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Religion:Je härter die Umwelt, umso strenger die Götter

Bei hunderten Gesellschaften weltweit haben Forscher untersucht, wie religiöse Überzeugungen mit Umweltfaktoren zusammenhängen. Ist die Umwelt streng, dann sind es auch die Götter. Das dient vor allem weltlichen Zielen.

Von Marlene Weiß

Ob man sich von einem Gott Moralvorhaltungen machen lassen muss oder nicht, hängt zunächst davon ab, welcher Religion man angehört. Im Hinduismus etwa gibt es tausende Gottheiten; den Schöpfer Brahma, den Zerstörer Shiva, den Beschützer Vishnu, Ganesha mit dem Elefantenrüssel. Klare Ansagen über das richtige und das falsche Leben aber machen sie nicht, anders als Allah im Islam oder der Gott der Christen. Zufall? Forscher um Carlos Botero von der North Carolina State University legen nun dar, dass auch die Natur etwas mit den moralischen Ansprüchen der Götter zu tun haben könnte: Wo, wie in Indien, der Boden fruchtbar ist und das Klima günstig, sind Religionen mit einem überlegenen, strengen und strafendem Gott seltener als dort, wo Menschen einst ums Überleben kämpfen mussten (Proceedings of the National Academy of Sciences).

Die Wissenschaftler haben 583 Gesellschaften weltweit untersucht, und nach Beziehungen zwischen den äußeren Lebensbedingungen, dem kulturellen Kontext und der Art der Religion gesucht. Dabei stellten sie fest, dass vier Faktoren den Glauben an moralisierende Götter - statt an eine vielfältige Götterschar oder auch keinen Gott - stark begünstigen. Zwei davon sind ökologische Kriterien: die knappe Verfügbarkeit von Ressourcen und unberechenbare klimatische Verhältnisse. Auch politisch komplexe, hierarchische Gesellschaften und solche, in denen Tiere gehalten werden, scheinen eine streng moralische Religion zu bevorzugen.

Die Religion spiegelt die Gesellschaft wider

Was die vier Einflussgrößen verbindet, ist nach Auffassung der Forscher der Zwang zur Kooperation: Wo das Leben aufgrund der Umweltbedingungen hart ist, waren Menschen stets auf Zusammenhalt angewiesen. Auch politische Strukturen sowie Landwirtschaft und Tierhaltung funktionieren nur, wenn sich alle im Großen und Ganzen an die Regeln halten und die Eigentumsrechte der anderen akzeptieren. Wobei es wiederum helfen könnte, wenn die Mitglieder der Gesellschaft daran glauben, im Zweifel von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden.

"Es wird immer wieder diskutiert, welchen Anteil Ökologie und Kultur an der Entstehung von Religionen haben", kommentiert Eckart Voland, Biophilosoph der Universität Gießen. Man könne streiten, ob Ökologie oder Kultur wichtiger sei; er tendiere eher zur Kultur, schließlich sei Religion stets ein soziales Bindemittel. Aber ob aus sozialen oder aus ökologischen Gründen: "Das Wesentliche ist die Kooperationsanforderung", sagt auch Voland. Wer glaubt, kooperiert; und sei es aus Furcht vor dem Jenseits.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2014/chrb
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