Resistente Bakterien auf Geflügel: Wie gefährlich sind die Keime?

Der Fund Antibiotika-resistenter Bakterien auf Hähnchenfleisch hat die Deutschen aufgeschreckt. Kann man noch Geflügel aus dem Supermarkt essen? Wie konnte es überhaupt zu der Verseuchung kommen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Geflügelskandal.

Christina Berndt, Katrin Blawat und Daniela Kuhr

Die einen nannten den Fund erschreckend, die anderen sprachen von Angstmache: Am Montag veröffentlichte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), in Fleischerzeugnissen habe er potentiell lebensbedrohliche, gegen Antibiotika resistente Krankheitskeime gefunden. Elf von 20 untersuchten Fleischprodukten aus deutschen Supermärkten enthielten demnach solche Erreger. Diese seien durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung entstanden, so der BUND. Der Deutsche Bauernverband sah in dem Keimfund "keine wirklich neuen Erkenntnisse". Und der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft sprach von "purer Angstmache". Die Meldung verwirre die Verbraucher nur. Dazu hier die wichtigsten Fakten.

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In Massenhaltungen bekommen Hühner oft vorbeugend Antibiotika. Dadurch können Krankheitskeime resistent werden - und damit auch zum Risiko für den Menschen.

(Foto: AFP)

Um welche Keime geht es?

In zehn von 20 untersuchten Proben hat das vom BUND beauftragte Labor sogenannte ESBL-bildende E.-coli-Bakterien gefunden. Dabei handelt es sich um eine Variante gängiger Darmbakterien, die gegen viele der üblichen Antibiotika resistent ist. Mit diesen Antibiotika können sie also nicht mehr bekämpft werden. In zwei Proben fanden die Prüfer zudem MRSA, also Staphylokokken mit Resistenzen gegen mehrere Antibiotika, die oft als "Krankenhauskeime" in die Schlagzeilen kommen.

Harmlose Coli-Bakterien und Staphylokokken leben bei vielen Menschen in Nase und Darm. Die Keime können Abwehrmechanismen gegen Antibiotika entwickeln, wenn Menschen damit übermäßig behandelt werden. Dadurch werden die Erreger zu einem großen Problem vor allem für immungeschwächte Patienten. Etwa 20 Prozent der Staphylokokken und 15 Prozent der Coli-Bakterien, die bei deutschen Patienten gefunden werden, reagieren auf kaum ein Antibiotikum mehr, sagt Elisabeth Meyer von der Berliner Charité, die sich mit der Überwachung multiresistenter Erreger beschäftigt. "Wenn diese Keime in der Nase herumgetragen werden, macht das nichts. Aber sobald sie Infektionen von Harnwegen, Lunge oder Wunden auslösen, können sie lebensgefährlich werden."

MRSA wurden auch schon früher auf Fleisch gefunden. Dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge war im Jahr 2009 knapp ein Viertel der untersuchten Hähnchenproben damit belastet. Auch Schweine- und Rindfleisch enthielt MRSA, aber in geringerem Ausmaß. Keime, bei denen es sich vermutlich um ESBL-bildende Coli-Bakterien handelte, befanden sich damals auf gut sechs Prozent der untersuchten Hähnchen.

Ist es gefährlich, das kontaminierte Fleisch aus dem Supermarkt zu essen?

Wer mit Keimen belastetes Fleisch isst, wird wahrscheinlich nicht davon krank. "Das Risiko einer Infektion durch den Verzehr ist sehr gering", sagt Annemarie Käsbohrer, Leiterin der Fachgruppe Epidemiologie und Zoonosen des BfR. Die Gefahr besteht vielmehr darin, die Mikroben unbemerkt zu verschleppen, etwa wenn beim Kochen resistente Keime an die Finger gelangen. Dort können sie über kleine Wunden in den Körper eindringen; auch kann man sie auf andere Personen übertragen, was vor allem geschwächten Menschen und Kranken gefährlich werden kann.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schätzt, dass jedes Jahr 7000 Menschen an einer MRSA-Infektion sterben. Wenn man befallenes Fleisch gründlich erhitzt, werden die darauf sitzenden Keime abgetötet. Grundsätzlich steigt das Risiko mit der Menge der Mikroben. Wie stark die aktuellen Proben belastet waren, war am Dienstag auch dem BUND noch unbekannt.

