Planetenforschung:"Wir fliegen in einen Pizzaofen"

  • Am Samstag startet die Sonde BepiColombo in Richtung Merkur.
  • Sie wird erst 2025 ans Ziel kommen - vorausgesetzt, alles geht gut.
  • Die große Hitze des Planeten macht die Mission zu einer besonderen Herausforderung.

Von Alexander Stirn

Wenn es kälter wird und dunkler, wenn die ersten Frosttage drohen, wenn der Herbst mit voller Wucht zuschlägt, dann kann sich zumindest ein Europäer auf äußerst sonnige Aussichten freuen. Er heißt BepiColombo , ist mehr als sechs Meter groß, bringt vier Tonnen auf die Waage und wartet derzeit in Französisch-Guayana auf bessere Zeiten.

Von dort aus soll Bepi, wie die Raumsonde von ihren Entwicklern genannt wird, in der Nacht auf den 20. Oktober zu einer großen Reise aufbrechen. Es geht - sofern nichts mehr dazwischenkommt - zum Merkur, dem innersten, geheimnisvollsten, vor allem aber ausgesprochen hitzigen Nachbarplaneten der Erde. Und es wird, so viel steht jetzt schon fest, ein heißer Trip. Scheitern nicht ausgeschlossen. "Wir fliegen in einen Pizzaofen", sagt Ulrich Reininghaus, Projektmanager der europäisch-japanischen Raumfahrtmission.

Und das ist durchaus ernst gemeint: Merkur, eine kleine, felsige Welt, kreist äußerst nah um die Sonne - mit nur einem Drittel des irdischen Abstands. Folglich steigen die Temperaturen an der Oberfläche des Planeten auf mehr als 430 Grad Celsius. Auch die Intensität der Sonne - und damit verbunden ihre Wärmestrahlung - fällt zehnmal so stark aus wie auf der Erde. Es ist kein Ort, an dem man eine Raumsonde ungeschützt aussetzen will. Nicht einmal im irdischen Herbst oder Winter.

Von allen felsigen Planeten ist Merkur daher noch immer der mit Abstand am wenigsten erforschte. Lediglich zwei US-Sonden statteten dem Himmelskörper in der Vergangenheit einen Besuch ab: In den 1970er-Jahren flog der Planetenerkunder Mariner 10 dreimal an Merkur vorbei. Das meiste Wissen, das Astronomen über den innersten Planeten sammeln konnten, stammt allerdings von der Sonde Messenger. Von 2011 an kreiste das Raumfahrzeug vier Jahre lang in sicherer Entfernung um Merkur. Messenger zeichnete das Bild einer seltsamen Welt, geprägt von uralten vulkanischen Aktivitäten, von einem schwachen, asymmetrischen Magnetfeld und von Wassereis in den schattigen Kratern am Nordpol.

BepiColombo , benannt nach dem italienischen Ingenieur Giuseppe "Bepi" Colombo, soll dieses Bild nun verfeinern. Die Mission soll ergründen, wie der Planet aufgebaut ist, was auf seiner Oberfläche vor sich geht, wie er einst entstand - mit ihm die Erde und die anderen felsigen Brocken im Sonnensystem. Es ist eine große Aufgabe, daher fliegen gleich zwei Sonden, übereinandergestapelt und zunächst fest verbunden, zum Merkur. Am Ziel angekommen, werden sie getrennt. Bepis japanischer Teil wird dann einen respektvollen Abstand von bis zu 12 000 Kilometern zum Planeten einhalten. Das deutlich größere europäische Segment wagt sich näher heran - auf minimal 480 Kilometer. Elf wissenschaftliche Instrumente sollen dabei den Merkur untersuchen.

Einfach wird das nicht. BepiColombo gilt zwar als einer der größten Hoffnungsträger in der europäischen Planetenforschung. Jahrelang war die Mission, die bereits 2013 abheben sollte, allerdings auch ihr größtes Sorgenkind: "Es gab Momente, in denen wir uns ratsuchend anschauten und auch nicht wussten: Haben wir jetzt noch eine Möglichkeit oder war's das?", sagt Ulrich Reininghaus. Seit 2008 arbeitet der Physiker im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur Esa an dem Projekt.

