Artensterben:Alarm im Amazonas

Galbula Albirostris

Der Gelbschnabel-Glanzvogel sonnt sich gerne auf den oberen Ästen der Regenwald-Bäume.

(Foto: Philip Stouffer, LSU)

Im scheinbar unberührten Regenwald verändert sich die Zusammensetzung der Vogelarten.

Von Tina Baier

Wenn vom Amazonas-Regenwald die Rede ist, denken die meisten als Erstes an die vielen verschiedenen Tiere und Pflanzen, die dort leben. Und als Zweites an die riesigen Flächen, die dort jedes Jahr abgeholzt werden, was genau diese Artenvielfalt bedroht. Jene Teile des Regenwalds, in die der Mensch noch nicht vorgedrungen ist, gelten dagegen als eine Art Paradies, in dem die Natur noch in Ordnung ist.

Ein Team um Philip Stouffer von der Louisiana State University hat jetzt herausgefunden, dass diese Annahme falsch ist. In einer kürzlich im Wissenschaftsjournal Ecology Letters erschienenen Untersuchung zeigen die Wissenschaftler, dass es auch im tiefsten, von menschlichen Aktivitäten scheinbar unberührten Regenwald bereits Anzeichen für ein Artensterben gibt. "Wir glauben, dass die Biodiversität dort bröckelt", sagt Stouffer, "dass es auch an einem Ort, von dem man wir gehofft haben, die Artenvielfalt erhalten zu können, Verluste gibt."

Seit 1991 erforscht der Ökologe und Ornithologe die Vögel in einem nördlich der brasilianischen Stadt Manaus gelegenen Waldgebiet. Im Jahr 2008 fiel ihm erstmals auf, dass er manche Arten, die er sonst immer beobachten konnte, nur noch selten zu Gesicht bekam.

Um diesem subjektiven Eindruck wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, wertete Stouffer ein bereits vorhandenes Datenset über Vogelarten aus, die in regelmäßigen Abständen mehr als 35 Jahre lang an 55 Stellen mitten im brasilianischen Regenwald gefangen worden waren. Als er die Fänge aus den Jahren von 1980 bis 1984 mit denen zwischen 2008 und 2016 verglich, stellte er fest, dass einige Vogelarten deutlich seltener geworden sind - und zwar vor allem solche, die sich von Insekten auf und im Waldboden ernähren.

Seit den 1980er-Jahren stark zurückgegangen ist beispielsweise der Flügelbandameisenvogel Myrmonis torquata. Das Tier schleudert Blätter in die Luft, die auf dem Waldboden liegen, und frisst die darunter zum Vorschein kommenden Insekten. Auch die eindringlichen Pfiffe des Orpheuszaunkönigs Cyphorinus arada sind mittlerweile viel seltener zu hören als früher.

Der Ameisenvogel pickt Insekten auf, die von Wanderameisen aufgescheucht werden

Insgesamt haben die Ornithologen die Bestände von 79 Vogelarten verglichen. Neun von ihnen sind seltener geworden, acht häufiger und bei 62 gab es keine signifikanten Veränderungen. Die Population des Weißgesicht-Ameisenvogels, Pithys albifrons, etwa ist stabil geblieben. Die Tiere fressen zwar auch Insekten, haben aber einen Trick: Sie folgen den Heerzügen von Wanderameisen und picken die aufgescheuchten Insekten auf, die vor den Ameisen fliehen.

Was die Ursachen für die Veränderungen sind, wissen die Wissenschaftler noch nicht genau. Sie vermuten, dass es einen Zusammenhang mit der Ernährungsweise der Vögel gibt. Denn auffällig ist, dass vor allem Insektenfresser seltener geworden sind, die auf eine bestimmte Beute spezialisiert sind. Arten, die wie der Ameisenvogel alles fressen, was vor den Ameisen davonläuft, sind dagegen nicht vom Schwund betroffen; und Vögel, die sich von Früchten ernähren, kommen mittlerweile sogar häufiger vor als in den Achtzigerjahren.

Stouffers Team hält es für wahrscheinlich, dass die Verschiebungen in der Zusammensetzung der Vogelarten nicht auf die Region beschränkt sind, die er mit seinem Team untersucht hat. Wahrscheinlich handele es sich um ein Phänomen im gesamten Amazonasregenwald, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung. Grundsätzlich sei es ein "ernüchterndes Warnsignal", wenn Arten inmitten des scheinbar unberührten Regenwalds plötzlich seltener werden. Es zeige, dass es nicht ausreicht, den Wald nicht weiter abzuholzen, um die Artenvielfalt zu retten.

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