Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt :Mit Iod zum Mars

Auch Raumsonden und Satelliten fliegen immer häufiger elektrisch statt mit chemischem Antrieb, aber die Technik hat Nachteile. Ein Start-up will nun mit einem neuen Treibstoff einen Durchbruch erzielt haben.

Von Peter Michael Schneider

Ab und zu beschleunigt sich der Gang der modernen Welt: wenn eine an sich schon bestehende Technologie plötzlich so preiswert wird, dass sie viel breiter eingesetzt werden kann. Das französische Raumfahrt-Start-up "Thrust Me", ein Spin-off der französischen Hochschule École Polytechnique in Paris, hofft, einen solchen Zukunftsbeschleuniger für die Raumfahrt gefunden zu haben. In einer am Mittwoch erschienenen Arbeit im Fachmagazin Nature berichtet das Team um Dmytro Rafalsky, dass es ein elektrisches Triebwerk für Satelliten entwickelt habe, das mit elementarem Iod als Treibmittel arbeitet. Verglichen mit anderen Treibstoffen sei das Element effizient und vor allem: preiswert.

Anfang des Jahres hat Thrust Me sein neu entwickeltes Triebwerk in einem chinesischen Kleinstsatelliten nach eigenen Angaben insgesamt 180 Minuten lang feuern lassen. Dabei habe das etwa 60 Watt starke Triebwerk die Umlaufbahn des Satelliten um insgesamt 700 Meter verschoben. 700 Meter, das mag eine bescheidene Distanz sein. Doch der Test könnte eine neue Ära in der Raumfahrt einleiten. Erweist sich die Technik als Erfolg, könnten nicht nur Satelliten, sondern auch Raumschiffe preiswerter und effizienter durchs All fliegen.

Satelliten kreisen fast ohne Reibungswiderstand um die Erde. Doch auch sie müssen ihre Bahnen regelmäßig korrigieren. Im Vakuum funktionieren Flugzeugantriebe nicht, Bewegung kann nur über die Impulserhaltung per Rückstoß erreicht werden - Materie muss dafür mit möglichst viel Wucht aus dem Triebwerk geschleudert werden. Herkömmliche chemische Triebwerke verwenden häufig das giftige Hydrazin und saugen ihre Tanks nach wenigen Jahren leer. Zudem können die verbliebenen Dämpfe explodieren, was das akute Weltraumschrottproblem in Erdumlaufbahnen noch weiter verschärft.

Weltweit verwenden Satellitenbetreiber daher zunehmend Ionen-Triebwerke, in denen ionisierte Gase mithilfe starker elektrischer Felder ausgestoßen werden. Ihre Energie beziehen sie aus Solarzellen. Die Leistung elektrischer Antriebe ist sehr begrenzt. Aber sie haben eine Eigenschaft, die diese Schwäche im Dauerbetrieb mehr als gutmacht. Chemische Antriebe können die herausgeschleuderten Teilchen nur bis zu einem natürlichen Geschwindigkeitslimit beschleunigen. Bei Ionenantrieben hingegen hängt es allein von der Stärke des elektrischen Feldes ab, wie schnell ein Gasteilchen aus der Düse fliegt. Daher können Ionenantriebe Schub mit viel weniger, aber dafür stärker beschleunigtem Treibstoff produzieren, sie setzen ihren Vorrat zehnmal effizienter ein.

In Bereichen des Sonnensystems, in denen es ausreichend Solarenergie gibt, werden Ionentriebwerke daher immer häufiger für kommerzielle Satelliten eingesetzt. Sie treiben wichtige Forschungssonden wie die ESA-Merkursonde Bepicolombo an, die Nasa plant sogar, ihre neue Raumstation Lunar Gateway am Mond mit einem solchen Triebwerkstyp auszustatten.

Warum werden Iod-Antriebe nicht längst genutzt? Die Sache hatte lange einen Haken

Doch das häufig verwendete Treibmittel Xenon ist das seltenste und teuerste aller Edelgase und muss unter hohem Druck in die Satellitentanks gepresst werden. Das Team um Rafalsky verwendet stattdessen Iod als Treibstoff. Denn das Element, häufig in Lösung eingesetzt, um aufgeschürfte Kinderknie zu desinfizieren, ist deutlich billiger. Laut den Forschern kostet es nur rund 50 Euro und erfordert keinen besonderen Aufwand, den etwa ein Kilogramm fassenden Tank mit gewöhnlichem, ungiftigem Iod zu füllen. Für die gleiche Menge Xenon fallen mehr als 1100 Euro an. Noch eklatanter sei die Kostenschere beim Bau des Triebwerks: Da Iod bei Raumtemperatur fest ist, brauche es keine Drucktanks und Leitungen aus Titan - was die Kosten auf ein Hundertstel senke.

Auch der feste Zustand ist laut der Studie ein Vorteil, da sich in dieser kompakten Form viel mehr Iod im Tank unterbringen ließe. Um die feste Masse im Weltraum schließlich im Triebwerk zu nutzen, müsse es nur mit einem Watt Strom aufgeheizt werden, um es in die Gasphase zu überführen. Höre das Triebwerk auf zu feuern, erstarre das Iod in den Zuleitungen, weswegen sogar die sonst üblichen Ventile überflüssig würden.

Angesichts all dieser Vorteile kann man sich fragen, warum die Raumfahrtbranche dieses Wundermittel nicht schon lange nutzt. Doch so einfach ist es nicht. "Iod hat ein Korrosionsproblem", sagt Georg Herdrich, Leiter für elektrische Antriebe am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart. "Es ist schwer, Iod aufzubewahren, ohne dass es seine Behälter korrodiert, falls man das falsche Material auswählt." Mittlerweile sei dieses Problem allerdings gelöst. So verwendet Rafalskys Team Keramik und Kunststoffe, um empfindliche Metallteile zu schützen.

Wird Iod also Xenon in Zukunft als Treibmittel in Satelliten-Triebwerken ablösen? Preiswerte Motoren dürften gefragt sein. 2010 umkreisten keine 1000 Satelliten die Erde - heute sind es bereits mehr als 4000. Wenn die Milliardäre Elon Musk und Jeff Bezos ihre Pläne vom Internet aus dem All wahr machen, kommen innerhalb der kommenden zehn Jahre mehr als 13 000 hinzu. Schon jetzt ist Xenon so teuer, dass die Satelliten des Starlink-Netzwerks von Elon Musks Firma Space-X mit dem weniger effizienten Edelgas Krypton befüllt werden.

Noch ist allerdings nicht klar, ob Iod-Triebwerke auch für Satelliten im Erdorbit geeignet wären. "Dort müssen Satelliten unter anderem Manöver fliegen, damit sie nicht miteinander kollidieren. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Triebwerke dafür ausreichen", sagt Herdrich. Vielleicht ginge das bei entsprechender Vorwarnzeit. Denn die Triebwerke brauchen etwa zehn Minuten zum Aufwärmen, wie die Studienverfasser selbst einräumen. Für Ane Aanesland, CEO von Thrust Me und Koautorin der Studie, stellt das aber kein Hindernis dar: "Wir müssen uns nicht innerhalb von Minuten auf ein solches Manöver vorbereiten, das passiert eher innerhalb von Tagen", sagt sie. Um später einmal schwerere Raumfahrzeuge anzutreiben, plant Thrust Me, viele kleine Triebwerke zusammenzuschalten. "Solche Cluster sparen Geld, können flexibler eingesetzt werden und sind durch Redundanz auch noch sicherer", sagt Aaland.

Tatsächlich sucht die Nasa für zukünftige Missionen in die Tiefen des Weltalls nach Möglichkeiten, Raumschiffe effektiver anzutreiben, und auf langen Strecken sind elektrische Triebwerke unschlagbar. Für eine Mission zum Mars bräuchte jedoch ein Raumschiff mit herkömmlichen Ionen-Triebwerken große Mengen an Xenon. Weltweit werden davon aber jährlich weniger als 100 Tonnen produziert. "Die Menge, die eine lange Mission wie zum Mars braucht, reicht schon an die globale Jahresproduktion von Xenon heran", sagt Herdrich. Zudem könnte die erhöhte Nachfrage den Preis weiter in die Höhe treiben. Iod hingegen ist reichlich verfügbar: 2020 wurden etwa 30 000 Tonnen produziert.

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