Religionsforschung:Die Geburt der Götter

Tutanchamun Pharao Tal der Könige Ägypten Grabmal

Ägyptische Gottheiten

(Foto: dpa)
  • Im Fachmagazin Nature haben Forscher das Auftauchen von strafenden Göttern bei verschiedenen Kulturen untersucht.
  • Götter, die Einfluss auf das Leben des Einzelnen nehmen, entstanden demnach immer erst, wenn eine Kultur eine gewisse Komplexität erreicht hatte.
  • Vermutlich dienten die rächenden zur Stabilisierung der Gesellschaft.

Von Christian Weber

Es ist die Henne-oder-Ei-Frage der Religionsgeschichte: Wer war eigentlich zuerst da, die Götter oder die Gesellschaft? Ein internationales Forscherteam um Harvey Whitehouse, Pieter François und Patrick Savage von der University of Oxford versichern jetzt im Fachmagazin Nature, dass sie die Antwort gefunden haben: Erst komplexe soziale Strukturen erzeugten den Bedarf an übernatürlichen Wesen oder Mächten, die Einfluss auf das Schicksal des Einzelnen nehmen.

Sie bestätigen und modifizieren damit eine Hypothese, die Ara Norenzayan von der University of British Columbia vor einigen Jahren vorgestellt hat. Es habe seinen Grund, sagt der Psychologe, wieso es in überschaubaren Stammesgesellschaften seit der Frühgeschichte meist nur ein paar Geister gibt, denen zwar geopfert wird, die aber nicht weiter stören: Sie waren nicht nötig, um die sozialen Spielregeln zu garantieren, denn das konnten die Menschen noch unter sich regeln. "Beobachtete Leute sind nette Leute", schreibt Norenzayan.

Wer Strafe im Jenseits fürchtet, verhält sich zu Lebzeiten eher anständig

Dies änderte sich jedoch, als komplexe, große und anonyme Gesellschaften entstanden, in denen die Gefahr von Trittbrettfahrern wuchs, die sich auf Kosten der anderen asozial verhalten. Genau deshalb, so postuliert Norenzayan, habe man sich allwissende und strafende Götter ausgedacht, die selbst die Gedanken der Menschen erkunden können und Fehlverhalten sogar noch nach dem Tode bestrafen. Das leisten nicht nur die Götter der Christen und Muslime, sondern funktioniert auch über das Karma-Prinzip der Buddhisten: Wer ein böses Leben führt, hat die Folgen im nächsten Leben zu tragen. Norenzayan spricht von der "Übernatürliche Überwachung"-Hypothese.

Allerdings gab es auch Kritik. Religionshistoriker wie Nicolas Baumard von der École Normale Supérieure in Paris verweisen darauf, dass etwa die Griechen, Römer und Azteken kooperative Gesellschaften entwickelten, die ohne persönlich strafende Götter auskamen. Baumard glaubt, dass erst gesellschaftlicher Reichtum den Menschen erlaubt, über Sinnfragen nachzudenken und sie mit religiösen Annahmen zu beantworten. Vertreter von Norenzayans These argumentieren außerdem viel mit psychologischen Experimenten, in denen religiöses Priming prosoziales Verhalten verstärkte - Geschichtsschreibung ist das nicht. Unklar blieb immer die Reihenfolge: Mussten erst die Götter erfunden werden, damit sich dann große Gesellschaften entwickeln konnten?

In der Regel war es umgekehrt, behaupten die Autoren der neuen Nature-Studie, die sich auf umfangreiche Daten berufen: Sie analysierten Material aus 515 Gesellschaften und 10 000 Jahren Menschheitsgeschichte in 30 Regionen weltweit. Dabei maßen die Forscher die Komplexität von Gesellschaften anhand von 51 Variablen, vier Kennzahlen standen für das Ausmaß, in dem Moral über übernatürliche Kräfte durchgesetzt wurde.

Die Ergebnisse der Analyse waren klar: "Wir fanden, dass moralisierende Götter üblicherweise dem Anstieg sozialer Komplexität folgten", schreiben die Autoren und postulieren sogar einen präzisen Wert: In einer Gesellschaft mit mehr als einer Million Einwohnern dauert es an die 100 Jahre, bis ein starker, rachsüchtiger Gott auftaucht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: