Riff vor Australien:Great Barrier Reef soll Müllkippe werden

Bauschlamm ins Weltnaturerbe? Was wie ein böser Scherz klingt, soll in Australien Realität werden. Die Regierung will die Kohleindustrie fördern - mit allen Mitteln.

Von Urs Wälterlin und Marlene Weiß

Nein, als Drohung will Fanny Douvere das mit der Liste nicht verstanden wissen. "Wir sind da, um den Staaten zu helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen", sagt die Unesco-Expertin für Meeresgebiete. Aber wenn ihre Organisation erwägt, das weltberühmte Great-Barrier-Riff vor der Küste Australiens im Juni auf die Liste "Welterbe in Gefahr" zu setzen, dann heißt das, dass Australien nach Ansicht der Unesco Hilfe nötig hat. Weil es schon diverse weniger richtige Entscheidungen getroffen hat. Noch ein paar davon, und das Riff könnte so großen Schaden nehmen, dass der Weltnaturerbe-Titel in Schimpf und Schande aberkannt wird - das ist die Botschaft.

Australien hat offenbar seine eigenen Vorstellungen darüber, was richtig und falsch ist. Bis Freitag hatte das Land Zeit, der Unesco ein weiteres Mal über die Fortschritte bei der Umsetzung ihrer Empfehlungen zum Schutz des einzigartigen Riffs zu berichten. Australien reichte seinen Bericht sogar schon zwei Tage früher ein. Dafür gab es an diesem Freitag anderes mitzuteilen: nämlich dass demnächst bis zu drei Millionen Kubikmeter Schlamm aus der Ausbaggerung des Hafens Abbot Point ins Riffgebiet gekippt werden dürfen. Das sind 150 000 Kipplaster-Ladungen. Australiens Umweltminister Greg Hunt hatte die Genehmigung bereits erteilt, jetzt hat auch das für den Schutz des Riffs zuständige Amt dem sogenannten Dumping zugestimmt. Er verstehe zwar die Kritik von Umweltschützern am Entscheid, sagte Russell Reichelt von der "Great Barrier Reef Marine Park Authority". Die Bewilligung basiere aber auf dem Entscheid der Behörde, den bestehenden Häfen entlang der Küste von Queensland eine Expansion zu erlauben.

Weltnaturerbe als Müllkippe

Danach wird es der North Queensland Bulk Ports Corporation und der indischen Adani-Gruppe gestattet sein, den Meeresboden im inzwischen 30 Jahre alten Hafen Abbot Point auszubaggern und den Aushub im Meer vor der Stadt Bowen im Weltnaturerbegebiet des Riffs zu entsorgen. Die Folge: Größere und tiefer im Wasser liegende Kohlefrachter können im Hafen anlegen. Damit können die Verladekapazitäten pro Jahr um etwa 70 Millionen Tonnen Kohle im Gesamtwert von bis zu 1,8 Milliarden Euro erweitert werden. Australien ist der größte Kohleexporteur der Welt, und im Bundesstaat Queensland liegen einige der reichsten Kohlelagerstätten.

Mounds of coal can be seen along the coastline of Queensland at the port of Hay Point

Kohlelagerstätte an der Küste von Queensland

(Foto: REUTERS)

Umweltverbände verurteilten den Entscheid scharf. Richard Leck vom World Wildlife Fund meinte, es sei "ein trauriger Tag für das Riff und für jeden Menschen, der sich darum sorgt". Wie schlimm sich der Schlamm auswirkt, ist umstritten. Naturschützer fürchten vor allem, dass die feinen Partikel das Wasser über lange Zeit trüben, sich auf den Korallen ablagern und das ohnehin bereits durch Klimawandel und Schiffsverkehr geschädigte Ökosystem massiv stören können. Hinzu kommt, dass Schlamm aus der Fahrrinne meist mit Schadstoffen verschmutzt ist.

Einen Eindruck von den möglichen Folgen gibt der Hafen von Gladstone, der in den vergangenen Jahren ebenfalls erweitert wurde. Dort gelangte belasteter Schlamm ins Gebiet des Riffs, weil offenbar schlampig gebaute Schutzwände versagten. Umweltschützer und Fischer haben von massenhaft toten Fischen, Delfinen und Schildkröten berichtet. Die australische Regierung hat jetzt eine Untersuchung der Vorgänge und der Umweltschäden in Auftrag gegeben - aber deren Ergebnis wollten die Behörden für die Entscheidung über Abbot Point offenbar nicht abwarten.

Vorfahrt für die Rohstoffindustrie

Die im September gewählte konservative Regierung von Premierminister Tony Abbott hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, die Bedürfnisse der Wirtschaft - allen voran der Rohstoffindustrie - über die der Umwelt stellen zu wollen. In den vergangenen Monaten bewilligte Canberra den Bau mehrerer die Umwelt schädigende Minen. Auch will die Regierung den Weltnaturerbe-Status von Teilen der einzigartigen Urwälder auf der Insel Tasmanien wieder aufheben lassen. Das würde der Holzindustrie erlauben, in wenigen noch unberührten Naturgebieten zu roden.

Weitreichende Folgen haben auch die Pläne, es künftig den Bundesstaaten zu überlassen, über Projekte zu entscheiden. Diese haben in der Regel eine tiefere Hemmschwelle, wenn es um den Schutz der Umwelt geht, weil sie direkt von den Lizenzabgaben von Minen und ähnlichen Anlagen profitieren.

Höchster Pro-Kopf-Ausstoß an CO₂

Abbott ist ein erklärter Klimawandelskeptiker. Kaum im Amt, löste er eine Wissenschaftskommission auf, die Regierung und Volk unabhängig über die Gefahren des Klimawandels informiert hatte. Beobachter rechnen damit, dass die Regierung mittelfristig auch die Subventionen für Wind- und möglicherweise Solarenergie streichen wird. Von der Abschaffung der Subventionen profitieren würden die Kohlekraftwerke, die zu den emissionsintensivsten der Welt gehören. Australien hat wegen seiner nahezu vollständigen Abhängigkeit von Kohle unter den Industrieländern den höchsten Pro-Kopf-Ausstoß an CO₂ - er ist etwa doppelt so hoch wie in Deutschland.

Allerdings wäre es falsch, den Umgang mit der Umwelt einzig auf den Einfluss der Kohlekraftwerksbetreiber zu schieben. Die meisten Australierinnen und Australier räumen der Natur einen hohen Stellenwert ein. Zumindest in der Theorie. Selbst Städter sehen sich gerne als eine Art "Crocodile Dundee", der durch die Wildnis streift. Auch wenn sie das in der Realität selten tun: Australien gehört zu den urbanisiertesten Ländern der Welt.

Aber unter dem Strich sind Arbeitsplätze in Australien wichtiger als Fische, Bäume und Korallen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Australien einst ein Pionierland war und sich viele seiner Bewohner noch immer als Pioniere sehen. Die Geisteshaltung scheint heute noch ähnlich zu sein wie zur Zeit der weißen Besiedelung des Kontinents vor rund 250 Jahren: Man muss sich die Natur untertan machen. Sie muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt.

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