Der Verbrauch von Antibiotika steigt

Wie kommen die Keime aufs Fleisch?

Coli-Bakterien, Staphylokokken und viele weitere Keime leben normalerweise im Tierdarm. Auf die Fleischoberfläche gelangen sie während des Schlachtens und der Verarbeitung des Fleisches. Tief im Fleisch befinden sich meist keine dieser Bakterien.

In welchen anderen Lebensmitteln können resistente Keime enthalten sein?

Riskant sind in dieser Hinsicht tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milch. Die Bakterien lassen sich aber durch Kochen, Braten und Pasteurisieren abtöten. Salat, Gemüse und Obst können belastet sein, wenn sie in der Küche mit Utensilien in Kontakt kommen, die vorher für Fleisch benutzt wurden.

Wer kontrolliert das Fleisch auf Antibiotika und Keimbefall?

Wie häufig die Keimbelastung von Fleisch untersucht wird, ist Sache der Länder und daher unterschiedlich. Resistente Keime werden aber meist nicht erfasst. Nur einmal im Jahr wird im Rahmen des sogenannten Zoonosen-Monitorings geprüft, ob Fleisch mit MRSA, resistenten Coli-Bakterien oder anderen Mikroben wie Salmonellen und Campylobakter belastet ist.

Nach ESBL-bildenden Keimen wird nicht gesucht, obwohl diese ein zunehmendes Problem geworden sind. Während die Belastung von Patienten mit MRSA seit etwa zehn Jahren recht konstant ist, verzeichnen Kliniken seit 2006 einen drastischen Anstieg von ESBL-bildenden Erregern, so die Charité-Hygienikerin Meyer. Rückstände von Antibiotika hingegen werden intensiv überwacht und sind nach Auskunft des BfR-Experten Bernd-Alois Tenhagen "das geringere Problem".

Warum bekommen Nutztiere überhaupt Antibiotika?

Seit dem Jahr 2006 dürfen Tiere in der Europäischen Union nur noch aus medizinischen Gründen Antibiotika erhalten. Zuvor durften Tierärzte die Mittel auch geben, um das Wachstum zu steigern. Viele Fachleute vermuten, dass Tierärzte und Landwirte trotz des Verbots auch heute noch auf diese Praxis setzen. Der Verbrauch an Antibiotika in der Tierhaltung stieg in den vergangenen Jahren weiter an. Dabei werden nicht nur die kranken Exemplare behandelt, sondern vorbeugend alle Tiere eines Stalls. Das soll verhindern, dass sich ein Erreger großflächig ausbreitet. Dies passiert vor allem, wenn viele Tiere auf wenig Raum gehalten werden.

Einzelne Untersuchungen lassen vermuten, die Antibiotika-Gabe gehöre in vielen Ställen zur Routine. Statistiken legen nahe, dass ein Masthähnchen während seines 32 Tage dauernden Lebens im Durchschnitt 2,3-mal Antibiotika bekommt. Fleisch von Tieren aus ökologischer Haltung ist deutlich weniger mit Antibiotika und Antibiotika-resistenten Keimen belastet. Resistente Keime bei Tieren sind vor allem deshalb ein Problem, weil bei Tier und Mensch häufig die gleichen Antibiotika eingesetzt werden. Lediglich eine Klasse der Arzneien, die Carbapeneme, erhalten bislang nur Menschen. Viele Fachleute fordern, Carbapeneme nicht für den Einsatz bei Tieren freizugeben, um die Wirksamkeit dieser Mittel für den Notfall zu erhalten, wenn alle anderen Antibiotika versagen.

