Süddeutsche Zeitung

Riffsterben:Chemische Keule bedroht Korallen

  • Wichtige Korallen könnten bis zum Jahr 2050 erheblich beschädigt und bis zum Jahr 2100 abgetötet werden, sollte die Welt wie bisher Kohlendioxid in die Luft blasen, warnt ein Forscherteam.
  • Kohlendioxid in der Atmosphäre lässt die Meere zunehmend versauern. Damit werden die Korallen anfälliger für ein Gift, das von Seetang produziert wird.
  • Der Seetang überwuchert die Korallen und trägt zu ihrem Absterben bei. Viele Riffe sind durch zu warmes oder schmutziges Wasser bereits geschwächt.

Von Benjamin von Brackel

Am Grund des Ozeans tobt ein Kampf, Korallen und Seetang ringen um die Vorherrschaft am Meeresboden. Seit 400 Millionen Jahren erschaffen Korallenpolypen mithilfe von einzelligen Algen ihre Unterwasserwelten; ähnlich lange müssen sie sich gegen Seetang zur Wehr setzen, der Korallen zu überwuchern droht. Nun bahnt sich eine Entscheidung an: Der Seetang könnte die Auseinandersetzung in diesem Jahrhundert gewinnen - mithilfe chemischer Waffen. "Was derzeit unter Wasser passiert, ist nichts anderes als chemische Kriegsführung", sagt Mark Hay vom Georgia Institute of Technology in Atlanta.

Der Meeresökologe hat einen großen Teil seines Lebens im Wasser verbracht, etwa 5000 Tauchgänge hat der 64-Jährige hinter sich. Seit Ende der 1970er-Jahre verfolgt er, wie viele Korallenriffe in der Karibik verfallen und von Seetang überwuchert werden. Hay versucht vor allem, die chemischen Botenstoffe zu verstehen, mit denen Pflanzen sich gegen Feinde wehren. Ein gängiges Phänomen in der Natur: Eichen oder Walnussbäume etwa lagern Gerbsäure in ihren Blättern ein, um Pflanzenfresser abzuhalten. Auch Seetang setzt Giftstoffe frei, um Korallen umzubringen und sich am Ozeanboden auszubreiten; das wies Hay erst im Jahr 2010 nach.

Bislang konnten sich die Korallen noch gut verteidigen - ebenfalls mit Chemie. Doch nun hat Hay gemeinsam mit Kollegen aus Australien und den USA in einer Studie im Fachmagazin Scientific Reports gezeigt, dass Seetang umso potentere Gifte produziert, je mehr die Ozeane versauern. Das könnte im Kampf um die Vorherrschaft am Riff der entscheidende Vorteil sein, zumal die Korallen vielerorts ohnehin durch zu warmes oder verschmutztes Wasser geschwächt sind. Wichtige Korallen könnten bis zum Jahr 2050 erheblich beschädigt und bis zum Jahr 2100 abgetötet werden, sollte die Welt wie bisher Kohlendioxid in die Luft blasen, warnt das Team um den Meeresbiologen Carlos del Monaco von der Griffith University in Brisbane.

Bisher haben Fische die Algen abgeweidet, doch der Mensch hat die Tiere stark dezimiert

Auf Heron Island, einer 17 Hektar großen Insel im Süden des Great Barrier Reef, haben die Wissenschaftler in Wasserbehältern zwei Wochen lang unterschiedliche Korallen- und Seetang-Arten aus dem Riff angesiedelt. In einige Behälter pumpten sie Kohlendioxid, bis der CO₂-Gehalt dem entsprach, was für Mitte und Ende des Jahrhunderts erwartet wird. Das Ergebnis: Die Korallen nahmen umso mehr Schaden, je höher der CO₂-Gehalt lag. "Mancher Seetang tötete die Korallen innerhalb von zwei Tagen ab", sagt Hay.

Der Meeresökologe extrahierte zudem von der Oberfläche des CO₂-gestärkten Seetangs die ätherischen Öle, in denen sich Terpene befinden, die chemischen Giftstoffe. Die trug er mithilfe eines Gels auf kleine Streifen auf, die einem zerschnittenen Mückennetz ähneln, tauchte damit ins Meer und verband die Korallen. Abermals litten die Korallen am meisten, welche die chemischen Botenstoffe aus den Behältern mit der höchsten CO₂-Konzentration abgekriegt hatten - wenn auch nicht so sehr wie in den Wasserbehältern. Denn dort hatte zusätzlich die Versauerung gewütet.

Zwar wurden nicht alle Seetang-Arten durch die Kohlendioxid-Spritze giftiger. Allerdings war eine Art darunter, die Meeresforschern Sorgen bereiten dürfte: Canistrocarpus cervicornis, eine gewöhnliche Braunalge. "Dieser Seetang ist einer der am weitesten verbreiteten in der Welt", sagt Hay. Noch rätseln die Forscher, warum der Seetang in CO₂-reicherer Umgebung mehr chemische Gifte produzieren kann. "Möglicherweise braucht mancher Seetang mehr Kohlendioxid, um besser Photosynthese betreiben und schneller wachsen zu können", mutmaßt Hay. "Und das ermöglicht, potentere chemische Stoffe auszubilden."

Für die Korallen dürfte es auf jeden Fall sehr schwer werden, sich gegen die Angriffe zu wappnen. Viele Korallen leben bis zu 400 Jahre lang - das ist zu lang, um sich durch zügige Auslese über mehrere Generationen auf die veränderte Situation einzustellen. "Wir verändern die chemische Zusammensetzung der Ozeane wahrscheinlich in einem Tempo, bei dem den Korallen keine Zeit bleibt, sich anzupassen", sagt Hay.

Bislang konnten manche Korallen noch um Hilfe rufen, wenn sie von Seetang attackiert wurden. Etwa die Korallenart Acropora nasuta, die nach feindlichem Angriff Duftstoffe aussendet, wie Forscher des Georgia Institute of Technology im Jahr 2012 in der Fachzeitschrift Science belegten. Wenige Minuten nach dem Duftalarm rückten Grundeln an und fraßen den Eindringling auf. So beschützen die Fische nicht nur die Korallen, die ihnen Unterschlupf und Nahrung bieten, sondern machen sich selbst durch die toxische Kost weniger attraktiv für Fressfeinde. "Die Fische halten das Algenwachstum auf einem niedrigen Level", sagt Hay. Nur: Weil der Mensch die Riffe überfischt, fehlen den Korallen zunehmend ihre Beschützer.

Es bringt gar nichts, den Seetang an den Riffen auszurupfen. Er wächst viel zu schnell nach

Der Mensch kann jedenfalls kaum einspringen. "Das Ausmaß des Problems ist so groß, dass es wenig bringen würde, ein Bündel Seetang aus dem Riff zu rupfen, denn es wächst einfach nach und regeneriert sich", sagt Guillermo Diaz-Pulido von der australischen Griffith University, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. "Um dem wirklich etwas entgegenzusetzen, müssen wir die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre senken."

Das würde auch das derzeit größte Problem für die Korallen mildern: Die Erwärmung der Ozeane durch den Klimawandel. Als Mark Hay im Jahr 2013 seine Verbände um die Korallen im Great Barrier Reef wickelte, zeigte sich ihm das Riff noch in seiner ganzen Pracht. Danach jedoch gab es zwei extreme Hitzejahre in Folge - mit Bleichen in großen Teilen des Riffs.

Das könnte in Zukunft zum Normalfall werden, wie Forscher um Ruben van Hooidonk von der Universität Miami im Fachblatt Scientific Reports gezeigt haben. Mithilfe von Klimamodellen haben sie abgeschätzt, welche Korallenriffe auf der Welt Jahr für Jahr aufs Neue von schweren Korallenbleichen betroffen sein werden - spätestens von diesem Punkt an sind drastische und dauerhafte Veränderungen an einem Riff unvermeidlich.

Am anfälligsten sind demnach Riffe nahe dem Äquator, vor allem vor Indonesien, Taiwan und in der Karibik. Im weltweiten Durchschnitt beginnt die Phase der jährlichen Bleichen im Jahr 2043, falls die CO₂-Emissionen weiter steigen sollten. Bis zum Ende des Jahrhunderts dürfte es in diesem Fall 99 Prozent der Korallenriffe treffen. Und da ist die Ozean-Versauerung noch gar nicht mit einberechnet - van Hooidonk nimmt an, dass sie sich erst in Jahrzehnten ernsthaft bemerkbar macht.

Was die Zukunft der Meere angeht, ist die Versauerung bislang jedoch noch eine große Unbekannte. Wie stark sie sich auf Korallen auswirkt, bleibt umstritten. Viele Studien, die einen negativen Effekt nachwiesen, wurden kritisiert, weil sie nur auf Laborexperimenten beruhten. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass die Veränderung Korallen sehr zu schaffen machen wird: Schon heute fällt es ihnen offenbar schwerer, ihre Kalkschalen auszubilden. Der pH-Wert der Ozeane ist durch die CO₂-Anreicherung seit der Industrialisierung bereits um 0,1 Einheiten gefallen.

Mark Hay warnt davor, Erwärmung und Versauerung gegeneinander auszuspielen. "Wir kommen nicht weiter, indem wir uns streiten, welches von beidem schlimmer ist", sagt er. "Beides passiert. Und keines von beiden ist gut." Egal ob Überfischung, Erwärmung oder Versauerung - am Ende werden Korallen geschwächt, und der Seetang profitiert.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2017/chrb
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