Fünfzig Isolierschichten aus Keramik und Aluminium schützen das Innere der Sonde

Insbesondere die Solarpaneele, die das tonnenschwere Raumfahrzeug mit Strom versorgen, machten Probleme. Zwar hatten die Ingenieure nach langer Suche eine Solarzelle gefunden, die auf dem Papier Temperaturen von 270 Grad Celsius ertragen konnte. Bei detaillierten Experimenten, die auch die ultraviolette Strahlung am Merkur berücksichtigten, fielen die Zellen allerdings reihenweise aus. "Da war klar: Wir hatten ein Riesenproblem", sagt Markus Schelkle, Projektmanager bei Airbus in Friedrichshafen, wo BepiColombo federführend gebaut wurde.

Die Lösung: Heute umgibt ein feiner Graben die Solarzellen - genau an jenen Stellen, an denen zuvor Kurzschlüsse und Defekte aufgetaucht waren. Zudem dürfen die Zellen nur noch Temperaturen bis zu 215 Grad Celsius ausgesetzt werden. Rund um den Merkur, nur 58 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, ist das allerdings viel zu wenig. Bereits nach halber Strecke, wenn die Temperaturen 190 Grad Celsius erreichen, müssen die Paneele daher schräg gestellt werden. Die Sonnenstrahlung fällt dadurch nur noch streifend ein und kann weniger Hitzeschäden verursachen.

Damit sinkt allerdings auch die Energieausbeute. Die Folge: Mehr als 11 000 einzelne Solarzellen sind inzwischen nötig, um die Sonde mit Strom zu versorgen. Sie drängen sich auf 42 Quadratmetern, der Fläche einer kleinen Zweizimmerwohnung. Mit einer Länge von 30 Metern sind die Solarpaneele zudem zu groß, um - wie ursprünglich geplant - auf einer russischen Sojus-Rakete ins All zu fliegen. Stattdessen benötigt BepiColombo die deutlich geräumigere Ariane 5. Um sich der neuen Rakete anzupassen, musste das komplette Raumfahrzeug umgebaut werden. "All das hat uns drei Jahre gekostet", sagt Airbus-Manager Schelkle. Und es war teuer: Mit etwa 1,3 Milliarden Euro schlägt die Merkurmission mittlerweile zu Buche. Viel Geld für einen Forschungseinsatz, der ein oder maximal zwei Jahre dauern soll.

Es sind aber auch extreme Bedingungen, die auf Bepi zukommen. Auf bis zu 350 Grad Celsius wird sich die Außenhaut der Sonde während des Einsatzes am Merkur aufheizen. Im Innern des Raumfahrzeugs darf es trotzdem nie heißer werden als 60 Grad Celsius. Fünfzig Isolierschichten aus Keramik und Aluminium, zusammen sechs Zentimeter dick, sollen die Wärme abhalten. Titanrippen, beschichtet mit Silber, sollen überschüssige Hitze ins Weltall abgeben.

Gespeist werden sie von Wärmerohren, die die Sonde durchziehen und mit Ammoniak gefüllt sind. Auch sie haben eine wechselvolle Vergangenheit hinter sich. "Der erste Thermaltest, den wir mit unserem Strukturmodell gemacht haben, ist grottenschlecht verlaufen", erinnert sich Ulrich Reininghaus. Die Rohre waren falsch dimensioniert, sie wurden fast gekocht. "Wir mussten das ganze Konzept ändern", sagt der Esa-Manager. "Auch das hat wieder Zeit und Geld gekostet."

Nun aber sieht alles gut aus. Sämtliche Tests sind bestanden, die Sonde wartet auf den Start. Bis sie ihr Ziel erreicht, vergeht allerdings noch viel Zeit. Durch die ganzen Verzögerungen hat sich die Flugzeit Richtung Merkur deutlich verlängert: Mehr als sieben Jahre, gut 8,5 Milliarden Kilometer und 18 Runden um die Sonne wird Bepi nun unterwegs sein. Ankommen soll die Sonde schließlich Anfang Dezember 2025, rechtzeitig zur Adventszeit. Es wird - zumindest für BepiColombo - ein heißer Winter werden.

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