Reproduktionsmedizin:Mediziner erschaffen Nashorn aus dem Reagenzglas

Nördliches Breitmaulnashorn 'Sudan'

Der Bulle "Sudan" war das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn der Welt. Im März ist er gestorben.

(Foto: dpa)
  • Sieben im Labor gezeugte Embryonen wären lebensfähig und könnten einer Nashornkuh eingesetzt werden.
  • Bislang ist das noch nicht geschehen.
  • Biologen schätzen, dass in drei Jahre das erste im Reagenzglas gezeugte Nördliche Breitmaulnashorn geboren wird.

Von Kathrin Zinkant

Es gibt Dinge, über die lacht man nur so lange, bis es sie nicht mehr gibt. Kopulierende Nashörner gehören wahrscheinlich dazu. Der Anblick zweier tonnenschwerer, kantiger Giganten, die sich über mehr als eine Stunde aneinander bemühen, hat seine skurrilen Momente. Allerdings ist er bei einigen Nashornarten zur traurigen Seltenheit verkommen. Einfach, weil es kaum noch Tiere gibt, die den Akt miteinander vollziehen könnten.

Umso größer wird die Aufmerksamkeit für eine Arbeit sein, die ein Forscherteam jetzt im Wissenschaftsjournal Nature Communications vorstellt. Erstmalig ist es Tiermedizinern gelungen, Nashörner im Reagenzglas zu zeugen. Sieben Embryonen sind es, alle sieben wären lebensfähig und könnten einer zur Mutter auserkorenen Nashornkuh eingesetzt werden. Das ist zwar im Rahmen des aktuellen Versuchs noch nicht geschehen. Trotzdem dürfte die Nachricht von den Reagenzglasnashörnern den Artenschutz euphorisieren.

Wie die Wissenschaftler berichten, handelt es sich bei den Embryonen nämlich um Mischlinge des Nördlichen und des Südlichen Breitmaulnashorns. Und die nördliche Variante dieses zweitgrößten Landtieres auf Erden, sie gilt "funktionell" als bereits ausgerottet. Der letzte Bulle, Sudan gerufen, starb im März in Kenia. Im Reservat leben jetzt nur noch die zwei letzten Kühe der Unterart, Fatu und Najin. Zwei Frauen und kein Mann, im Tierreich ist an dieser Stelle eigentlich Schluss.

In den Labors der Nashornretter lagern 300 Milliliter Spermaproben

Es gab aber noch eine theoretische Option, von der bloß keiner wusste, ob man sie nutzen kann. In den Labors der Nashornretter lagern 300 Milliliter Spermaproben, zu Lebzeiten eingesammelt von vier männlichen Tieren, die finale Waffe im Kampf um das Überleben des Nördlichen Breitmaulnashorns. Eine schlichte Besamung schied jedoch aus. Die Eierstöcke der verbliebenen Nashornweibchen produzieren zwar noch reife Eizellen. Fatu und Najin können aufgrund verschiedener Erkrankungen selbst aber keine Jungen mehr austragen. Der einzige Weg, ihre Eizellen für die Fortpflanzung zu retten sind Retortennashörner. Die Embryos müssen von Leihmüttern ausgetragen werden.

Das klingt viel einfacher, als es ist. Nicht jedes Tier lässt sich durch künstliche Befruchtung reproduzieren. Bei Pferden etwa klappt die In-Vitro-Fertilisation (IVF) bis heute nicht richtig. Und vom Breitmaulnashorn wusste man nur, dass die beiden Unterarten sich miteinander mischen lassen. 1977 war in Tschechien Nasi geboren worden, das bis heute einzige bekannte Mischlingskalb der beiden Subspezies. Eine IVF dagegen hatten Forscher lediglich einmal versucht, es waren dabei aber keine überlebensfähigen Embryonen herausgekommen. Die Chancen für ein Rhinozeros aus der Retorte standen eher schlecht.

"Wir haben gedacht: Es ist vorbei"

"Es gab den Punkt, an dem haben wir gedacht: Das ist vorbei", sagt Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, ein Experte für die Fortpflanzungsbiologie des Nashorns und Erstautor der Studie. Doch trotz der schlechten Chancen entwickelte er gemeinsam mit Kollegen aus Japan, Tschechien, Australien und Italien einen Plan, um das Nördliche Breitmaulnashorn durch künstliche Befruchtung und eine Leihmutter zu retten.

Inspiriert durch die großen Fortschritte in der Biomedizin wollten sie zudem Stammzellen aus den IVF-Embryonen gewinnen. Bei Mäusen lassen sich solche Alleskönner zu Eizellen und Spermien entwickeln. Für die Nashörner könnten Stammzellen daher zur unschätzbaren Ressource werden.

Doch zunächst einmal mussten die Forscher zeigen, dass die IVF beim Nashorn möglich ist. Um genügend Eizellen für die Versuche zu erhalten, nutzten sie Südliche Breitmaulnashornkühe als Spenderinnen. Um Spermien zu sparen, injizierten sie die Samenzellen der nördlichen Subspezies direkt in die Eizellen.

Ein Tier allein rettet noch keine Art

Von 32 befruchteten Eizellen begannen sich zwölf zu teilen, sieben entwickelten sich zu einer sogenannten Blastozyste, jenem Stadium eines Embryos, das sich in eine Gebärmutter einnisten kann. "Wir haben gezeigt, dass es funktioniert", sagt Hildebrandt, und auch Stammzellen konnten die Forscher gewinnen. Ein Erfolg, der ohne den Einsatz und die Ausdauer seiner Kollegen nie möglich gewesen wäre, wie Hildebrandt mehrfach sagt. Im nächsten Schritt wollen die Forscher die Mischlings-Embryonen in Leihmütter einsetzen.

Das wichtigste Ziel ist aber, die Prozedur bei den zwei Nashornkühen in Kenia anzuwenden - ihnen Eizellen zu entnehmen, die mit dem verbliebenen Bullensperma befruchtet werden können. Eine heikle Sache, weil die Tiere dafür narkotisiert werden müssen und Narkosen bei so gigantischen Patienten viele Risiken bergen. "Wenn da etwas passiert, haben wir die zwei letzten Exemplare des Nördlichen Breitmaulnashorns auf dem Gewissen", sagt Hildebrandt. Seine Kollegen hätten jedoch ein ausgefeiltes Betäubungssystem entwickelt. Zudem würde jede Körperfunktion der zwei Tonnen schweren Tiere während des Eingriffs penibel überwacht. "Das sieht dann aus wie auf einer Intensivstation", sagt der Tiermediziner.

Hildebrandt ist aber zuversichtlich. Drei Jahre noch, sagt er, dann wird das erste im Reagenzglas gezeugte Nördliche Breitmaulnashorn das Licht der Welt erblicken. Kein Mischling, sondern die Unterart, die fast verschwunden ist. Es wird nur ein Anfang sein, ein Tier allein rettet schließlich noch keine Spezies. Doch immerhin ein Anfang, wo zuvor schon fast das Ende erreicht war. Und vielleicht gibt es dann irgendwann auch wieder etwas zu lachen.

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