Raumfahrt:Mond im Angebot

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Bisher erreichten nur Gerätschaften staatlicher Raumfahrtagenturen den Mond, hier zum Beispiel Reste der Apollo-17-Mission der Nasa. Wann rollt das erste privat finanzierte Vehikel über den Erdtrabanten? (Foto: REUTERS)

20 Millionen Dollar verspricht Google dem ersten Team, das einen selbstgebastelten Rover zum Mond bringt. Doch die Tüftler tun sich schwer.

Von Alexander Stirn

Um ein Haar wäre die erfolgreiche Landung der chinesischen Mondsonde Chang'e 3 Mitte Dezember Robert Böhme teuer zu stehen gekommen. Fünf Millionen Dollar hätte es ihn kosten können - Geld, das der Berliner Informatiker noch nicht einmal hat.

Böhme, ein 27-jähriger IT-Experte, ist Teamchef der " Part-Time Scientists", einer Gruppe deutscher Ingenieure und Enthusiasten, die an einer eigenen Mondmission arbeiten. Mit ihr wollen die Tüftler den Google Lunar X-Prize gewinnen - eine Auszeichnung, mit der die erste Fahrt eines privat finanzierten Fahrzeugs auf dem Mond gewürdigt werden soll: mit 20 Millionen Dollar.

Ursprünglich, so sahen es die Regularien des Preises vor, sollte das Preisgeld um fünf Millionen Dollar reduziert werden, falls eine weitere staatlich organisierte Mission den Tüftlern zuvorkommt. Das sollte ein Ansporn sein.

Sollte. Die Regularien wurden kurzfristig geändert.

Der Google Lunar X-Prize ist weiterhin mit 20 Millionen Dollar dotiert, steckt aber in der Krise. Auch gut sechs Jahre nach der Ausschreibung liegt die erste nichtstaatliche Mondlandung in weiter Ferne. Dabei gab es für andere Projekte bereits eine Reihe ähnlicher X-Preise. Der erste private Raumflug wurde belohnt und ein besonders effizientes Auto. Zurzeit läuft noch ein Wettbewerb, der ein medizinisches Diagnosegerät hervorbringen soll, das an den Tricorder aus der Raumschiff-Enterprise-Fernsehserie erinnert. Das Ziel Mondlandung hat sich indes als äußerst ambitioniert erwiesen, vielleicht zu ambitioniert.

Mitte November, das chinesische Mondabenteuer war bereits absehbar, hat Google daher Bremsraketen gezündet. Die Fünf-Millionen-Dollar-Reduktion wurde aus dem Reglement gestrichen, neue Preise wurden eingeführt, der Wettbewerb soll attraktiver, sichtbarer und spannender werden. "Man muss zugeben, dass viele Teams viele Schwierigkeiten haben - vor allem bei der Suche nach Sponsoren", sagt Robert Böhme. Im September 2007, als Google den Lunar X-Prize ins Leben rief, sah das noch anders aus. Die weltweite Finanzkrise war noch nicht ausgebrochen, und die US-Raumfahrtbehörde Nasa verfolgte ihr eigenes Mondprogramm. Es sollte Ansporn für den X-Prize sein, der als Initialzündung für private Mondunternehmungen gedacht war.

Bis Ende 2012, so die damaligen Pläne, sollte das erste Team auf dem Mond landen, mit einem Rover mindestens 500 Meter zurücklegen und Bilder zur Erde funken. Dann hätte es das volle Preisgeld gegeben.

Inzwischen ist aus diesem Termin Ende 2015 geworden - und selbst das dürfte einen Großteil der Aspiranten vor kaum zu überwindende Probleme stellen. Von einst 30 Bewerbern sind 18 übrig geblieben. "Es werden noch deutlich weniger werden", prognostiziert Böhme. "Demnächst dürfte sich der Wettbewerb bei etwa zwölf Teams einpendeln, vielleicht sogar bei weniger als zehn." Die "Part-Time Scientists", das einzig verbliebene deutsche Team, wollen dazugehören, daran lässt Böhme keinen Zweifel. Seit Jahren tingelt die 70-köpfige Truppe mit ihrem Prototypen eines Rovers über Luft- und Raumfahrtmessen. Jedes Mal ist Asimov, wie das Kettcar-große Gefährt heißt, ein bisschen erwachsener, ein bisschen ausgereifter. Derzeit werden seine Einzelteile auf Weltraumtauglichkeit getestet, durchgeschüttelt, bestrahlt und in Vakuumkammern gesteckt.

