Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Der letzte Eindruck zählt

  • Der Rezenzeffekt bezeichnet die menschliche Eigenart, dass der letzte Eindruck besonders stark wirkt.
  • Besonders anfällig sind dafür offenbar kleine Kinder, berichten Kognitionsforscher in einer aktuellen Studie.
  • Der Effekt macht sich auch im Erwachsenenalter bemerkbar: So haben Bewerber bessere Chancen auf einen Job, wenn sie als letzter Kandidat zum Vorstellungsgespräch eingeladen sind.

Von Sebastian Herrmann

Eltern tappen ständig in Fallen, die sie sich selbst gestellt haben. Morgens beim Frühstück zum Beispiel, das Gefecht rund ums Aufstehen und Anziehen ist durchgestanden. Die Kinder sitzen am Tisch, da stellt der Vater dem kleinen Sohn eine Frage und sich selbst ein Bein. "Willst du ein Marmeladenbrot oder lieber ein Müsli?" Der Vierjährige zögert kurz und verkündet das Ergebnis seiner Überlegungen: "Müsli!" Der Vater tischt also auf, lässt sich ob der völlig falschen Wahl der Müslischale zurechtweisen und kriegt kurz vor Abschluss der Vorbereitungen von seinem Kind die Ansage: "Ich will ein Marmeladenbrot!" Seufz, immer wieder das Gleiche - und immer wieder der Schwur, keine Willst-du-dies-oder-das-Fragen an die Kinder zu richten, die führen ja selten zu etwas.

Die frühkindliche Umentscheidungsfreude hat viele Ursachen. Eine davon trägt den sperrigen Namen: Rezenzeffekt. Dieser bezeichnet die menschliche Eigenart, dass der letzte Eindruck besonders stark wirkt. Deswegen ist es zum Beispiel ratsam, die besten Argumente in einem Vortrag am Ende anzuführen, denn dann bleiben diese den Zuhörern am ehesten im Gedächtnis. Ganz besonders anfällig für den Rezenzeffekt sind offenbar kleine Kinder, wie Kognitionsforscher um Emily Sumner von der University of California in Irvine gerade berichten.

Der Effekt wirkt auch im Erwachsenenalter

Auf die Frage "Marmeladenbrot oder Müsli?" entscheidet sich das kleine Kind demnach für Letzteres, nicht weil es Müsli will, sondern weil es die erste Option fast wieder vergessen hat. Die Natur liefert Kinder mit sehr ausbaufähigem Arbeitsgedächtnis aus, in der Erinnerung ist das Müsli also deutlich frischer als das zuerst ausgesprochene Marmeladenbrot.

Die Wissenschaftler um Sumner konfrontierten Eineinhalb- bis Zweijährige mit Entweder-oder-Fragen, etwa danach, welchen von zwei Namen ein Spielzeug tragen soll. In etwa 85 Prozent der Fälle wählten die Kinder jene Option, die als zweite angeboten worden war. Je mehr Silben die Begriffe hatten, zwischen denen sich die Kleinen entscheiden mussten, desto eher wählten sie die zweite Option. Die Forscher werten das als weiteren Hinweis darauf, dass der Arbeitsspeicher der Kinder durch solche Entscheidungen quasi überlastet sei und sie sich deshalb für die zweite, weil noch präsente Option entscheiden. Etwas ältere Kinder waren in weiteren Versuchen schon weniger anfällig für den Rezenzeffekt, ihre kognitiven Fähigkeiten waren weiter entwickelt.

Grundsätzlich wirkt das Phänomen lebenslänglich in einem Menschen. Psychologen haben zum Beispiel gezeigt, dass der letzte Bissen das Urteil über eine Mahlzeit besonders stark prägt. Und Bewerber haben bessere Chancen auf einen Job, wenn sie als letzter Kandidat zum Vorstellungsgespräch eingeladen waren. Bands hauen ihre besten Songs auf Konzerten am liebsten mit der Zugabe raus. So sorgen sie dafür, dass ihr Publikum mit einem starken letzten Eindruck nach Hause geht. Das Finale entscheidet eben, wie etwas ausgeht, der letzte Eindruck zählt. Aber Achtung, selbst wenn Eltern auf Entweder-oder-Fragen verzichten: Kinder können sich trotzdem jederzeit umentscheiden, aus vielen Gründen, die auch der Wissenschaft auf ewig verborgen bleiben werden.

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SZ vom 05.07.2019/cvei
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