Religion und Strafe:Gott wird ihn schon richten

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Stark religiöse Menschen gehen nachlässiger mit Übeltätern um, das Bestrafen überlassen sie gern einem höheren Wesen. Ist dieses Streben nach Arbeitserleichterung ein Grund für die Entstehung der großen monotheistischen Religionen?

Christian Weber

Bestrafen ist anstrengend, aber wohl notwendig, damit große und komplexe Gesellschaften funktionieren. Sogar in spieltheoretischen Experimenten im Labor fangen immer einige zuvor unbescholtene Versuchsteilnehmer sofort an zu betrügen, sobald ihre Regelverstöße oder Egoismen ohne Konsequenzen bleiben.

Michelangelos Fresko "Das jüngste Gericht" in der Sixtinischen Kapelle. Wenn es einen Gott gäbe: Wer könnte die Aufgabe des obersten Polizisten und Richters besser erledigen als jemand, der praktischerweise allwissend ist, allmächtig und außerdem immer am besten weiß, wo es moralisch gerade langgeht? (Foto: AP)

Immerhin konnten Verhaltensökonomen auch zeigen, dass Menschen entgegen dem klassischen Menschenbild der Ökonomie auch von sich aus zum altruistischen Bestrafen neigen: Sie investieren Zeit, Mühe und Ressourcen, um das soziale Fehlverhalten anderer Menschen zu ahnden. Sie tun es sogar dann, wenn sie selber kein bisschen davon profitieren.

Allerdings verzichten sie gerne auf diese Aufgabe, wenn sich andere Akteure anbieten, die diese unangenehme Arbeit für sie verrichten können, Wissenschaftler nennen dieses Verhalten "social loafing" - soziale Faulheit.

Dieses urmenschliche Streben nach Arbeitserleichterung ist nach Ansicht einiger Evolutionstheoretiker zugleich ein wesentlicher Grund für die Entstehung der großen monotheistischen Religionen: Wer könnte die Aufgabe des obersten Polizisten und Richters besser erledigen als ein Gott, der praktischerweise allwissend ist, allmächtig und außerdem immer am besten weiß, wo es moralisch gerade langgeht?

Für diese originelle These gibt es erste empirische Belege, etwa aus der ethnologischen Feldforschung. In einer neuen Studie konnte nun ein Forscherteam um die Psychologin Kristin Laurin von der kanadischen University of Waterloo nachweisen, dass sich auch Menschen im Labor mehr oder weniger gemäß der evolutionstheoretischen Hypothese verhalten ( Proceedings of the Royal Society B, online).

Das zeigte sich im Rahmen einiger spieltheoretischer Experimente, in denen die teilnehmenden Studenten unkooperatives Verhalten bestrafen konnten, aber nur dann, wenn sie selber auf Geld verzichteten - sie mussten also altruistisch strafen. Zuvor waren sie mit einem Fragebogen ausführlich nach ihrem religiösen Weltbild befragt worden.

Die Analyse der Daten zeigte klar, dass jene Versuchsteilnehmer, die sich zu einem personalisierten, starken und real in der Welt eingreifenden Gott bekannten, zurückhaltender straften.

Und vor die fiktive Situation gestellt, wie viel Steuern sie dem Staat bezahlen würden, damit dieser in Vertretung Einzelner die Sünder bestraft, gaben sie sich erkennbar knausriger.

Offensichtlich sei es so, "dass der Glaube an eine himmlische Bestrafung die Motivation für irdische Formen teurer Bestrafung deutlich reduziert", schreiben die Studienautoren.

© SZ vom 23.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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