Die Landefähre, die Asimov zum Mond bringen und dort aussetzen soll, existiert dagegen nur im Computer. Frühestens im Herbst soll sie zum ersten Einsatz kommen: Auf einem stillgelegten Minengelände in Österreich wollen die Entwickler eine modifizierte Version des 150 Kilogramm schweren Geräts fliegen lassen - so gut das eben auf der Erde geht, wo die Atmosphäre stört und die Schwerkraft sechsmal so stark ist wie auf dem Mond.

Böhme, der die "Part-Time Scientists" 2009 ins Leben gerufen hat, ist zuversichtlich. Ende des Jahres, so seine Hoffnung, sollen Rover und Landegerät flugfertig sein. "Bei der Technik sind wir gut dabei, auch wenn das sicherlich bis zuletzt eine Zitterpartie bleiben wird", sagt der Informatiker. "Großer Knackpunkt ist allerdings die Finanzierung unseres Fluges."

Beim Internetkonzern Google, der sich jahrelang kaum um den von ihm finanzierten Preis gekümmert hat, ist das inzwischen auch angekommen. Mitte November wurde nach zähen Diskussionen mit Teilnehmern nicht nur die Strafe für Chinas Mondlandung abgeschafft, sondern auch eine Werbekampagne samt Kinofilm gestartet. Zudem schufen die Organisatoren Interimspreise im Wert von insgesamt sechs Millionen Dollar: Wer als Team beweisen kann, dass er erfolgreich an einem Landegerät, einem Rover und einer Kamera arbeitet, kann Ende September auf bis zu 1,75 Millionen Dollar hoffen.

2015 soll das erste Team auf dem Mond landen, mit einem Rover mindestens 500 Meter zurücklegen und Bilder zur Erde funken (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Alexandra Hall, Direktorin des Wettbewerbs, will den Eindruck vermeiden, dass es sich dabei um Trostpreise handeln könnte. Die neuen Auszeichnungen seien ein Zwischenschritt. "Sie werden den Teams helfen, zu einem wichtigen Zeitpunkt in der Missionsplanung Geld zu bekommen, sie werden Aufmerksamkeit schaffen und Unterstützer ermutigen", sagt Hall.

Die Idee: Wer einen der drei Interimspreise erhält, die jeweils auf bis zu vier Teams verteilt werden können, kann mit dieser Auszeichnung bei potenziellen Sponsoren werben - wie mit einem Gütesiegel. "Uns würde ein Interimspreis auf jeden Fall sehr weiterhelfen, weil wir damit die Kosten für unsere Flugmodelle decken könnten", sagt Robert Böhme.

Eine Rakete lässt sich von dem neuen Preisgeld allerdings nicht kaufen; da geht es um andere Größenordnungen. Dabei drängt die Zeit. Wer bis Ende 2015 abheben will, muss sich im langfristig angelegten Raketengeschäft alsbald um eine Startmöglichkeit kümmern.

Die ersten Teams haben diesen Schritt bereits getan, wirklich überzeugen können ihre Pläne allerdings nicht: Das spanische Team "Barcelona Moon" will sein Gerät mit einer chinesischen Rakete vom Typ Langer Marsch 2C losschicken, die auch Chang'e 3 befördert hat. Es musste den Starttermin vor ein paar Monaten allerdings verschieben, vorläufig auf Juni 2015. Die "Penn State Lunar Lions", ein Team der Staatlichen Universität von Pennsylvania, hat Ende November ebenfalls eine Anzahlung für den Start geleistet. Ihre Rakete, die von einem ehemaligen X-Prize-Mitbewerber entwickelt wird, existiert allerdings noch gar nicht.

Die "Part-Time Scientists" wollen es stattdessen mit bewährter Sowjet-Technologie probieren. Sie haben eine Dnjepr-Rakete ins Auge gefasst, die offiziell zwischen 20 und 25 Millionen Euro kostet. Da Russland die umgebauten Interkontinentalraketen allerdings loswerden will, sind sie meist deutlich billiger zu bekommen - und können auch kurzfristig gebucht werden. Dafür muss sich Asimov, sollte die Mission zustande kommen, auf einen ruppigen Flug gefasst machen: Die Dnjepr wird aus ihrem Raketensilo katapultiert und erst in der Luft gezündet, wobei starke Kräfte auf die Nutzlast einwirken.

Die meisten US-Teams setzen dagegen auf die Falcon 9 des kalifornischen Unternehmens Spacex. Die erfolgreiche und zuletzt sehr zuverlässige Rakete kostet laut Preisliste zwischen 60 und 120 Millionen Dollar - viel Geld für die finanzgeplagten Teilnehmer, die auch noch ihren Rover und ihr Landegerät entwickeln müssen.

