Süddeutsche Zeitung

Internationale Raumstation:Ersatzkapsel für gestrandete Raumfahrer

Wegen des "Sojus"-Lecks schickt Roskosmos eine neue Kapsel ohne Besatzung zur "ISS". Das bringt den ganzen Zeitplan für die Raumstation durcheinander.

Von Dieter Sürig

Eine Situation unnötig zu dramatisieren war nie das Ding der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa. Und so stellt Joel Montalbano, Nasa-Manager für die Internationale Raumstation (ISS), die Rückkehr dreier gestrandeter ISS-Raumfahrer mit einer eigens gestarteten Sojus-Kapsel schon fast als Routinevorgang dar. "Wir bezeichnen dies nicht als Rettungs-Sojus", sagte Montalbano bei einer Pressekonferenz. "Ich nenne es eine Ersatz-Sojus." Es sei halt die nächste Sojus-Kapsel, die im März sowieso zwei Kosmonauten und eine US-Astronautin zur ISS hätte bringen sollen. Nun fliege sie eben "nur etwas früher" - allerdings ohne Besatzung. Die neue Sojus-Kapsel soll voraussichtlich am 20. Februar zur ISS starten.

Ausgelöst hatte den "Rettungseinsatz" ein Leck im Kühlsystem der Sojus-Kapsel MS-22, das die Kosmonauten Sergej Prokopjew und Dmitrij Petelin sowie den Nasa-Astronauten Francisco Rubio im September 2022 zur ISS gebracht hatte. Das Leck war Mitte Dezember aufgetreten, nachdem ein Mikrometeorit von etwa einem Millimeter Durchmesser mit einer Geschwindigkeit von sieben Kilometern pro Sekunde auf das Sojus-Servicemodul geprallt sein soll - also mit rund 25 000 Stundenkilometern. Dadurch war das Wärmekontrollsystem beschädigt worden, Kühlmittel entwich in den Weltraum. Das Leck sei nicht von Weltraumschrott verursacht worden, versicherte Sergej Krikaljow, Direktor für bemannte Raumfahrtsysteme bei der russischen Agentur Roskosmos. Dies hätten die Untersuchungen von Roskosmos und Nasa ergeben.

Die gestrandeten Raumfahrer hätten zwar planmäßig Ende März mit der defekten Sojus-Kapsel zur Erde zurückkehren können, doch hätte sich der Innenraum während des mindestens sechsstündigen Fluges auf bis zu 40 Grad Celsius aufheizen können, wie Montalbano erläuterte. "Die Temperaturen in diesen Bereichen wären für die Besatzung nicht gesund", außerdem könne sich der Hauptcomputer überhitzen. Die defekte MS-22 soll deswegen nur mit Fracht beladen werden und spätestens Ende März in der kasachischen Steppe landen.

Die Ablösung kommt wohl erst im Herbst

Vor dem Abdocken muss das Equipment der Raumfahrer aus der defekten Kapsel in die Ersatzkapsel gebracht und verbaut werden. Dies ist notwendig, weil Raumanzüge, Sitze und Rettungssysteme individuell auf die jeweiligen Passagiere angepasst sind.

Das nächste Sojus-Trio muss nun voraussichtlich bis zum Herbst auf den Start zur ISS warten, weil so schnell keine weitere Sojus-Kapsel einsatzbereit ist. Das gestrandete Team muss wohl entsprechend länger auf der ISS bleiben, hätte aber für den Notfall wieder ein vollwertiges Raumschiff als Unterschlupf oder Rückkehrkapsel zur Verfügung. Die Raumfahrer müssen neben Experimenten auch viele Hausmeistertätigkeiten auf der mittlerweile 25 Jahre alten ISS verrichten. Neben der Sojus startet die Nasa etwa zweimal im Jahr eine vierköpfige Besatzung mit der Crew Dragon von Space-X zur ISS, sodass dort in der Regel sieben Astronauten und Kosmonauten arbeiten. Der nächste Start ist im Frühjahr vorgesehen. Die Nasa steht wegen der Ersatzkapsel auch in Kontakt mit Space-X, doch handelt es sich dabei um zwei grundsätzlich verschiedene Kapselsysteme.

Dass die Sojus-Crew nun länger oben bleiben muss, ist aus Sicht von Nasa und Roskosmos kein Problem. Die Crew sei bei gutem Gesundheitszustand und zu allem bereit, "was wir entscheiden", sagte Nasa-Manager Montalbano. Und hatte für diese außergewöhnliche Situation sogar einen Scherz bereit: "Ich muss möglicherweise noch etwas Eiscreme hochfliegen, um sie zu belohnen."

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