Roboter:Der Schwarm

Von diesem Frühjahr an werden Roboter durch die Kanäle Venedigs schwimmen. Die künstlichen Fische, Muscheln und Seerosen sollen den Zustand der Lagune erkunden.

Von Andrea Hoferichter

Glaubt man den Gondolieri von Venedig, sieht man die schönsten Seiten ihrer Stadt vom Wasser aus. Was sie wohl kaum erwähnen: Die weniger schönen verbergen sich im Wasser selbst: Es ist stark verschmutzt und mit Schadstoffen belastet. Um diese Seite Venedigs zu ergründen, will ein internationales Forscherteam in diesem Frühjahr einen Trupp aus Robotern in den Kanälen Venedigs aussetzen. In zwei Jahren soll dann ein großer Schwarm aus 150 Maschinen folgen. Touristen sollten sich also nicht wundern, wenn zwischen den Gondeln hin und wieder eine Antenne aus dem Wasser ragt.

Die Roboter sollen selbständig Daten sammeln, unter anderem zu Temperatur, Schmutzpartikeln und Schadstoffen im Wasser der Lagune. Und sie sollen ein Exempel statuieren. "Wir wollen zeigen, wie sinnvoll der Einsatz von autonomen Roboterschwärmen sein kann und dass er nicht nur im Labor funktioniert", sagt Thomas Schmickl von der Universität Graz, der das EU-Projekt "Subcultron" leitet. Bisher habe das Team Roboterschwärme nur in Pools getestet, Venedig sei der nächste logische Schritt. In der Lagune gebe es keine hohen Wellen wie etwa im Atlantik, das Wasser sei nicht sehr tief, und verloren gegangene Gerätschaften könnten schnell wiedergefunden werden.

Das Umweltmonitoring soll zeigen, wie und wo genau die Schadstoffe aus Industrie, Tourismus, Landwirtschaft und Schiffsverkehr das Wasser belasten. Dazu arbeiten die Forscher mit drei Robotertypen: Muschelartige aMussels auf dem Grund und fischgleiche aFish sammeln mit Kameras und Sensoren Bilder und Umweltdaten, die sie an kanaldeckelgroße, solarzellenbestückte aPads übertragen. Letztere treiben wie Seerosen auf der Wasseroberfläche und schicken Daten via SMS oder Twitter auf die Handys der Forscher.

Reise nach Venedig, Tourismus in der Lagunenstadt

Touristen sollten sich nicht wundern, wenn zwischen den Gondeln gelegentlich eine Antenne auftaucht.

(Foto: Olivier Morin/AFP)

Die mal gelben, mal grauen Fischroboter sind die kleinsten im Maschinenschwarm. Sie haben etwa das Format von Grapefruits und erinnern ein bisschen an Badewannentiere zum Aufziehen. Sie können allerdings deutlich mehr und wurden schon in einem Vorgängerprojekt erfolgreich getestet. Unter anderem schwimmen sie zwischen den Seerosen- und Muschelrobotern hin und her und helfen beim Datenaustausch der beiden weniger mobilen Kollegen. Ganz unbeweglich sind aber auch die Muschelroboter nicht. Bei Bedarf können sie ihre kleinen Anker aus dem Meeresboden lösen, sich mit der Strömung an einen anderen Ort treiben lassen oder aufsteigen, um an einem Seerosenroboter Strom zu tanken oder ihn als Taxi für einen Ortswechsel zu nutzen.

"Der Roboterschwarm entwickelt regelrecht ein Eigenleben. Er entscheidet selbst, wo er Daten sammelt und wann er genug hat und weiterzieht", erklärt Schmickl. Man müsse nur Ziele vorgeben, zum Beispiel: "Finde den tiefsten Ort", oder: "Finde das Gebiet mit dem höchsten Salzgehalt." Welche Routen die Roboter dann durch die Lagune nehmen werden, wissen auch die Forscher nicht.

Die Unterwassermaschinen kommunizieren über elektrische Wellen und Lichtsignale miteinander, bei größeren Entfernungen auch über Unterwasserschall. Sie wurden mit sogenannten Schwarm-Algorithmen programmiert, mit Teamregeln nach Vorbildern im Tierreich. Unter anderem standen dafür Schleimpilze, Ameisen- und Bienenvölker Pate. "Wir haben uns freizügig an der Biologie bedient", erzählt Schmickl, der eigentlich Insektenforscher ist. "Ein Bienenschwarm sieht zwar auf den ersten Blick aus wie das reinste Chaos, arbeitet aber hoch effektiv und nach ganz einfachen Regeln."

Die Achillesferse des Schwarms ist die Energieversorgung. Die meiste Energie sollen die Solarzellen auf den Seerosenrobotern liefern, die auch als Stromtankstelle für die beiden anderen Robotertypen dienen. Alle Maschinen werden zudem mit Energie aus Biobrennstoffzellen versorgt, die bakterielle Abbauprozesse im Lagunenwasser zur Stromproduktion nutzen. "Wenn es gelingt, den Schwarm ein paar Wochen am Leben zu halten, wäre das schon ein Quantensprung", betont Schmickl.

Roboter: Die Roboterfische (gelb) sollen zwischen den weniger mobilen Robotermuscheln auf dem Grund und den Roboterseerosen auf der Oberfläche hin und her schwimmen und beim Datenaustausch helfen. Bild: Artificial Life Lab, Graz Austria 2015

Die Roboterfische (gelb) sollen zwischen den weniger mobilen Robotermuscheln auf dem Grund und den Roboterseerosen auf der Oberfläche hin und her schwimmen und beim Datenaustausch helfen. Bild: Artificial Life Lab, Graz Austria 2015

Falls das Experiment funktioniert, könnten Roboterschwärme in Zukunft auch Schiffswracks oder Flugschreiber auf dem Meeresgrund suchen. "Sie sind außerdem geeignet, Pipelines und Offshore-Anlagen zu inspizieren oder den Zustand des Meeresbodens zu erfassen, etwa beim Abbau von Manganknollen in bundeseigenen Explorationsgebieten", sagt Sven Hoog vom Hamburger Unternehmen Impac. Dabei seien sie schneller und kostengünstiger als die bisher üblichen kabelgebundenen Messgeräte oder Einzelroboter.

Hoog leitete dreieinhalb Jahre lang das Forschungsverbundprojekt Smis, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert und im letzten Sommer abgeschlossen wurde. Die Ingenieure und Wissenschaftler entwickelten ein Viererteam aus Robotern für Tiefseemissionen, betrieben mit Strom aus Batterien und Gasbrennstoffzellen. Erste Tests einzelner Roboter in der Tiefsee und als "Minischwarm" im Bodensee seien erfolgreich verlaufen, berichtet der Ingenieur. Ein Folgeprojekt sei geplant, aber noch nicht bewilligt.

Thomas Schmickl glaubt, dass Roboterschwärme irgendwann sogar ferne Planeten erkunden werden. "Dann ist es auch kein Drama, wenn eine Maschine mal verloren geht, wie zum Beispiel zwischenzeitlich der Landeroboter Philae bei der Rosetta-Mission", sagt er. Ein Schwarm könnte einen solchen Verlust leicht kompensieren. Der Weg dahin sei aber noch weit. Erst einmal wird sich der Forscher den irdischen Herausforderungen in Venedig widmen. Deren Widrigkeiten könnten auch ganz banal sein: "Zum Beispiel könnten die Roboter in alten Fischernetzen hängen bleiben", befürchtet der Forscher. "Noch ist die Lagune für uns eine Blackbox."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: