Süddeutsche Zeitung

Recycling von Karbonfasern:Neue Faser, alte Faser

Mit Karbon verstärkte Kunststoffe sind weit verbreitet. Forscher arbeiten daran, sie künftig besser recyceln zu können. Vom Gelingen dieses Vorhabens hängt der Erfolg des Werkstoffs ab.

Von Andrea Hoferichter

Zugegeben, einen Hightech-Werkstoff verschimmeln zu lassen, klingt seltsam, wenn nicht verwerflich. Doch Forscher der Hohenstein-Institute in Bönnigheim bei Heilbronn haben nur Gutes im Sinn. Sie wollen mit Schimmelpilzen Kunststoffe recyceln, die mit Karbonfaser verstärkt wurden. Diese Materialien gelten als Werkstoff der Zukunft, da sie halb so schwer wie Stahl, aber fester sind. Bisher lassen sich die Kohlenstofffaserverbundstoffe (CFK) aber nur mit viel Aufwand wiederverwenden.

Dabei wird das Material schon lange in Flugzeugen, Tennisschlägern und Edelfahrrädern verbaut, zunehmend aber auch in Elektroautos und Windradflügeln. Branchenexperten sagen dem Stoff steile Wachstumskurven voraus. Doch was aus den Abfällen wird, ist bisher unklar.

Das VDI-Zentrum Ressourceneffizienz in Berlin hat im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums vergangenen Monat eine Bestandsaufnahme zum Thema vorgelegt. Eine befriedigende Lösung der Müllproblematik ist demnach nicht in Sicht. Dabei sei die Recyclingfähigkeit entscheidend für die Ökobilanz des Werkstoffs. Schließlich werde er mit einem deutlich höheren Energieaufwand hergestellt als etwa Stahl oder Aluminium.

Forscher prüfen industrielles Recycling-Verfahren

Die Forscher in Bönnigheim wollen das Problem mit Mikroben lösen. Die Wissenschaftler haben briefmarkengroße Proben aus Fasern und Epoxidharz, dem häufigsten CFK-Kunststoff, in nährstoffhaltige Gelplatten gebettet, auf ihnen wachsen verschiedene Mikroorganismen.

"Wir haben eine Mischung gefunden, die den Epoxidharz praktisch vollständig abbaut und die Kohlenstofffasern wieder freilegt", sagt die Hohenstein-Forscherin Christin Glöckner. Als Nächstes wollen sie und ihre Kollegen prüfen, ob das Verfahren auch im industriellen Maßstab funktioniert.

Das zurzeit am weitesten fortgeschrittene Recyclingverfahren ist die sogenannte Pyrolyse. Sie hat den Sprung in die industrielle Anwendung schon geschafft. In Wischhafen etwa betreibt die Firma CFK Recycling Stade eine Pyrolyseanlage mit einer Kapazität von 1000 Tonnen pro Jahr. Es ist die einzige Anlage in Deutschland, weltweit gibt es nur einige weitere.

Kohlefasern

Das Herzstück der Kohlenstofffaser-Verbundstoffe sind ihre Fasern. Sie bestehen aus purem Kohlenstoff und haben eine grafitähnliche Struktur, wie eine Bleistiftmine. Kohlenstofffasern sind zugfester als Glasfasern und sogar Stahl, sie leiten den elektrischen Strom und Wärme. Die Produktion der festen Fasern braucht allerdings eine Menge Energie. Bei Temperaturen um die 1400 Grad Celsius werden sie aus Polyacrylnitiril-Fasern gewonnen, manchmal auch aus Steinkohlenteer oder Petroleumpech. Dann liegen die erforderlichen Temperaturen über 2200 Grad Celsius. Forscher testen zurzeit mikrowellengestützte Verfahren, um Energie zu sparen. Doch auch der Kunststoff für die Karbonverbundstoffe ist nicht zum Nulltarif zu haben. Der Energiebedarf allein für die Epoxidharzproduktion zum Beispiel ist vergleichbar mit dem von Aluminium.

In haushohen Öfen werden hier seit 2011 unter anderem Fahrradrahmen, Autodächer und Landeklappen aus Karbon zerkleinert und auf bis zu 1100 Grad Celsius erhitzt. Der Kunststoff zersetzt sich dabei in Gase, die Fasern bleiben zurück. "Die Pyrolysegase verbrennen wir und können so einen Großteil des Wärmebedarfs für den Prozess decken", sagt Geschäftsführer Tim Rademacker.

Um Materialnachschub sorgt sich der Unternehmer nicht. Schon heute könne er mit Reststoffen aus ganz Europa drei Anlagen betreiben. Aber es fehle an kreativen Ideen aus der Industrie für die Anwendung der Recyclingprodukte. "Zurzeit wollen die Unternehmen einfach nur ihren CFK-Abfall loswerden", klagt Rademacker.

Das junge Unternehmen produziert deshalb selber erste Produkte, darunter Vliese, die aus recycelten, bis zu zehn Zentimeter langen Kohlenstofffasern bestehen. "Daraus lassen sich zum Beispiel Kofferraumklappen, Kotflügel und Innenverkleidungen von Flugzeugen herstellen." Für diese Anwendungen gebe es schon Kooperationspartner, etwa einen französischen Zulieferer der Automobilindustrie und einen großen Luftfahrtkonzern.

Forscher suchen nach alternativen Methoden

In Kunststoff gebettet sollen die Vliese genauso fest sein wie neuwertiges Karbonmaterial. Dennoch gibt es Unterschiede. Während bei der Erstproduktion eine Endloskohlenstofffaser wie ein Weidezaun rechtwinklig verwoben wird, liegen die kürzeren Fasern im Recyclingvlies wirr in alle Richtungen verstreut. "Das verändert die statischen Eigenschaften", räumt Rademacker ein. Ingenieure müssten bei der Planung neuer Produkte umdenken.

"Die Pyrolyse ist zurzeit das einzige Verfahren, das im industriellen Maßstab funktioniert", sagt Anita Gottlieb vom bifa Umweltinstitut, die ein vom Bund gefördertes Projekt zum CFK-Recycling koordiniert. In seinem Rahmen werden auch Alternativmethoden geprüft. Das Ziel ist, möglichst lange und unbeschädigte Fasern wiederzugewinnen, auch wenn sie danach nicht wieder aufgewickelt werden.

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik etwa setzen auf die sogenannte elektrodynamische Fragmentierung. Dabei wird Karbon unter Wasser mit künstlich erzeugter Hochspannung traktiert, die sich wie ein Blitz an der Grenzfläche zwischen Faser und Kunststoff entlädt und deren Verbindung sprengt. "Allerdings bleibt hier ein Kunststoff-Wasser-Gemisch übrig, das entsorgt oder wiederaufbereitet werden muss", sagt Gottlieb.

200 Grad heißes Wasser oder chemische Lösemittel

Ebenfalls noch zu teuer ist die Solvolyse, ein Verfahren, an dem Siemens arbeitet. Dabei wird der Kunststoff in 200 Grad heißes Wasser getaucht und unter Druck gesetzt. Die Fasern behielten dabei ihre Länge und Form, berichten die Forscher. Andere Wissenschaftler lösen den Kunststoff mit exotischen Lösemitteln auf, etwa mit Alkoholen oder mit speziellen Salzen, die bei Raumtemperatur flüssig sind. Das hat den Vorteil, dass nicht nur die Fasern, sondern auch die Kunststoffmoleküle intakt und somit im Stoffkreislauf bleiben.

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die CFK-Wiederverwertungskette geschlossen wird und der Leichtbauwerkstoff auch in dieser Disziplin punkten kann. Für seine Karriere wäre Wiederverwendbarkeit wichtig. Im Vergleich mit Stahl oder Aluminium, heißt es aus dem VDI, ergeben sich erst dann ökologische Vorteile, wenn der Verbundstoff vollständig recycelt werden kann.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2015/mahu
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