Rechts oder links:Kampf der Hirnhälften

Wale kauen lieber rechts, Linkshänder kämpfen besser und Nasenlöcher konkurrieren um die Geruchswahrnehmung. Asymmetrie ist in der Natur allgegenwärtig - doch weshalb nur?

Christian Weber

Es war kein wirklich angenehmes Experiment, doch anders war der Lücke in der Forschung nicht beizukommen. Also stöpselten sich zwölf Studenten der Rice University in Houston Riechfläschchen in ihre Nasenlöcher und dachten an die Wissenschaft.

Rechts oder links: Das Rätsel von Rechts und Links: Warum ist das Gehirn aufgeteilt in zwei Hälften und warum überwiegt die Zahl der Rechtshänder?

Das Rätsel von Rechts und Links: Warum ist das Gehirn aufgeteilt in zwei Hälften und warum überwiegt die Zahl der Rechtshänder?

(Foto: Foto: iStock)

Immerhin, das Phenylethanol in dem einen Fläschchen duftete lieblich wie Honig und Rosenblüten; doch in dem anderen stank das Lösungsmittel n-Butanol nach frischem Textmarker. So wollte die Psychologin Denise Chen herausfinden, wie das olfaktorische Zentrum im Gehirn widersprüchliche Geruchsinformationen mischt.

"Gar nicht", antworteten die Probanden. "Statt eine andauernde Mischung dieser beiden Gerüche wahrzunehmen, rochen sie abwechselnd den einen oder den anderen Duft - so als ob die beiden Nasenlöcher miteinander konkurrieren würden", berichtete Chen vor kurzem der staunenden Öffentlichkeit.

Die einschlägig interessierten Forscher waren weniger überrascht. Analog zur Nasenkonkurrenz beschäftigen sie sich seit längerem mit der binokularen Rivalität, bei der die optische Wahrnehmung im Sekundentakt zwischen den Augen hin und her springt, wenn dem linken und rechten Sehorgan verschiedene Reize dargeboten werden.

Dass es bei dieser Links-Rechts-Konkurrenz der Sinne auch Sieger und Verlierer geben kann, belegten vor kurzem die italienischen Neurowissenschaftler Luca Tommasi und Daniele Marzoli. Sie sprachen 176 Besucher in einem Nachtclub gezielt entweder über das rechte oder linke Ohr an, um nach einer Zigarette zu fragen - am rechten Ohr war der Schnorrerfolg deutlich höher.

Solche Anekdoten aus der Forschung verweisen auf die spätestens seit der ersten Obduktion bekannte Tatsache, dass das Gehirn des Menschen aus einer linken und einer rechten Hälfte besteht. Seit langem weiß man, dass sich die beiden die Arbeit über Kreuz aufteilen: Die rechte Hemisphäre dominiert die linke Körperhälfte und das räumliche Vorstellungsvermögen; die linke Hemisphäre kontrolliert die rechte Körperhälfte, insbesondere die Geschicklichkeit der rechten Hand sowie die Sprache.

Klarer Fall von Rechtsmäuligkeit

Es ist diese sogenannte Lateralität, die Menschen zu Rechts- oder Links-Händern macht. Entsprechende Präferenzen finden sich in fast allen menschlichen Verhaltensweisen. So konnte der Bochumer Biopsychologe Onur Güntürkün in einer klassischen Studie auf Flughäfen und Bahnhöfen nachweisen, dass Paare ihren Kopf beim Küssen meist nach rechts drehen.

Das kann kein Zufall sein, und immer mehr Wissenschaftler fragen deshalb: Warum eigentlich? Wäre es nicht praktischer, über zwei gleichstarke Hände und Beine zu verfügen?

Lange Zeit dachte man, dass sich die Lateralität erst vor 2,5 Millionen Jahren und nur beim Menschen entwickelt habe. Damals griffen die Hominiden Ostafrikas erstmals mit der rechten Hand zum Faustkeil. Mit dem Werkzeuggebrauch sei die Geschicklichkeit der Hand weiter gestiegen, argumentieren Paläoanthropologen, so dass schon bald mit ihr auch gestikuliert wurde. Aus den Gesten wiederum habe sich die Sprache entwickelt, die fortan die linke Hirnhälfte besetzte.

Doch spätestens seitdem der US-Biologe Phil Clapham die Kiefer von 75 Buckelwalen inspizierte, gilt die These von der exklusiv menschlichen Lateralität als erschüttert. Bei 60 der Meeressäuger zeigten sich deutlich stärkere Abnutzungsspuren an der rechten Seite des Kiefers - ein klarer Fall von Rechtsmäuligkeit.

Mittlerweile haben Zoologen in Hunderten von Studien nachgewiesen, dass die meisten Tiere eine Links- oder Rechtsvorliebe hegen. Viele Vögel suchen mit dem rechten Auge nach Würmern. Beim neuseeländischen Schiefschnabel (Anarhynchus frontalis) wächst deshalb sogar der Schnabel nach rechts.

Die Option des Sandohrwurms

Honigbienen merken sich Düfte besser mit ihrer rechten Antenne; und auch der asiatische Elefant hat seine Rüsselbewegungen beim Fressen, Sandverspritzen und Wackeln lateralisiert. Schafe erkennen sich gegenseitig besser mit dem linken Auge. Affen fischen in zwei von drei Fällen mit einem Stock in der rechten Hand nach verstecktem Honig.

Zoobesucher wissen, dass Paviane auf ihrem Felsen lieber mit der rechten Pfote locken oder drohen. Allerdings verfügen nur wenige Arten über die Optionen des männlichen Sandohrwurms (Labidura riparia). Der besitzt zwei voll funktionsfähige Penisse, von denen er seltsamerweise meist nur den rechten benutzt.

Es sei offensichtlich, resümieren die Links-Rechts-Forscher Peter MacNeilage aus den USA, Lesley Rogers aus Australien sowie der Italiener Giorgio Vallortigara im Juni dieses Jahres im Fachmagazin Scientific American: "Wir glauben, dass die Hemisphären-Spezialisierung des menschlichen Hirns in ihrer grundlegenden Form bereits vor 500 Millionen Jahren existierte, als die ersten Wirbeltiere aufkamen."

Warum und in welcher Weise sich die Gehirnhälften spezialisiert haben, lesen Sie auf Seite 2.

Links die Routine, rechts das Unerwartete

Es geht also um etwas Gundsätzliches. Die Forscher vermuten, dass die linke Gehirnhälfte seit jeher routinierte Verhaltensweisen unter gewöhnlichen Umständen kontrolliert.

Die rechte Hirnhälfte hingegen verarbeite primär unerwartete Reize, deshalb sei dort auch die emotionale Erregung verortet. Entsprechend sei die räumliche Wahrnehmung organisiert: Die linke Hirnhälfte sei eher für Details zuständig, die rechte Hälfte blickt aufs große Ganze, zum Beispiel um gefährliche Feinde schnell zu erkennen.

Das Schmatzen der Urmenschen

In der Tierwelt bestätigt sich dieses Schema. Ein Küken reagiert schneller auf einen Raubvogel, wenn er im linken Gesichtsfeld auftaucht. Beim Körnerpicken ist es dagegen mit dem rechten Auge besser. Doch auch rechtshändige Menschen reißen bei Überraschungen bevorzugt den linken Arm hoch.

Selbst für die Entstehung der Sprache haben Links-Rechts-Forscher eine eigene Theorie. Die größte geistige Fähigkeit des Menschen sei auf das Schmatzen der Urmenschen zurückzuführen, eine linkshirngesteuerte Routinetätigkeit. Aus den Kaugeräuschen hätten sich die ersten Silben entwickelt.

Doch Fragen bleiben. Zwar stimmen die meisten Forscher der Annahme zu, dass das Gehirn sowohl Routineprozesse als auch überraschende Stimuli verarbeiten muss. Doch wieso laufen diese Prozesse in getrennten Hirnhälften? Einen Hinweis geben wiederum die Küken, das bevorzugte Tiermodell der Lateralitätsforscher.

Brütet man nämlich ein Hühnerei in Dunkelheit aus, entwickelt das Kükenhirn keine Hemisphärenpräferenzen. Tritt nun ein derartiges Symmetrie-Küken gegen einen Artgenossen mit dem üblichen Links-Rechts-Gehirn an, unterliegt es in Tests, bei denen es gleichzeitig Körner picken und auf Bedrohungen achten soll. Mit Arbeitsteilung scheint ein Gehirn besser zu funktionieren.

