Resistenzen gegen Antibiotika:Die neuen Plagen

Bisher harmlose Keime werden zur tödlichen Gefahr. Ärtze müssen hilflos zusehen, wie bewährte Medikamente versagen. Dabei wäre vieles davon vermeidbar.

Werner Bartens

Den 39-Jährigen schmerzte das linke Knie, besonders nach dem Joggen. Als die Schmerzen nicht nachließen, ging er zum Orthopäden. Der empfahl "einen kleineren Eingriff". Der Meniskus war nicht mehr intakt, unebene Teile würden gelegentlich das Knie blockieren. Eine Spiegelung, die Reinigung der Gelenkflächen - und die Beschwerden müssten aufhören, sagte der Arzt. Das war vor zwölf Jahren. Inzwischen schmerzt den Mann das Knie in der Tat nicht mehr. Ihm wurden Unterschenkel und Knie amputiert. "Vorher waren die Schmerzen nicht mehr auszuhalten", sagt er. "Irgendwann ging es nur noch darum, die Qualen loszuwerden und dann war das Bein endlich ab."

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MRSA-Bakterien sind für den Großteil der Krankenhausinfektionen verantwortlich.

(Foto: obs)

Nach der Knieoperation hatte sich das Gelenk entzündet. Ständig Antibiotika, mehrmals wurde der Mann operiert. Die Chirurgen haben keinen operativen Fehler gemacht, die Hygiene war offenbar mangelhaft. Im Knie des 39-Jährigen wurde das mehrfach resistente Bakterium Staphylokokkus aureus (MRSA) nachgewiesen, ein gefürchteter Krankenhauskeim. Staphylokokkus aureus kommt bei vielen Menschen auf der Haut oder in den Atemwegen vor, ohne Beschwerden zu verursachen. Manchmal löst der Keim Hautinfektionen aus. Gefährlich wird es, wenn die Staphylokokken Resistenzen bilden und kein Antibiotikum mehr hilft.

Laut Allianz-Report "Krank im Krankenhaus" infiziert sich jeder zehnte Patient in Europa im Krankenhaus. Drei Millionen Menschen sind das. Etwa 50.000 Menschen sterben daran. Gelegentlich werden die Infektionen durch Erreger ausgelöst, die resistent gegen mehrere Antibiotika sind - am häufigsten durch MRSA. In Deutschland infizieren sich jedes Jahr 500.000 bis eine Million Patienten in der Klinik. Fast jeder siebte holt sich die Infektion auf einer Intensivstation. Das Immunsystem der Kranken kann aggressiven Keimen weniger entgegensetzen.

"Der Medizin ist es bisher nicht gelungen, auf diese brennende Problematik eine befriedigende Antwort zu geben", so das Fazit des Allianz-Reports. Dabei liegen Ursachen auf der Hand - eine ist der Einsatz von Antibiotika. Ein Drittel der Klinikpatienten bekommt Antibiotika, die oft unnötig oder falsch gewählt sind. Resistenzen bilden sich zudem leichter, wenn Antibiotika zu kurz oder zu niedrig dosiert gegeben werden.

Nach Einschätzung von Experten wäre mindestens ein Drittel der Krankenhaus-Infektionen zu vermeiden, wenn Hygienerichtlinien besser angewendet würden. Kliniken sind unterschiedlich gut darin. Während in einigen Krankenhäusern nur jeder hundertste Keim gegen übliche Antibiotika resistent ist, machen die Medikamente in anderen Kliniken jedem dritten Keim nichts aus. "Es gibt ja Ärzte, die desinfizieren sich nicht mal vor Verbands- oder Katheterwechseln die Hände", sagt Matthias Schrappe, Experte für Patientensicherheit.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fürchtet unbekannte Erreger, aber auch bekannte Keime, die resistent sind oder durch Veränderungen des Erbguts gefährlich werden. "Die Situation ist alles andere als stabil", sagt Margaret Chan, Generaldirektorin der WHO. Angesichts von jährlich mehr als zwei Milliarden Flugpassagieren können sich Epidemien schneller ausbreiten. Kürzlich wurde bekannt, dass sich europäische Patienten in Indien mit mehrfach resistenten Bakterien angesteckt hatten.

Jedes Jahr eine neue Krankheit

Mindestens 40 neue pathogene Keime wurden seit 1967 identifiziert, darunter verheerende wie HIV, Ebola oder Marburg-Viren und kurzfristig Schrecken verbreitende wie die von Sars, der Vogel- und Schweinegrippe. Dass jedes Jahr mindestens eine neue Krankheit entstanden ist, sei laut WHO "historisch nie dagewesen". Resistenzen bekannter Keime führen dazu, dass besiegt geglaubte Leiden wie Tuberkulose, Lungen- und Hirnhautentzündung eine bedrohliche Renaissance erleben.

Gefährliche Varianten des Keimes Clostridium difficile wie auch multiresistente Staphylokokken breiten sich besonders in Krankenhäusern aus. Gemein an diesen Bakterien ist, dass sie sich vermehren, wenn Patienten Antibiotika bekommen. Clostridium löst Darmerkrankungen aus, die in fünf Prozent der Fälle tödlich verlaufen. In einer kanadischen Studie wurde jüngst in 80 Prozent der Proben ein bedrohlicher neuer Stamm gefunden, der zu schwereren Krankheitsverläufen und mehr Todesfällen führte.

