Süddeutsche Zeitung

Veterinärmedizin:Streit um vorsorgliches Schlachten

  • Wenn sich Kühe mit dem Herpesvirus BHV-1 infizieren, muss grundsätzlich die ganze Herde vorsorglich gekeult werden - auch die gesunden Tiere.
  • Es ist eine umstrittene Praxis, mit der sich viele Bauern nicht mehr abfinden wollen.
  • So auch eine Familie aus Aachen - sie hat jetzt Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.

Von Leon Kirschgens

Es war Juli, als Familie Giesen jene Nachricht erhielt, die jeder Milchbauer fürchtet: Ein Teil ihrer Kuhherde ist mit einem für Rinder typischen Herpesvirus infiziert. Und während Herpesviren für Menschen meist nur lästige Begleiter sind, für die Rinder bedeuten sie den Tod. Nicht, weil die Infektion tödlich verliefe. Sondern von Gesetz wegen: Wird das Bovine Rinderherpesvirus, kurz BHV-1, im Bestand entdeckt, müssen alle Tiere gekeult werden - und zwar unabhängig davon, ob die Rinder krank sind oder nicht. Für die Giesens ein Desaster. 530 Tiere stehen bei ihnen im Stall. "All das passiert nur wegen eines harmlosen Virus", sagt Anja Giesen, die Bauerstochter.

Noch leben die Tiere. Die Giesens aus Aachen haben Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Während BHV-1 für Bauern wie die Giesens ein "harmloser" Erreger ist, der weder Rinder schwer krank macht, noch Menschen über Milch und Fleisch gefährdet, gilt das Virus in der Tiermedizinern allerdings als heikel. Es kann zu Fieber, Atemproblemen und Fehlgeburten führen und gefährdet die Zucht. Der Bestand der Giesens ist dabei nur einer von mehreren, die jedes Jahr erkranken. Im vergangenen Jahr traf es laut Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, zehn Bestände in Deutschland.

Dass die Rinder frei von Herpes sind, ist für den Handel mit Vieh wichtig, nicht für die Milchbauern

Dennoch regt sich unter Landwirten Widerstand - genährt von der Frustration, auch klinisch gesunde Tiere schlachten zu müssen. Und auch eine erste Lobbygruppe der Widerständler hat sich formiert: Der Bauernbund Brandenburg, eine Interessensvertretung bäuerlicher Familienbetriebe, will ein Umdenken anstoßen. Geschäftsführer Reinhard Jung glaubt, dass Deutschland ein verschrobenes Verhältnis zu Tierkrankheiten hat. "Die Natur ist nicht keimfrei, Tiere erkranken genauso wie Menschen", sagt er. "BHV-1 ist nicht zwingend gefährlich für die Rinder, nicht bei allen bricht das Virus aus. Muss man sie dennoch vorsorglich schlachten?"

Ja, muss man, sagt Martin Beer vom FLI. "Nur so kann Deutschland dauerhaft gewährleisten, als rinderherpesvirusfrei zu gelten", sagt der Professor - ein Status, der voraussetzt, dass sich in mindestens 99,8 Prozent aller deutschen Rinderhaltungen keine sogenannten BHV-1-Antikörper nachweisen lassen, so heißen Immunmoleküle, die der Körper der Tiere beim Kontakt mit dem Virus bildet. Wichtig ist das für den Handel: Gesunde Tiere lassen sich zu besseren Preisen exportieren. Die kleineren Rinderhöfe handeln jedoch nicht mit ihren Tieren. "Hier wird auf Kosten von Tausenden Familienbetrieben ein Virus ausgemerzt, nur um einer Handvoll Händlern bessere Handelsbedingungen zu ermöglichen", sagt Jung.

Beer hält diese Sicht für verkürzt. "Tatsache ist, dass das Virus nach der Ausscheidung auch auf andere Rinder und auf weitere Bestände übergreifen kann." Gesunde Tiere würden oft zu "stillen Überträgern". Die einzig zuverlässige Methode, eine Ausbreitung zu verhindern, sei, die Rinder zu schlachten - "so dramatisch das im Einzelfall ist". Die letzte Hoffnung heißt für manche Bauern nun Impfung. Sie war 1997 eingeführt und 2015 wieder verboten worden.

Denn zwar hilft die Impfung anfangs, das Virus zu verdrängen. Doch nicht alle Tiere sind vollständig vor einer Ansteckung geschützt, sie könnten das Virus ausscheiden und verbreiten. Da geimpfte Tiere zudem stets Antikörper gegen das Virus bilden, können Veterinäre tatsächlich infizierte Rinder nicht mehr erkennen. Das gilt jedoch als nötig, um eine Ausbreitung auf umliegende Bestände zu verhindern.

Sollten die Giesens vor Gericht verlieren und alle Tiere keulen müssen, bekommen sie je Tier eine Entschädigung. Der Verlust wird dennoch im sechsstelligen Eurobereich liegen.

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