Ungeklärt bleibt, wieso in allen Kulturen dieser Welt die Rechtshänder dominieren. Wenn es allein um den Vorteil der Asymmetrie ginge, so müsste das Verhältnis von Links- und Rechtshändern bei 50:50 liegen, denn Händigkeit ist zum größten Teil eine erbliche Eigenschaft. Tatsächlich liegt die Linkshänderrate in modernen Industriegesellschaften meist bei zehn bis 15 Prozent.

Versteckte Kosten

Mit viel Mühe versuchen Forscher deshalb seit Jahrzehnten spezifische Stärken oder Schwächen von Links- und Rechtshändern zu finden, meist mit bescheidenen Ergebnissen. Für den häufig vermuteten Zusammenhang zwischen Händigkeit und Schulerfolg zeigen sich nur leichte und widersprüchliche Indizien. Klar ist nur, dass es schadet, seiner Links- oder Rechtsnatur nicht zu folgen.

Doch müsste nicht der kleinere Anteil an Linkshändern auf einen Nachteil dieser Eigenschaft hinweisen? "Die Tatsache, dass in keiner einzigen bislang untersuchten menschlichen Gesellschaft eine 50-prozentige Linkshänderquote erreicht wurde, zeigt, dass es versteckte Kosten geben muss", beteuern die französischen Autoren Violaine Llaurens, Michel Raymond und Charlotte Faurie.

Sie spekulieren über vorgeburtliche Stressoren, ein schwächeres Immunsystem, vielleicht auch die Folgen sozialen Drucks. So hatten linkshändige Menschen im viktorianischen England angeblich Probleme, einen Ehepartner zu finden, wodurch sie womöglich weniger Nachwuchs produzierten. Oder liegt es daran, dass Linkshänder häufiger homosexuell sind, wie es manche Studien ergeben haben sollen?

Unbestritten sind nur die Stärken der Linkshänder in Sportarten mit Gegnerkontakt. Dort haben sie einen strategischen Vorteil, einfach schon deshalb, weil Rechtshänder seltener mit Linkshändern konfrontiert werden als umgekehrt.

Sie tun sich schwer damit, die Bewegungen des Gegners zu vorauszusehen. Das ist wohl auch der Grund, wieso die Linkshänderquote in traditionell gewalttätigen Gesellschaften, wo noch Mann gegen Mann kämpft, deutlich höher liegt. So belegten französische Forscher, dass in dem friedfertigen Volk der Dioula in Burkina Faso gerade mal 3,4 Prozent Linkshänder leben.

Wo der bildhafte Gott wohnt

Dort sterben nur 0,013 von 1000 Menschen im Jahr eines gewalttätigen Todes - einer von knapp 80.000. Bei den Yanomani im Amazonasgebiet Venezuelas sind es dagegen vier von 1000 - und die Linkshänderquote liegt bei 22,6 Prozent. Im Dschungel gilt: Überleben mit links.

Das Beispiel demonstriert, dass es sich bei Links-Rechts-Fragen nicht nur um die Frage geht, mit welcher Hand man zum Bleistift greift. Vielmehr zeigt sich hier, wie Biologie und Gesellschaft in erstaunlicher Weise verwoben sind.

Die wildeste Theorie über den Einfluss der Hemisphärentrennung auf die Kultur hat der verstorbene Neurowissenschaftler Detlef Linke von der Universität Bonn vorgestellt. Linkes Argument geht so: Zwar sei normalerweise die linke Hirnhälfte für die Sprache zuständig, anders aber in den Konsonantenalphabeten des Hebräischen oder Arabischen.

Hier müsse beim Lesen auch die rechte Hirnhälfte mitarbeiten, um die in der Schrift nicht enthaltenen, bildhaften Vokale zu assoziieren. So erkläre sich die Bilderfeindlichkeit etwa des Islam; schon aus hirnphysiologischen Gründen könne der Koran- oder auch Thoraleser auf Darstellungen des Propheten oder Gottes verzichten.

Umgekehrt habe die rechte Hirnhälfte mit der Übersetzung der hebräischen Bibel ins vokalisierte Griechische wieder an Bedeutung verloren. Mit der Septuaginta sei ein Vakuum entstanden, das mit neuen Bildern gefüllt werden musste. Das sei der Grund, wieso Darstellungen des Gekreuzigten erst unter den griechisch lesenden Juden und Heiden populär wurden und bis heute für das Christentum wichtig bleiben: Der bildhafte Gott wohnt in der rechten Hirnhälfte.

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