Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:Forscher pochen auf bessere Asteroidenabwehr

  • Mehr als 1200 Wissenschaftler und Bürger haben einen offenen Brief an die Regierungen der EU unterzeichnet.
  • Noch im November wird die europäische Weltraumagentur über ein Forschungsprojekt zur Asteroidenabwehr entscheiden.
  • Das Projekt Hera soll untersuchen, ob und wie sich Asteroiden aus der Bahn lenken lassen.

Von Kathrin Zinkant

In einem offenen Brief an die europäischen Regierungen haben 1200 Wissenschaftler und Bürger finanzielle Unterstützung für die Forschung zur Asteroidenabwehr gefordert. Auf einer Veranstaltung im Berliner Naturkundemuseum warnte ein Team von beteiligten Forschern vor der Bedrohung durch einen Asteroideneinschlag auf der Erde. "Wir müssen unser Wissen darüber erweitern, wie wir unseren Planeten vor der Gefahr aus dem All schützen können", heißt es in dem offenen Brief.

Der Einschlag eines massiven Himmelskörpers ist nach heutigen Erkenntnissen wahrscheinlich verantwortlich für das Massenaussterben der Dinosaurier vor gut 60 Millionen Jahren. Und er könnte jederzeit wieder passieren. "Der Mensch soll nicht der Dinosaurier von morgen sein", hieß es auf der Konferenz in Berlin.

Für die Asteroidenjäger in Europa ist der diesjährige November ein kritischer Termin. Noch knapp zwei Wochen, dann findet im spanischen Sevilla die Space19+ statt - eine Konferenz, auf der die Pläne der europäischen Raumfahrtagentur Esa für die nächsten zwei Jahre festgezurrt werden. In Sevilla wird entschieden, ob Hera stattfinden kann, eine bisher nur geplante, aber noch nicht beschlossene Mission zum Asteroiden Didymos. Sie soll den Einschlagkrater einer amerikanischen Sonde auf dem Mond des Himmelskörpers, Didymoon, untersuchen. Didymoon hat einen Durchmesser von 160 Metern. Die Sonde wird voraussichtlich kommendes Jahr im Rahmen des Double Asteroid Redirection Tests, DART, starten. Hera wäre die einzige europäische Mission zur Planetenverteidigung gegen sogenannte erdnahe Objekte (near earth objects, kurz NEOs).

NEOs sind Asteroiden, welche die Erdumlaufbahn um die Sonne kreuzen, also den Planeten tatsächlich treffen könnten. Von den 700 000 bislang bekannten Asteroiden gehören mehr als 20 000 dazu. Mindestens 8000 von ihnen haben einen Durchmesser von mindestens 140 Metern - groß genug, um auf dem Land mindestens ein Areal von der Größe Washington DCs zu verwüsten. Oder aber, was noch wahrscheinlicher ist, durch einen Sturz in die Ozeane einen verheerenden Tsunami auszulösen. Genannt werden diese Asteroiden PHOs, potentially hazardous objects, und bekannt ist von ihnen nur ein Bruchteil.

Mehrere Dutzend Objekte passieren jährlich den Raum zwischen Erde und Mond

"Wir stellen uns den Weltraum immer sehr leer vor", sagt Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. "Tatsächlich aber gibt es sehr viele Objekte, die mit der Erde zusammenprallen können." Mehrere Dutzend passierten jährlich den Raum zwischen Erde und Mond, viele von ihnen bleiben bis kurz vor der Begegnung unentdeckt. Und jedes Jahr werde der Planet tatsächlich von Asteroiden getroffen, die kleiner sind als die PHOs, aber dennoch mit einer Energie von mehr als einer Kilotonne TNT auf den Planeten prallen. "Das ist ein Fünfzehntel der Energie der Atombombe von Hiroshima", sagt Sierks.

Warum man davon selten etwas mitbekommt? Weil die Felsbrocken aus dem All über dem Boden zerbersten und sehr oft in unbewohnten Gebieten niedergehen. So war es auch im russischen Tscheljabinsk vor sechs Jahren, als ein nur knapp 20 Meter durchmessender Himmelskörper auf die Erde stürzte. Er war allerdings weithin sicht- und auch spürbar, als er kurz vor dem Aufprall zerbarst. Die Druckwelle, die dabei entstand, ließ im Umkreis von mehr als 20 Kilometern Fensterscheiben zerspringen. 1500 Menschen wurden verletzt.

Man kann sich ausmalen, wie es aussähe, wenn ein noch größerer Asteroid die Erde träfe. Kandidaten gibt es immer wieder. Apophis zum Beispiel, ein Asteorid mit einem Durchmesser von mehr als 300 Metern. 2004 hatten Wissenschaftler es noch für sehr wahrscheinlich gehalten, dass Apophis die Erde treffen würde, wenn er 25 Jahre später ihren Weg kreuzt. Inzwischen sind die Prognosen genauer geworden und es wird wohl gerade noch gutgehen - bis der Asteroid 2036 wiederkehrt. "Für die zweite Begegnung besteht noch die Möglichkeit eines Aufpralls", sagt Sierks, der unter anderem an der Rosetta-Mission zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko maßgeblich mitwirkte.

Aber es geht nicht nur um Apophis. Viele Astrophysiker und Planetenforscher sind alarmiert und glauben, das zumindest das nötige Wissen herangeschafft werden sollte, um im Zweifelsfall etwas gegen die kosmische Bedrohung ausrichten zu können. Im Fokus steht die Idee, Asteroiden auf Erdkurs durch einen Zusammenprall mit Raketen so aus der Bahn zu lenken, dass sie den Planeten verpassen. Unklar ist Sierks zufolge aber, was so ein Schubs überhaupt auf einem Meteoriten anrichtet. "Wir müssen die Physik der Kraterbildung verstehen", sagt auch Patrick Michel vom französischen Observatoire Côte Azur, der am Hera-Experiment beteiligt ist.

Bislang könnten Forscher die Wirkung eines Ablenkungsversuchs nicht korrekt abschätzen. Das hat den Experten zufolge mit den im Vergleich zur Erde sehr unterschiedlichen Voraussetzungen auf den Kleinplaneten zu tun. Die Gravitation ist viel schwächer, die Beschaffenheit der Asteroiden ist nicht im Detail bekannt, man muss die Ablenkung und ihre Effekte also untersuchen. Und am besten täte man das nicht nur einmal, wenn es nach den Forschern ginge. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde eines Tages von einem weltbedrohenden Asteroiden getroffen wird, liege bei 100 Prozent. "Wir wissen nur nicht, wann", sagt Sierks.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4684758
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.