Gibt es Hoffnung auf Besserung?

Sind Antibiotika-Rückstände eine Gefahr für den Menschen?

Hat ein Tier Antibiotika erhalten, darf sein Fleisch erst nach einer festgelegten Zeit in den Handel gelangen. Das Risiko für den Verbraucher, über Fleisch Antibiotika-Rückstände aufzunehmen, ist laut dem BfR-Experten Tenhagen gering. Bis Antibiotika-Rückstände problematisch werden, müsse man von ausnahmsweise belastetem Fleisch schon sehr viel essen, so Tenhagen. Die Behörden der Bundesländer, die für die Lebensmittelüberwachung zuständig sind, prüfen regelmäßig, ob die zulässigen Werte eingehalten werden. Andernfalls ziehen sie das Fleisch aus dem Handel.

Wie stark tragen Antibiotika in der Tierzucht zur Ausbreitung resistenter Keime unter Menschen bei?

Zwei Drittel aller Antibiotika werden bei Tieren eingesetzt. Sehr wahrscheinlich tragen resistente Keime aus der Tierzucht dazu bei, dass sich auch unter Menschen die unempfindlichen Mikroben ausbreiten. Wie groß der Anteil aus der Tierproduktion ist, lässt sich jedoch nicht beziffern. In Bezug auf MRSA spielt die Tierzucht wohl nur eine untergeordnete Rolle. Hier ist der Charité-Ärztin Meyer zufolge "unsachgemäßer Antibiotikagebrauch" in der Humanmedizin entscheidend, also vor allem eine zu hohe Dosierung und die Verwendung der falschen Arznei. Bei resistenten Salmonellen und Campylobakter-Keimen hingegen spielt die Tierzucht eine bedeutende Rolle.

Können die Keime auch direkt vom lebenden Tier auf den Menschen übergehen?

Im Prinzip ja. Wie leicht das passiert, hängt aber stark von der Art des Keims ab. Zudem können Mikroben, die im Tier sehr resistent gegen Antibiotika sind, im Menschen besser auf die Arzneien ansprechen - und umgekehrt.

Was will die Regierung nun unternehmen?

Am Dienstag legte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vor, um den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu begrenzen. Dadurch will sie den Ländern mehr Möglichkeiten zur Kontrolle einräumen. So müssen Tierärzte künftig auf Anfrage der Überwachungsbehörde jederzeit detailliert belegen können, welche Mengen an Antibiotika sie eingekauft und an welche Betriebe sie diese geliefert haben.

Zudem dürfen sie künftig nach dem erfolglosen Einsatz eines Antibiotikums nicht einfach ein anderes einsetzen. Zunächst müssen sie den konkreten Erreger ermitteln, damit wenigstens das zweite Antibiotikum tatsächlich geeignet ist. Der Umweltverband BUND hatte gefordert, einen solchen Test bereits vor dem Einsatz des ersten Antibiotikums vorzuschreiben, doch Bernhard Kühnle, Ministerialdirektor im Verbraucherschutzministerium, sagte am Dienstag in Berlin, es gebe Situationen, da müsse ein Tierarzt sofort etwas verschreiben und könne nicht erst vier Tage auf die Laborergebnisse warten.

Auch von der Idee, die Massentierhaltung zu unterbinden, hielt er nichts. In manchen Betrieben mit 90.000 Hühnern würden weniger Antibiotika eingesetzt als in mittelgroßen Betrieben. Das habe eine Studie des nordrhein-westfälischen Agrarministeriums im vergangenen Jahr gezeigt. Man werde aber prüfen, ob es sinnvoll ist, dass Tierärzte anders als Humanmediziner Medikamente sowohl verschreiben als auch verkaufen dürfen.

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