So kalkuliert das US-Team " Astrobotic", das aus der Carnegie Mellon University in Pittsburgh hervorgegangen ist, mit Gesamtkosten von bis zu 200 Millionen Dollar. Das Geld könnte durch eine Medienpartnerschaft zusammenkommen, zumindest ist das eine der Überlegungen in Pittsburgh: Wie jüngst der Brausehersteller Red Bull, der viele Millionen Dollar in den öffentlichkeitswirksamen Fallschirmsprung des Österreichers Felix Baumgartner aus der Stratosphäre gesteckt hat, soll ein Konzern auch den Astrobotic-Flug zum Mond exklusiv vermarkten.

Mit dem Geist des X-Prize hätte das allerdings wenig zu tun. Eigentlich ist der Wettbewerb darauf angelegt, die Grundlage für eine neue Industrie zu schaffen - so wie beim ersten X-Prize, der mit dem Flug des suborbitalen Raumschiffs Space Ship One im Juni 2004 den Startschuss für den Weltraumtourismus geben sollte. "Aus dem Lunar X-Prize ein einmaliges Medienspektakel zu machen, wäre genau das, was niemandem etwas bringt", kritisiert Robert Böhme.

Die "Part-Time Scientists" wollen einen anderen Weg einschlagen, einen sparsameren. Sie setzen auf bewährte Komponenten aus der Satellitentechnik, auf eine möglichst kompakte und kostengünstige Mission, auf Unterstützer aus Industrie und Forschung. "Wir wollen zeigen, dass Unternehmen für vergleichsweise geringe Kosten einen Mehrwert aus der Raumfahrt ziehen können", sagt Böhme. "Es würde der Industrie einen starken Impuls geben."

Trotzdem bleibt fraglich, wie privat die erste private Mondlandung wirklich sein wird. Die X-Prize-Richtlinien schreiben zwar vor, dass 90 Prozent der Finanzierung aus nichtstaatlichen Quellen stammen muss. In der Praxis lässt sich dieser Passus aber leicht umgehen. Das Universitätsteam der " Penn State Lunar Lions" setzt sich beispielsweise aus mehr als 80 Studenten, Forschern und Dozenten zusammen, die größtenteils bei der - staatlichen - Universität angestellt sind und deren Ressourcen nutzen. Die Hochschule will die "Lunar Lions" zudem mit acht Millionen Dollar fördern, so Teamchef Michael Paul. Google will da nicht streng sein: X-Prize-Direktorin Hall verweist darauf, dass Universitäten ja auch Geld von Absolventen und privaten Förderern bekämen.

Das Start-up-Unternehmen " Moon Express" aus dem kalifornischen Silicon Valley hat eine andere Lösung gefunden, um indirekt an staatliche Unterstützung zu kommen: Es übernahm einfach eine Gruppe von Ingenieuren, die die Nasa zuvor in ihrem eigenen Mondprogramm fit für den Weltraum gemacht hatte. Auf seiner Webseite wirbt das Team ganz offen mit dem Slogan: "Die Nasa ist unser Kunde und unser Partner bei der öffentlich-privaten Eroberung des Mondes."

Auch die Basis der Landefähre "MX-1", die das Team Anfang Dezember in Las Vegas vorgestellt hat, stammt von der Nasa. "Im Grunde hat der US-Steuerzahler die Entwicklung dieses Landegeräts bezahlt", sagt Robert Böhme. Überhaupt hat die Nasa wenig Berührungsängste - zumindest nicht bei den amerikanischen X-Prize-Aspiranten. Bereits 2010 hat die Raumfahrtagentur 30,1 Millionen Dollar für sechs US-Teams lockergemacht. Mit dem Geld sollen, so die offizielle Begründung, technische Daten und Erfahrungswerte während der Entwicklung neuartiger Mondmissionen eingekauft werden.

In die 90-Prozent-Regelung des X-Prize fließt die Nasa-Finanzspritze dennoch nicht ein: Alle öffentlichen Einnahmen, die mit einer Gegenleistung verbunden sind, gelten als akzeptabel. "Am Ende werden unsere Experten überprüfen, ob alles richtig und zu einem fairen Preis abgerechnet worden ist", sagt Alexandra Hall.

Bei den nichtamerikanischen Teams, die immerhin zwei Drittel der verbliebenen Wettbewerber stellen, bleibt dennoch ein fahler Beigeschmack. "Mit einem guten Buchhalter kann man alles so hindrehen, dass es im Rahmen des Wettbewerbs bleibt", sagt Robert Böhme. "Schön ist das allerdings nicht." Auch sein Team arbeitet allerdings mit Universitäten und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zusammen. Dabei handle es sich um eine reine Technologiepartnerschaft und nicht um finanzielle Unterstützung, versichert Böhme. Unter diesen Bedingungen wollen die Deutschen weiterkämpfen. Bis zum 31. Dezember 2015. Oder bis Google die Regularien mal wieder ändert.

© SZ vom 16.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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