Süddeutsche Zeitung

Senioren im Krankenhaus:Der Anfang vom Ende

In der Klinik bauen alte Menschen oft dramatisch ab. Wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, sollte man Hochbetagte deshalb nicht ins Krankenhaus einweisen.

Christina Berndt

Das Krankenhaus musste sein. Als Notfall wurde Loki Schmidt am 23.September in die Hamburger Asklepios-Klinik eingeliefert, weil sie sich bei einem Sturz zu Hause in Langenhorn das rechte Sprunggelenk gebrochen hatte. Vier Wochen später war die 91-Jährige tot.

"Das ist leider der Klassiker", sagt Claudia Schacke, Professorin für soziale Gerontologie an der Katholischen Hochschule Berlin. "Durch einen Krankenhausaufenthalt bauen alte Menschen oft dramatisch ab. Das kann der Anfang vom Ende sein."

Schon junge Menschen fühlen sich auf langen Klinikfluren und in schneeweißen Zimmern mit gleißendem Licht und Betten, die mehr Technik als Geborgenheit ausstrahlen, nicht wohl. "Für alte Menschen aber ist eine ungewohnte Umgebung ein großer Stress", sagt Schacke.

Es belaste sie, wenn schon der Weg zur Toilette unbekannt ist, wenn das Bild beim Öffnen der Augen ein anderes ist, wenn das Essen anders schmeckt und das Zimmer kühler ist als zu Hause. "Dann fehlt der Halt im Leben", sagt Schacke. "Das wirkt auf alte Menschen sehr beängstigend."

Viele alte Menschen - und damit sind schon über 60-Jährige gemeint - entwickeln in der Folge ein Delirium. Sie reagieren mit Verwirrung, Halluzinationszuständen, Unruhe oder Schläfrigkeit, sind mitunter aggressiv oder schreckhaft. Oft vergeht der Zustand wieder, bisweilen hält er aber auch an.

"Eine Krankenhaus-Einweisung in hohem Alter ist definitiv ein Hochrisikofaktor dafür", betont Matthias Schuler, Geriater am Diakonie-Krankenhaus in Mannheim. Darunter litt ihrem Arzt Heiner Greten zufolge auch Loki Schmidt, die zuletzt nicht mehr ansprechbar war und ihre Angehörigen nicht erkannt hat. "Im Delirium sind die Menschen nicht mehr Herr ihrer Sinne", sagt Claudia Schacke.

Umso wichtiger sei es, alten Menschen im Krankenhaus die gewohnten Strukturen zurückzugeben. Dazu gehören nicht nur vertraute Gegenstände und Speisen, sondern auch altbekannte Gesichter. "Es hilft enorm, wenn Angehörige regelmäßig zu Besuch kommen; wenn jemand da ist, der sich kümmert und nach dem Rechten guckt", sagt Schacke.

Es sind aber nicht nur die psychischen Faktoren, die zum schnellen Abbau führen. Wenn die alten Menschen ihre täglichen Aufgaben verlieren - sich nicht einmal mehr um ihr Frühstück oder den Kaffee kümmern müssen und dürfen, dann fehlt schnell der Anreiz, fit zu bleiben. Für Matthias Schuler gilt daher folgende Devise: "Wenn man es irgendwie vermeiden kann, sollte man hochbetagte Menschen nicht ins Krankenhaus einweisen."

Heutzutage ist vieles zu Hause machbar

Gewiss lasse sich nicht jeder Klinikaufenthalt vermeiden, ein Knochenbruch wie bei Loki Schmidt müsse nun einmal operiert werden, so Schuler. "Es sollte aber möglichst viel Medizin in den eigenen vier Wänden möglich gemacht werden."

Heutzutage sei vieles zu Hause machbar - bis hin zu kleineren ambulanten Operationen. "Die Crux dabei ist nur: Ältere Menschen bedürfen einer intensiveren Nachbetreuung", sagt Schuler.

Damit ist nicht nur Pflege gemeint: Auch die Schmerztherapie muss stimmen, weil Menschen unter Schmerzen besonders häufig ein Delirium entwickeln. Ausgebildetes Personal muss eine sich anbahnende Lungenentzündung - eine häufige und oft tödliche Folge von Bettlägerigkeit - schnell erkennen. Gerade bei alten Menschen ist deshalb doch ein Krankenhausaufenthalt nötig - aber tunlichst einer, der sie nicht ans Bett fesselt.

"Wir versuchen, Fixierung weitestgehend zu vermeiden, und zwar die medikamentöse ebenso wie die körperliche", sagt Matthias Schuler. Selbst wenn Patienten im Delirium aufgeregt durch die Zimmer laufen, sei die Sedierung mit Tabletten oder das Anbringen von Bettgittern die letzte Wahl.

Die Alten sollen in Bewegung bleiben - schon um Lungenentzündung, Thrombosen oder die gefürchteten Wundliegegeschwüre zu vermeiden, aber auch den körperlichen Abbau. "Gleichzeitig muss man bei diesen unruhigen Geistern unbedingt die Sturzgefahr minimieren", sagt Schuler. Dazu gebe es Niedrigbetten. "Und wenn die nicht reichen, legen wir lieber eine Matratze auf den Boden, als die Patienten festzusetzen."

Agitierte Patienten würden von den Krankenschwestern sogar bei ihrer Arbeit mitgenommen. "Sie sollen nicht eingesperrt sein zwischen weißen Wänden", sagt Schuler. "Sie brauchen ja den Personenkontakt, die Geborgenheit, das macht sie ruhiger."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1015546
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.10.2010/mcs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.