Antibiotika schon bei einem Schnupfen

Ärzte wissen zwar, wie man Resistenzen und Infektionen eindämmt oder gar verhindert. Studien zeigen trotzdem, dass drei von vier Menschen mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit Antibiotika bekommen. Dabei werden Erkältungsleiden fast immer von Viren ausgelöst - und gegen die helfen Antibiotika nicht. Manche Ärzte rechtfertigen sich damit, dass Antibiotika eine zusätzliche bakterielle Infektion des geschwächten Körpers verhindern. Diese Vorstellung ist längst als falsch entlarvt worden.

Als Folge der ungezügelten Antibiotikagabe werden ständig neue resistente Bakterien gezüchtet. "Ärzte sollten an die erheblichen Nebeneffekte denken, wenn sie Patienten ohne begründeten Verdacht Antibiotika geben", sagt der belgische Mikrobiologe Herman Goosens. Denn einige Keime überleben die Behandlung immer, weil sie durch Mutationen resistent geworden sind. Sie können sich ungehindert vermehren, weil die anderen Bakterien abgetötet werden und keine Konkurrenz mehr darstellen. Dies hat dazu geführt, dass in manchen Kliniken 20 Prozent der Keime als multiresistent gelten.

Zudem geben diese Erreger ihre Widerstandskraft auch an andere Bakterienarten weiter, die womöglich weitaus gefährlicher sind. Mittels Tröpfcheninfektion können resistente Bakterien auch Menschen besiedeln, die noch nie Antibiotika genommen haben.

Weil die Keime so wandelbar sind, ständig mutieren und neue Resistenzen bilden, ist es zu einfach, der Pharmaindustrie vorzuwerfen, sie hätte kein Interesse an neuen Antibiotika. Doch ist der langjährige Entwicklungs- und Zulassungsprozess abgeschlossen, hat sich der Angriffsort im Erreger womöglich längst verändert, so dass die neuen Mittel nicht mehr wirken - oder andere Erreger stellen eine viel größere Gefahr dar.

Bisher standen Ärzten Reserve-Antibiotika zur Verfügung, die nur gegeben werden, wenn nichts mehr hilft. Doch auch gegen diese Notfallmittel haben sich Resistenzen gebildet. "Dann müssen Patienten mit noch stärkeren Mitteln behandelt werden, die womöglich zu schwereren Nebenwirkungen führen", warnt Mikrobiologin Stephanie Dancer aus Glasgow. "Zudem wird vernachlässigt, wie sehr die Umwelt mit Abbauprodukten der Medikamente belastet wird."

Kittel als Keimschleuder

Auch die so strahlend weiß und hygienisch wirkenden Kittel übertragen oft Infektionen. "Weiße Kittel dienen in erster Linie der Psychohygiene der Ärzte", sagt Franz Daschner, langjähriger Leiter der Abteilung für Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg. "Dabei sind Kittel zu 95 Prozent für den Arzt-Patienten-Kontakt unnötig und dienen nur dazu, das Namensschild zu befestigen." Straßenkleidung reiche, befindet Daschner.

Kittel, aber auch Krawatten - in England Teil des ärztlichen Dresscodes -, gelten als wahre Keimschleudern. "Das Problem sind nicht Kittel an sich, sondern dass Ärzte sie kaum ausziehen und zu selten wechseln", sagt Jürgen Heesemann vom Max-von-Pettenkofer-Institut der Uni München. "Viele Ärzte gehen im Kittel in die Kantine, da sitzen Pflegekräfte, Handwerker und Leute, die im Tierstall arbeiten. Ein unhygienischer Kittel kann Patienten wie Mitarbeiter gefährden."

Britische Gesundheitsbehörden empfehlen, Kittel aus der Klinik zu verbannen und auf lange Ärmel und Armschmuck zu verzichten. Hemden mit kurzen Ärmeln, die täglich gewechselt werden, reichen. Zum Hantieren mit Blut und Eiter sollten Plastikschürzen, Handschuhe und Mundschutz bereitstehen. Ärzte benötigen Schutzkleidung nur in Ausnahmen, etwa wenn sie Patienten behandeln, die wegen starker Infektionsgefahr isoliert werden müssen. "Dann sollte der Kittel im Krankenzimmer bleiben und vom Arzt nur angezogen werden, wenn er etwa Patienten mit offener Tuberkulose abhört", sagt Daschner.

Dass Ärzte nicht immer auf Sauberkeit achten, belegten Forscher, die sich während einer Hygienikertagung als Klomänner verkleideten. Sie notierten, wie oft sich die Sauberkeitsexperten nach dem Toilettenbesuch die Hände reinigten. Die Hygieniker wuschen sich nicht öfter die Hände als die übrige Bevölkerung. Zum Protest kam es, als die Ergebnisse auf der Tagung bekannt wurden. Die Hygieniker bangten um ihren sauberen Ruf.

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