Resistenzen gegen Antibiotika:Die neuen Plagen

Lesezeit: 5 min

Bisher harmlose Keime werden zur tödlichen Gefahr. Ärtze müssen hilflos zusehen, wie bewährte Medikamente versagen. Dabei wäre vieles davon vermeidbar.

Werner Bartens

Den 39-Jährigen schmerzte das linke Knie, besonders nach dem Joggen. Als die Schmerzen nicht nachließen, ging er zum Orthopäden. Der empfahl "einen kleineren Eingriff". Der Meniskus war nicht mehr intakt, unebene Teile würden gelegentlich das Knie blockieren. Eine Spiegelung, die Reinigung der Gelenkflächen - und die Beschwerden müssten aufhören, sagte der Arzt. Das war vor zwölf Jahren. Inzwischen schmerzt den Mann das Knie in der Tat nicht mehr. Ihm wurden Unterschenkel und Knie amputiert. "Vorher waren die Schmerzen nicht mehr auszuhalten", sagt er. "Irgendwann ging es nur noch darum, die Qualen loszuwerden und dann war das Bein endlich ab."

MRSA-Schnelltest liefert Ergebnis in nur fünf Stunden/Neue Waffe gegen Superbakterien

MRSA-Bakterien sind für den Großteil der Krankenhausinfektionen verantwortlich.

(Foto: obs)

Nach der Knieoperation hatte sich das Gelenk entzündet. Ständig Antibiotika, mehrmals wurde der Mann operiert. Die Chirurgen haben keinen operativen Fehler gemacht, die Hygiene war offenbar mangelhaft. Im Knie des 39-Jährigen wurde das mehrfach resistente Bakterium Staphylokokkus aureus (MRSA) nachgewiesen, ein gefürchteter Krankenhauskeim. Staphylokokkus aureus kommt bei vielen Menschen auf der Haut oder in den Atemwegen vor, ohne Beschwerden zu verursachen. Manchmal löst der Keim Hautinfektionen aus. Gefährlich wird es, wenn die Staphylokokken Resistenzen bilden und kein Antibiotikum mehr hilft.

Laut Allianz-Report "Krank im Krankenhaus" infiziert sich jeder zehnte Patient in Europa im Krankenhaus. Drei Millionen Menschen sind das. Etwa 50.000 Menschen sterben daran. Gelegentlich werden die Infektionen durch Erreger ausgelöst, die resistent gegen mehrere Antibiotika sind - am häufigsten durch MRSA. In Deutschland infizieren sich jedes Jahr 500.000 bis eine Million Patienten in der Klinik. Fast jeder siebte holt sich die Infektion auf einer Intensivstation. Das Immunsystem der Kranken kann aggressiven Keimen weniger entgegensetzen.

"Der Medizin ist es bisher nicht gelungen, auf diese brennende Problematik eine befriedigende Antwort zu geben", so das Fazit des Allianz-Reports. Dabei liegen Ursachen auf der Hand - eine ist der Einsatz von Antibiotika. Ein Drittel der Klinikpatienten bekommt Antibiotika, die oft unnötig oder falsch gewählt sind. Resistenzen bilden sich zudem leichter, wenn Antibiotika zu kurz oder zu niedrig dosiert gegeben werden.

Nach Einschätzung von Experten wäre mindestens ein Drittel der Krankenhaus-Infektionen zu vermeiden, wenn Hygienerichtlinien besser angewendet würden. Kliniken sind unterschiedlich gut darin. Während in einigen Krankenhäusern nur jeder hundertste Keim gegen übliche Antibiotika resistent ist, machen die Medikamente in anderen Kliniken jedem dritten Keim nichts aus. "Es gibt ja Ärzte, die desinfizieren sich nicht mal vor Verbands- oder Katheterwechseln die Hände", sagt Matthias Schrappe, Experte für Patientensicherheit.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fürchtet unbekannte Erreger, aber auch bekannte Keime, die resistent sind oder durch Veränderungen des Erbguts gefährlich werden. "Die Situation ist alles andere als stabil", sagt Margaret Chan, Generaldirektorin der WHO. Angesichts von jährlich mehr als zwei Milliarden Flugpassagieren können sich Epidemien schneller ausbreiten. Kürzlich wurde bekannt, dass sich europäische Patienten in Indien mit mehrfach resistenten Bakterien angesteckt hatten.

Jedes Jahr eine neue Krankheit

Mindestens 40 neue pathogene Keime wurden seit 1967 identifiziert, darunter verheerende wie HIV, Ebola oder Marburg-Viren und kurzfristig Schrecken verbreitende wie die von Sars, der Vogel- und Schweinegrippe. Dass jedes Jahr mindestens eine neue Krankheit entstanden ist, sei laut WHO "historisch nie dagewesen". Resistenzen bekannter Keime führen dazu, dass besiegt geglaubte Leiden wie Tuberkulose, Lungen- und Hirnhautentzündung eine bedrohliche Renaissance erleben.

Gefährliche Varianten des Keimes Clostridium difficile wie auch multiresistente Staphylokokken breiten sich besonders in Krankenhäusern aus. Gemein an diesen Bakterien ist, dass sie sich vermehren, wenn Patienten Antibiotika bekommen. Clostridium löst Darmerkrankungen aus, die in fünf Prozent der Fälle tödlich verlaufen. In einer kanadischen Studie wurde jüngst in 80 Prozent der Proben ein bedrohlicher neuer Stamm gefunden, der zu schwereren Krankheitsverläufen und mehr Todesfällen führte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema