Beim Fototermin an der Isar und später beim Gespräch in einem Münchner Café wirkt Eckart Straube so entspannt und in sich gekehrt, als habe er eben noch meditiert.
Eckart Straube
(Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Autors)Mit ruhiger, sonorer Stimme erzählt der Therapeut, der auch mit Hypnose arbeitet, wie Glaube und religiöse Rituale auf den Körper wirken. Drei Jahre hat sich der Professor für Psychologie an der Universität Jena und Leiter des Zentrums für Kultur und Psychologie in München mit der Wirkung der Spiritualität beschäftigt.
SZWissen: Nonnen und Mönche werden seltener krank, evangelische Pastoren haben die höchste Lebenserwartung in Deutschland. Ist es der Glaube, Professor Straube?
Straube: Ich denke schon. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass gläubige Menschen eine höhere Lebenserwartung haben. Sie kommen besser mit Schicksalsschlägen zurecht als Nichtgläubige. Und eine Studie an der Universität Georgetown ergab, dass Religion bei drei Viertel der Testpersonen den Heilungsprozess beschleunigte.
SZWissen: Warum soll Glaube heilen und auf Dauer zu einem längeren Leben führen?
Straube: Allein die Hoffnung, dass beim Beten etwas Positives geschehen könnte, erzeugt einen Effekt. Es handelt sich um psychosomatische Phänome, die wir auch bei medizinischer Behandlung beobachten können.
SZWissen: Glaube funktioniert also wie ein Placebo - er wirkt nur, weil jeder davon überzeugt ist?
Straube: Ja und nein. Sicher ist die Überzeugung da, durch das Beten etwas zu verändern. Aber wenn jemand intensiv betet oder meditiert, kann man auch deutliche physiologische Veränderungen feststellen, Aktivitätsmuster im Gehirn verändern sich.
Wir wissen, dass Psyche und Körperprozesse eng verschaltet sind. Starke Änderung auf der einen Ebene führen zu Veränderungen auf der anderen: Die Psyche kann das Immunsystem beeinflussen, sie wirkt auf das Hormonsys-tem, Endorphine werden ausgeschüttet, sie sind Teil der Immunantwort des Körpers.
SZWissen: Der Placebo-Effekt beruht auch auf Endorphinen. Inwiefern geht die heilende Wirkung von Glauben darüber hinaus?
Straube: Die Effekte von religiösem Glauben kann man nicht als bloße Einbildung abtun. Zwar führen auch Scheinbehandlungen zu Veränderungen im Gehirn und zu Heilungen, aber tiefer religiöser Glaube ist im Vergleich hierzu die stärkere Pille.
Während die Scheinbehandlung lediglich eine erhöhte bioelektrische Aktivität in bestimmten Gehirnarealen bewirkt, führt so manche spirituelle Betätigung zur Ausbreitung hochfrequenter elektrischer Wellen im gesamten Gehirn.
Das zeigen Untersuchungen von Richard Davidson von der University of Wisconsin an tibetischen Mönchen, die während der Meditation außergewöhnlich wach sind.
Ein Zustand, der bei einer Vergleichsgruppe ohne Meditationserfahrung nicht zu beobachten war. Ich könnte mir vorstellen, dass die außergewöhnlichen Erlebnisse bei religiösen Heilvorgängen Entsprechendes bewirken.
SZWissen: Gibt es dann so etwas wie ein Gotteszentrum im Gehirn?
Straube: Nein, es gibt weder ein Gottes-Gen noch ein spezialisiertes religiöses Hirnareal, das allein und ausschließlich aktiv ist, wenn Menschen beten oder meditieren. Interessanterweise versuchen vor allem Medizin-forscher in den USA trotzdem immer wieder, Gottes Wirkung naturwissenschaftlich zu überprüfen.
SZWissen: Was spricht dagegen?
Straube: Schon aus theoretischen Gründen wird man nicht die eine aktive Hirnregion finden. Wäre Religion auf ein Hirnareal einzugrenzen, müsste Religion beziehungsweise der persönliche Zugang zum Höheren immer dem gleichen Muster folgen.
Ein Glaubender kann die überirdische Heilmacht aber auf unterschiedlichen Wegen erleben, etwa wenn er intensiv betet, in Heiltrance ist oder an einem Heilritual mit einem so genannten Geistheiler teilnimmt.
SZWissen: Lassen sich die Folgen des Betens nicht dadurch erklären, dass dabei - wie bei anderen Meditationsübungen auch - die Herzfrequenz sinkt und die Atmung ruhiger wird?