Süddeutsche Zeitung

Robbenjagd:Schlachten im Packeis

Blutlachen und Tierkadaver wirken auf den Betrachter barbarisch. Trotzdem setzen sich nicht nur Berufsfischer für die Robbenjagd ein - sondern auch Naturschützer.

Hubertus Breuer

Die Tierschützerin Rebecca Aldworth stapft über das Treibeis nahe den kanadischen Magdalenen-Inseln im Sankt-Lorenz-Golf. Sie ist auf der Jagd nach Robbenfängern - mit einer Kamera.

Die Jäger ihrerseits sind mit Hakapiks bewaffnet, einer Art Enterhaken mit einem stumpfen Hammerkopf. Damit werden vor der Ostküste Kanadas jedes Jahr Jungtiere erschlagen. 19.400 Sattelrobben haben die Jäger allein in der vergangenen Woche erledigt; mehr als 338.000 Robben sollen bis Mitte April entlang der kanadischen Atlantikküste noch gejagt werden.

Auch in Norwegen, Russland, Grönland und Namibia erlegen Jäger jährlich Zehntausende der Meeressäuger - doch nirgendwo sterben so viele der Tiere durch Menschenhand wie in Kanada.

Aldworth ist Direktorin der Tierschutzorganisation Humane Society International Canada, die mit Filmaufnahmen von dem blutigen Treiben die Weltöffentlichkeit wachrütteln will. In einer vor wenigen Tagen gedrehten Szene kniet sie neben gehäuteten Robbenkadavern, deren Blut das Packeis tränkt. "Was vor wenigen Wochen noch eine wunderbare Kinderstube war", sagt sie zu den Zuschauern gewandt, "ist jetzt einer der schrecklichsten Orte der Welt."

An der Ostküste Kanadas wird gekämpft - um niedliche Robbenjungen, öffentliche Aufmerksamkeit, Geld und politischen Einfluss. Die Inuits und die Arbeiter der Robbenwirtschaft in Neufundland, Labrador und rings um den Sankt-Lorenz-Golf verteidigen die Jagd als Teil ihres Lebensunterhalts.

Die Tierschützer schwärmen jedes Frühjahr aus, um das Gemetzel zu dokumentieren, Protest zu organisieren und mit drastischen Fotos und Videos Millionen Dollar an Spenden einzusammeln. Auch Prominente lassen sich gelegentlich in Kanadas Osten blicken, um gegen die Jagd zu protestieren. So ließen sich 2006 Heather Mills und Paul McCartney neben einem weißen Robbenbaby fotografieren.

Auch in diesem Jahr kocht der Streit wieder hoch. Erst kürzlich hat die russische Regierung bekanntgegeben, die Jagd auf alle weniger als ein Jahr alten Robben im russischen Eismeer zu verbieten - und damit genau jene Tiere zu schonen, deren Felle für Stiefel, Mäntel und Jacken so begehrt sind.

Ende April stimmt das Europäische Parlament über ein Einfuhrverbot für sämtliche Robbenprodukte ab. Der Binnenmarktausschuss des Parlaments hat dem Plenum bereits empfohlen, das Verbot zu beschließen.

Auch die Bundesregierung plant, über ein solches Verbot zu beraten. Das sind schlechte Aussichten für die kanadische Regierung, deren Abgesandte in Brüssel in den vergangenen Monaten Argumente für die Jagd vortrugen.

So barbarisch die Blutlachen und Robbenkadaver auf den Betrachter wirken, so sehr stehen sie einer sachlichen Bewertung des Themas Robbenjagd im Weg. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet diskutieren Experten die Nachhaltigkeit der Jagd, ihre Bedeutung für das Ökosystem und nicht zuletzt auch die Tötungsmethoden. Dabei wird zumindest eines deutlich: Einfache Antworten gibt es nicht.

Gefährdet sind die Sattelrobben trotz gelegentlich gegenteiliger Behauptungen von Tierschützern nicht. Die kanadische Fischereibehörde schätzt die Population auf mehr als 5,5 Millionen Tiere. Das sind 1,4 Millionen mehr als nötig, um an der kanadischen Ostküste eine überlebensfähige Population zu erhalten.

Auf der Liste bedrohter Arten der Weltnaturschutzunion IUCN taucht die Sattelrobbe nicht auf. Die ebenfalls gejagten Kegelrobben gelten auf der IUCN-Liste ausdrücklich als nicht gefährdete Art - 50.000 Exemplare dürfen dieses Jahr in Kanada getötet werden.

Von den in der Tat als bedroht geltenden Klappmützen sind nur 8200 einer auf 600.000 Tiere geschätzten Population zur Jagd freigegeben. "Seit 1970 hat sich die Robbenpopulation verdreifacht", sagt der für das kanadische Fischereiministerium arbeitende Meeresbiologe Mike Hammill. "Ihre Zahl war wahrscheinlich seit 100 Jahren nicht mehr so hoch."

Das kann sich mit dem Klimawandel freilich ändern. Die Robbenmütter schwimmen aus der Arktis nach Süden, um ihren Nachwuchs vor Kanadas Ostküste zu säugen. Die Tiere sind dazu auf Eisschollen angewiesen.

Was passiert, wenn diese mit fortschreitender Erderwärmung verschwinden, ist unklar. Kein Experte weiß, ob die Tiere sich anpassen und ihre Jungen weiter im Norden zur Welt bringen werden.

