"Rosetta"-Mission:Husarenritt einer kleinen Raumsonde

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"Philae" (hier in einer Computersimulation) ist auf dem Kometen gelandet. Wahrscheinlich sogar zweimal. (Foto: ESA via Getty Images)

Vor mehr als zehn Jahren schickten Wissenschaftler die Landesonde "Philae" ins Weltall. 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist das Ziel erreicht: Ein Komet. Zunächst ist der Jubel groß, doch dann gibt es Probleme.

Von Alexander Stirn

"Wir sind da!" Stephan Ulamec strahlt über das ganze Gesicht. 20 Jahre hat er auf diese drei Worte warten müssen, 20 Jahre hat er darauf hingearbeitet. Er reckt den Daumen nach oben, umarmt seine Kollegen. Philae, sagt er etwas atemlos, "Philae redet mit uns." Doch die Signale, die Philae sendet, sind verwirrend.

Philae ist eine kleine Raumsonde, die offenbar gerade Großes geleistet hat. Mehr als 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sollte das küchenherdgroße Gefährt am Mittwochabend auf einem Kometen landen - auf einem nur vier Kilometer großen, urtümlichen Himmelskörper namens 67P/ Tschurjumow-Gerassimenko. Nie zuvor in der Geschichte der Raumfahrt hatte eine Sonde solch einen Husarenritt versucht. Ulamec, Philae-Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das die Sonde federführend gebaut hat, atmet tief durch. "Es ist nicht nur kompliziert, auf einem Kometen zu landen, es ist auch kompliziert zu verstehen, was dort gerade vor sich geht."

Philae war von Anfang an kein einfaches Projekt. Bereits im November 1993 hatte die Europäische Raumfahrtagentur Esa das ambitionierte Vorhaben genehmigt. Ein Jahr später begannen Ulamec und seine Kollegen mit der Entwicklung von Philae und dem Bau von Rosetta, dem europäischen Kometenjäger, der die kleine Sonde huckepack durchs All schleppen sollte. Schnell zeigte sich, dass die Mission deutlich komplexer werden würde als zunächst gedacht. Dann streikte auch noch die Ariane 5-Rakete, die das Duo ins All bringen sollte. Der ursprüngliche Starttermin im Januar 2003 war nicht zu halten, der eigentlich angepeilte Komet 46P/Wirtanen schied als Ziel aus.

Die Reise begann im März 2004

Die Wahl fiel stattdessen auf Tschurjumow-Gerassimenko - einen deutlich schwereren, deutlich aktiveren und für Philaes Landebemühungen auch deutlich gefährlicheren Felsbrocken als das ursprüngliche Ziel. Im März 2004 begann schließlich die lange Reise. Jetzt, 3908 Tage und mehr als 6,5 Milliarden Kilometer später, sollte die Mission ihren Höhepunkt erreichen.

Es war ein aufregender Tag für die Ingenieure hinter der Glasscheibe im Kölner Lande-Kontrollzentrum des DLR: Bereits 13 Stunden vor der Landung um 16.34 Uhr mussten sie ihre 100 Kilogramm schwere Sonde flugbereit machen. Neun Stunden vor dem Touchdown wurde die Bahn der Raumfahrzeuge ein letztes Mal korrigiert. Sieben Stunden vor dem Aufsetzen steuerte Rosetta einen exakt berechneten Punkt 22,5 Kilometer hoch über dem Kometen an und schubste Philae mithilfe dreier Schrauben leicht nach hinten weg. Das Raumfahrzeug fiel zum nur vier Kilometer langen Kometen hinab, zunächst mit einer Geschwindigkeit von 0,65 Kilometer pro Stunde. Kurz vor der Landung sollte Philae schließlich - so die Berechnungen der Ingenieure - knapp drei Kilometer pro Stunde erreichen. Schrittgeschwindigkeit.

