Roboter-Insekten:Im Bann der Robo-Kakerlake

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Lässt sich Ungeziefer in Zukunft mit kleinen Robotern aus der Küche locken? Tatsächlich ist es Wissenschaftlern gelungen, Schaben durch künstliche Artgenossen zu beeinflussen.

Joachim Marschall

Künstliche Organismen unterwandern unerkannt eine Gesellschaft und beeinflussen dort wichtige Entscheidungen.

Noch schlimmer: Unterstützt wird die Infiltration von Wissenschaftlern und mit EU-Geld.

Das klingt wie der Plot zu einem Science-fiction-Film, eine internationale Forschergruppe aber hat solche Roboter tatsächlich entwickelt. Allerdings wurden nicht etwa Menschen getäuscht, sondern eine deutlich weniger intelligente Spezies: Kakerlaken.

Das Projekt, das von dem Brüsseler Biologen José Halloy geleitet wurde, sollte klären, wie sich kollektives Verhalten in Tiergruppen ausbildet. Das ist einerseits theoretisch interessant: Wie entwickeln Insekten mit ihren winzigen Gehirnen und eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten, eine gemeinsame "Schwarmintelligenz"?

Auf der praktischen Seite wäre es verlockend, das Verhalten von Herden oder Schwärmen gezielt beeinflussen zu können. "Roboter könnten dazu genutzt werden, neue Verhaltensmuster in Gruppen in Gang zu setzen", schreiben Halloy und Co im Fachjournal Science (Bd. 318, S. 1155).

Ungeziefer in der Küche - in der Zukunft ein Fall für Robo-Schaben, die darauf programmiert sind, einen gezielten Exodus anzuführen?

Bevor die Maschinen jedoch das Krabbelgetier beeindrucken können, müssen sie zunächst als Artgenossen akzeptiert werden. Als Probanden wählten die Wissenschaftler Amerikanische Großschaben.

Wenig Ähnlichkeit mit echten Schaben

Die künstlichen Kakerlaken, entwickelt von Ingenieuren der ETH Zürich, hatten mit diesen lebenden Vorbildern äußerlich nur wenig Ähnlichkeit: Die "Insbots" sehen wie klotzige, kleine Modellautos aus; sie haben weder die Fühler und Beine, noch die schlanke Körperform der Gliederfüßer.

Damit sie trotzdem respektiert wurden, mussten die Forscher tricksen: Sie fingen den Geruch ein, den die Haut von Kakerlaken verströmt, wenn sie auf Artgenossen treffen. Im Labor analysierten sie den Molekül-Cocktail und brauten ihn nach.

Mit diesem Duft umhüllten sie die Roboter. Dergestalt parfümiert, wurden die Automaten plötzlich für die Schaben interessant: Statt sie wie vorher zu ignorieren, hielten sich die Tiere länger in ihrer Nähe auf. Die Forscher hatten die Botenstoffe entdeckt, die den Schaben signalisieren, dass sie es sich mit einem Artgenossen zu tun haben.

Als Sinnesorgane dienen den Insbots Infrarot-Sensoren, mit denen sie Hindernisse wahrnehmen. Auch hell und dunkel unterscheiden sie. Nun versuchten die Forscher, die kleinen Fahrzeuge so zu programmieren, dass sie sich selbständig wie echte Schaben verhielten. "Sie haben die Tendenz, ihre Umgebung zu erkunden", erklärt Roland Siegwart, der die Zürcher Robotiker-Gruppe leitet. "Wenn sie aber einen Kollegen treffen - künstlich oder natürlich -, haben sie noch mehr die Tendenz, dort zu bleiben."

Mit diesen einfachen Regeln kam das Verhalten der Maschinen der Natur erstaunlich nahe. Zwischen einer Gruppe aus 16 Kakerlaken und einer Gruppe aus zwölf echten und vier Robo-Schaben konnten die Forscher keine Unterschiede darin feststellen, wie ausgiebig ihre Versuchsobjekte die Umgebung erkundeten und wo sie gemeinsame Verschnaufpausen einlegten.

Wie weit die Integration der künstlichen Artgenossen ging, testeten die Forscher, indem sie den Robotern eine artfremde Vorliebe einprogrammierten: die für hellere Rastplätze. Vor die Wahl gestellt, unter einem dunkleren oder helleren transparenten Plastikdach Schutz zu suchen, wählen lebende Schaben fast immer kollektiv den schattigeren Unterschlupf.

Waren nun in einer Gruppe vier mechanische Schaben, die darauf getrimmt waren, hellere Verstecke zu bevorzugen, änderte sich das Muster dramatisch. Nun sammelten sich die Kakerlaken in zwei Dritteln der Fälle gemeinsam unter dem lichten Schutzdach.

Die Entscheidungsfindung der Tiergruppe konnte durch die Änderung der Roboter-Vorlieben beeinflusst werden. Als nächstes würde sich das Forscherteam gerne an komplexeren Tieren versuchen: Schafe oder Hühner fände Roland Siegwart interessant. Doch dafür, räumt er ein, gebe es noch einige technische Hürden zu nehmen.

© SZ vom 16.11.2007/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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