Kabeljau im Blick

In einer im vergangenen Jahr im Fachjournal Ecological Applications publizierten Studie, kam der Biologe Timothy Ragen von der US-Kommission für Meeressäuger in Bethesda, Maryland, zu dem Schluss: "Abgesehen von Maßnahmen, die den Klimawandel direkt verhindern, gibt es keine bekannten Mittel, um den Erhalt dieser Tiere und Ökosysteme sicherzustellen."

Während die meisten Jagdbefürworter aus den Reihen der Inuits und der Berufsfischer kommen, finden sich unter ihnen auch überraschende Stimmen. Der Naturschutzverband Nature Quebec - eine Unterorganisation der Weltnaturschutzunion IUCN - sprach sich Anfang März für die Robbenjagd aus.

Ein Verbot, so hieß es in einer Pressemitteilung, würde dem Ökosystem schaden. "Die Kampagne gegen die Jagd entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage", fügte der Direktor des Verbands, Christian Simard, hinzu.

Bei der Betrachtung des ökologischen Gleichgewichts rückt nämlich eine andere Tierart ins Blickfeld - der Kabeljau. 1992 kollabierten dessen Bestände vor Neufundland wegen Überfischung, der Fang wurde eingestellt, eine ganze Industrie ging Pleite. Bis heute hat sich der Kabeljau nicht erholt.

Welche Rolle hier Robben spielen, ist nicht eindeutig geklärt. Sattelrobben decken nur zwei bis zehn Prozent ihres Nahrungsbedarfs mit Kabeljau. Laut Modellrechnungen, die Mike Hammills angestellt hat, könnte sich der Kabeljau jedoch schneller erholen, wenn die Zahl der Sattelrobben auf die kritische Populationsgrenze von vier Millionen fallen würde.

Streitpunkt Tötungsmethode

Aber das steht ohnehin nicht zur Debatte. Umgekehrt jedoch, spekuliert Hammill, sei es durchaus denkbar, dass ein komplettes Verbot der Jagd die Kabeljaubestände in fünf bis zehn Jahren nachhaltig beeinträchtigen könnte.

Die am hitzigsten geführte Auseinandersetzung dreht sich indes um die Tötungsmethode der Jäger. Mehrheitlich benutzen kanadische Robbenfänger inzwischen Gewehre. Tierschützer zeigen jedoch meist Filme, in denen Jäger den Jungtieren den Schädel mit Hakapiks zertrümmern.

Die Frage ist in beiden Fällen die gleiche: Sterben die Tiere rasch? Falls nicht, würden die Robben unnötig leiden und ihnen womöglich bei lebendigem Leibe das Fell abgezogen. An dieser Frage scheiden sich nicht nur die Ideologien, sondern auch die Experten.

Ein von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Auftrag gegebener Bericht kam 2007 zu dem Schluss, dass "Robben rasch und effektiv getötet werden können" - wie Nutztiere in Schlachthäusern auch.

In diesem Sinne zitiert der Report eine 2002 im Canadian Veterinary Journal veröffentlichte Überblicksstudie, laut der nur ein kleiner Anteil von Robben nicht tiergerecht getötet werde. Die Autoren vergleichen dies mit Schlachthöfen in den USA, in denen ein geringfügiger Prozentsatz der Rinder mehr als einmal mit einem Bolzenschuss betäubt werden muss.

Reflex oder Bewusstsein

Erwähnt wird aber auch eine im Auftrag des International Fund for Animal Welfare (IFAW) von Tierärzten erstellte Stichprobe. Die stellte 2001 nach einer Robbenjagd aufgrund der Schädelfrakturen fest, dass von 76 Tieren 13 wahrscheinlich noch voll und 19 womöglich teilweise bei Bewusstsein waren, als sie gehäutet wurden.

Das oft gefilmte Zappeln der Tiere, nachdem sie erschlagen oder erschossen wurden, stellt der EFSA-Bericht fest, sei nicht mehr als ein Reflex, der sich auch bei getötetem Schlachtvieh beobachten lässt. Aber es sei nicht völlig auszuschließen, dass manche Tiere zucken, weil sie noch bei Bewusstsein sind.

Ob Reflex oder Panikreaktion, sei mit letzter Sicherheit nicht immer klar unterscheidbar. Der Report konstatiert deshalb abschließend, dass Unklarheit darüber herrsche, ob die Tiere bei der Jagd unnötig gequält werden. "Es mangelt an objektiven Daten und verfügbare Daten werden unterschiedlich interpretiert."

Falls die Politik die kommerzielle Robbenjagd nicht stoppen sollte, geschieht dies womöglich aus einem anderen Grund: Der Preis der Felle ist stark gefallen. Vor allem in Russland und Asien ist die Nachfrage eingebrochen.

2007 brachte ein Fell einem Jäger noch 70 Dollar ein, jetzt sind es etwa 30 Dollar. Ein EU-Importverbot würde das verschärfen, da Robbenprodukte dann nicht durch die EU transportiert werden dürften.

Einige wollen das Geschäft dennoch nicht aufgegeben. Der Robbenjäger Dave Patey, seit über 30 Jahren dabei, sagte der kanadischen Tageszeitung Ottawa Citizen: "Für die Demonstranten mag das keine große Summe sein, aber 2000 oder 3000 Dollar am Anfang der Fischereisaison sind für mich eine Menge Geld."

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Quelle:
SZ vom 04.04.2009/gal
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