Oliver Küchemann, verantwortlich für den Bordrechner der Landesonde, konnte bei all dem nur tatenlos zusehen. Den ganzen Tag über rauschten Daten und Kurven über seinen Bildschirm im Kölner Kontrollzentrum - Informationen zum Gesundheitszustand des 220 Millionen Euro teuren Raumfahrzeugs, die wenig Grund zur Sorge boten: Philae trennte sich wie geplant von seiner Muttersonde, stabilisierte sich, nahm - nach bangen Minuten des Wartens - Kontakt mit der Erde auf und schickte zum Abschied ein Bild von Rosetta.

Doch selbst wenn die Daten alarmierend ausgefallen wären, hätte der Informatiker, der seit 17 Jahren am Philae-Projekt arbeitet, wenig ausrichten können: Bei einer Entfernung von mehr als 500 Millionen Kilometern zwischen Tschurjumow-Gerassimenko und der Erde, braucht jede Botschaft gut 28 Minuten, um die Bodenstationen zu erreichen, ganz egal, ob es sich dabei um eine gute oder schlechte Nachricht handelt. Eingriffe von der Erde sind somit praktisch unmöglich. "Hier sitzen, auf die Telemetriedaten warten und das, was wir sehen, mit dem vergleichen, was wir sehen möchten - mehr können wir nicht tun", sagt der 46-Jährige Küchemann. Die Ärmel seines Pullovers hat er trotzdem hochgekrempelt.

Besonders bei der Landung musste alles ganz schnell gehen. Unzählige Male hatten Küchemann und seine Kollegen die Abläufe zuvor an einem Nachbau der Sonde durchgespielt. Sobald Sensoren das Aufsetzen registrierten, mussten zwei Harpunen aus der Unterseite der Sonde hervorschnellen und Philae auf dem Kometen verankern. Eine Düse an der Oberseite musste Philae zu Boden drücken. Eisschrauben unter den drei Landebeinen mussten sich in die Oberfläche krallen, über deren Beschaffenheit die Forscher kaum etwas wussten.

Eine Selbstverständlichkeit war das nicht. "Es wird sehr, sehr spannend", hatte Ulamec ein paar Tage zuvor gesagt. Denn Philae ist zwar dafür ausgelegt, selbst auf Schräghängen mit einer Neigung von 30 Grad aufsetzen zu können. Im Landegebiet warteten aber viele Hindernisse, Felsbrocken zum Beispiel oder Gräben. "Wenn man Pech hat und mit einem Bein genau auf solch einem Brocken oder einem Hang aufkommt, kann der Lander umkippen", so Ulamec. Es wurde tatsächlich der Krimi, den Ulamec versprochen hatte.

Das Satellitenkontrollzentrum der Weltraumorganisation Esa in Darmstadt: Erst lagen sie sich in den Armen, dann machte sich ein wenig Ernüchterung breit. (Foto: dpa)

Nachdem zunächst alles perfekt aussah, nachdem die Verantwortlichen im Kontrollzentrum jubelten, lachten, sich in die Arme fielen, machte sich nach und nach Ernüchterung breit. Die Düse, die Philae auf den Kometen pressen sollte, hat nicht funktioniert, die Harpunen haben nicht gefeuert. Zudem ging die Funkverbindung zur Sonde immer wieder verloren, nur um kurze Zeit später ohne Problem erneut hergestellt werden zu können. Ulamec, inzwischen weniger euphorisch, konnte am Mittwochabend nur spekulieren; die exakte Auswertung der widersprüchlichen Signale von Philae stand noch aus.

Womöglich setzte die Sonde kurz auf, konnte sich aber nicht festhalten, stieg ganz langsam wieder auf und begann sich zu drehen. Die gute Nachricht: Die Rotation hörte einige Stunden später von alleine auf - womöglich ein Zeichen dafür, dass Philae erneut festen Boden unter seinen drei Landebeinen gefunden hat. Beim Gedanken daran kann Stephan Ulamec schon wieder lachen. Er sagt: "Vielleicht sind wir heute nicht nur einmal auf einem Kometen gelandet, sondern sogar zweimal."

© SZ vom 13.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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