der Stadt reagierten aggressiver auf die simulierten Eindringlinge als ländlich lebende Vögel. Und auch Rotkehlchen aus ländlichen Gegenden wurden aggressiver, wenn ihnen zusätzlich Verkehrslärm vorgespielt wurde. Bei städtischen Rotkehlchen zeigte diese extra verstärkte Geräuschkulisse keinen solchen Effekt. Sie reagierten darauf nur, indem sie selbst weniger sangen.

Die Wissenschaftler vermuten, dass städtische Vögel wohl an die Lärmbelastung gewöhnt seien und wüssten, dass diese auch wieder vorübergeht. Den zusätzlichen Lärm würden sie bis dahin gewissermaßen aussitzen. Ländliche Rotkehlchen dagegen sei der Straßenlärm weniger bekannt, deshalb würden sie schneller aggressiv.

"Die chronisch hohe Lärmbelastung, die Tag und Nacht in städtischen Lebensräumen herrscht, zum Beispiel durch Verkehr oder Baumaschinen, kann die effiziente Übertragung akustischer Signale dauerhaft stören", sagt Çağlar Akçay, Verhaltensökologe an der ARU in einer Pressemitteilung der Universität. "Dies ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass Rotkehlchen in Städten in der Regel aggressiver sind als Vögel auf dem Land." Und er warnt: Rotkehlchen seien recht kleine Vögel. Und für solche seien wohl nicht nur Stress, sondern auch aggressives Verhalten eher ungesund.

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