Rekord-Stürme:Stärker, öfter, weiter

Die extremen Wirbelstürme dieses Jahres sind beispiellos: In keiner Saison zwischen Mai und Ende November haben jemals so viele im tropischen Atlantik getobt. "Die Stärke", so Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung "lässt sich plausibel mit dem Einfluss globaler Erwärmung erklären, die Anzahl nicht".

Philip Wolff

Sie rissen fast alles nieder, was ihnen im Weg stand. Bäume und Bauten, Bohrinseln auf offener See - vor allem aber Rekorde haben die tropischen Wirbelstürme der diesjährigen Hurrikan-Saison gebrochen.

"Wilma"

"Wilma" aus dem All

(Foto: Foto: ESA)

Nie war der erwartete Gesamtschaden für die Versicherungswirtschaft so hoch.

Versicherte Objekte im Wert von mehr als 60 Milliarden Dollar haben Katrina, Wilma und Co. demnach zerstört, etwa doppelt so viel wie die Stürme im bisherigen Schadens-Rekordjahr 2004.

Als Ursache gilt eine Naturgewalt, die einzelne Hurrikane selten zuvor in der 155-jährigen Geschichte der Wetteraufzeichnung entfaltet hatten.

Der niedrigste je gemessene Luftdruck im Auge eines atlantischen Sturms, 882 Hektopascal, machte den saugenden Tiefdruckkreisel Wilma sogar zum stärksten je beobachteten Hurrikan.

Zugleich hatten in keiner Saison zwischen Mai und Ende November jemals so viele - nämlich 22 Wirbelstürme - im tropischen Atlantik getobt, davon zwölf in Hurrikan-Stärke von mehr als 120 Kilometern pro Stunde.

Ausgerechnet in diesen stürmischen Monaten wiesen zwei amerikanische Klimaforscher, Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology und Peter Webster vom Georgia Institute of Technology, in ihren Studien auf einen möglichen Zusammenhang der Monsterstürme mit der globalen Erwärmung hin.

Beide kamen zu dem Schluss, dass die Stärke der Tropenstürme im Atlantik in den vergangenen 35 Jahren parallel zur Wärme der Meeresoberflächen zugenommen habe. Doch so nahe liegend die Erklärung für die Sturmrekorde, so deutlich warnen die Forscher vor falschen Schlüssen.

So ist die Anzahl der Stürme, die heuer höher lag als im bisherigen Rekordjahr 1933 (21 Tropenstürme über dem Atlantik, davon elf Hurrikane), laut Webster nicht mit dem Klimawandel zu erklären: "Außer im Nordatlantik hat die Zahl der Tropenstürme in den vergangenen zehn Jahren sogar abgenommen."

"Sturmstärke" und "Anzahl der Stürme"

Man müsse daher genau zwischen den Rekorden "Sturmstärke" und "Anzahl der Stürme" unterscheiden, betont Websters Fachkollege Kerry Emanuel: "In Südostasien zum Beispiel gab es zwar in den letzten zehn Jahren weniger Wirbelstürme, aber sie waren ebenfalls stärker."

Zwar fehlten ihm für diese Region genügend exakte Daten. "Doch man kann aus den wenigen Informationen schließen, dass die Erwärmung der Meeresoberfläche auch dort zu kräftigeren Stürmen geführt hat."

Der deutsche Physiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung fasst die Erkenntnisse aus der Rekordsaison daher so zusammen: "Die Stärke der Hurrikane lässt sich plausibel mit dem Einfluss globaler Erwärmung erklären, die Anzahl nicht. Sie gibt uns weiterhin Rätsel auf - vor allem jetzt, da Stärke und Zahl gleichzeitig zugenommen haben."

Dieses Rätselraten stiftet unter amerikanischen Sturmforschern Verwirrung. Denn zum einen sehen sich Befürworter der Treibhaus-Theorie durch die Gewalt der Stürme bestärkt.

Lässt sich doch physikalisch einfach nachvollziehen, dass wärmeres Wasser stärker verdunstet, in feuchtwarmer Luft nach oben schießt und größere Tiefdruckgebiete entstehen lässt. Und zählen nicht die jüngsten Stürme Wilma, Katrina und Rita zu den zehn stärksten Hurrikanen seit Beginn der Aufzeichnung?

Andererseits liefert die reine Zahl von 22 Wirbelstürmen über dem Atlantik den Gegnern der Treibhaus-Theorie Argumente: "Es handelt sich um einen natürlichen Zyklus, der uns seit 1995 wieder mehr Stürme beschert", sagt Hurrikan-Forscher William Gray von der Colorado State University.

Stärker, öfter, weiter

So bringe die durch Salzgehalt- und Temperaturunterschiede in den Weltmeeren angetriebene globale Strömungsschleife, bekannt als "thermohaline Zirkulation", zurzeit genauso wie zwischen den Jahren 1925 und 1965 wieder mehr Warmwasser in den Nordatlantik. Das erhöhe die Zahl der Stürme.

Rekord-Stürme: Die Wege der Hurrikane

Die Wege der Hurrikane

(Foto: SZ Karte: Braun, Quelle: NOAA)

Science-Fiction und Politik

Die amerikanische Sturmforscher-Zunft ist gespalten. "Dabei schließen sich beide Effekte ja nicht aus", sagt Rahmstorf. "Natur und Treibhauseffekt können gleichzeitig Einfluss haben."

Nur klammerten Wissenschaftler wie Gray völlig aus, dass die Durchschnitts-Temperatur des Meerwassers mit dem Klimawandel kontinuierlich steige. Und zwar um 0,1 Grad pro Jahr, wie Satellitenmessungen der europäischen Weltraumbehörde Esa seit 1991 zeigen.

"Die Meeresoberfläche wird überall wärmer, damit wächst überall die Wahrscheinlichkeit, dass es Hurrikane gibt", sagt der Direktor des Esa-Erdbeobachtungsprogramms, Volker Liebig.

Eine Erkenntnis, die in den sturmgeplagten USA politisch heikel ist. Deshalb lud Ende September Senator James Inhofe neben Forschern wie William Gray weitere Gegner der Treibhaus-Theorie zu einem Hearing in den Umweltausschuss.

Nicht nur Science-Fiction-Autor Michael Crichton bestätigte dort den Senatoren, dass die aktuellen Wetterkapriolen nichts mit einem vom Menschen verursachten Treibhauseffekt zu tun hätten.

"Wir wurden Zeuge eines ziemlich kuriosen Ereignisses", spottete Nasa-Klimaforscher Gavin Schmidt auf www.realclimate.org.

Was die Ausweitung der warmen Meeresoberflächen tatsächlich bedeutet, machte wenig später dann ein kurioses Naturereignis deutlich - ein weiterer Rekord der Hurrikan-Saison 2005: Niemals zuvor hatten Wissenschaftler einen atlantischen Wirbelsturm beobachtet, der so weit östlich und so hoch im Norden, oberhalb des 30. Breitengrades, entstand wie Vince.

Offenbar hatte auch das Meerwasser nördlich der Kanarischen Inseln kurzzeitig eine Temperatur von mehr als 26 Grad Celsius erreicht - eine Voraussetzung für die Entstehung von Hurrikanen.

Das amerikanische National Hurricane Center entdeckte Vince dort am 9. Oktober: als ersten Hurrikan in der Geschichte der Wetteraufzeichung, der so nah an Europa entstand. Auf seinem Weg durch kühlere Meeresregionen schwächte er sich zum Tiefdruckgebiet ab - und ging in Südspanien an Land.

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